Jesus steht in der Schlange – keine VIP-Behandlung für den Mann aus Nazareth

Wer schon einmal in England war, weiß, dass die Briten eine Eigenschaft haben, die uns weitgehend fehlt. Sie können in der Schlange stehen und haben sogar ein eigenes Verb Schlangestehendafür. So stehen sie geduldig an, keiner drängelt vor, jeder ist dran, wenn er oder sie an der Reihe ist.

„Zusammen mit dem ganzen Volk ließ auch Jesus sich taufen“, heißt es im Evangelium – Ich stelle mir das bildlich vor: da steht Jesus in der langen Schar derer, die von Jerusalem herabgekommen waren, um den Täufer zu hören und sich als Zeichen ihrer Buß Gesinnung taufen zu lassen. Ein lange Schlange! Da steht vor ihm vielleicht der Soldat, der andere misshandelt oder erpresst hat, da steht hinter ihm der Reiche, der statt zu teilen immer noch mehr wollte, da steht neben ihm die gescheiterte Existenz und vielleicht auf der anderen Seite der, der nicht mehr weiter weiß und schon abgeschlossen hat mit seinem Leben. Keine Sonderbehandlung für den Mann aus Nazareth, keine VIP-Lounge, kein Vorrang vor anderen. Er steht in der Schlange. Er hat wie wir als Mensch gelebt, in allem uns gleich, außer der Sünde – so beten wir im Hochgebet der Messe.

Er ist bei denen, die mit sich selbst ins Reine kommen wollen, wie die anderen steigt er in den Jordan. Er taucht ein in die Fluten der Schuld und des Versagens, steht mitten in den Sünden der Menschen.
Er steht nicht nur damals in einer Reihe mit den Menschen, auch heute scheut er sich nicht, mit uns gemeinsam vor dem Vater zu stehen.

AhrweilerIn der Pfarrkirche in Ahrweiler gibt es eine Malerei der Taufe Jesu. Jesus steht in der Ahr – hinter ihm die Kulisse der Stadt mit ihren Stadttoren. Für den mittelalterlichen Künstler war klar: das ist keine Geschichte von anno dazumal; das, was wir heute feiern, ist Gegenwart.

Jesus taucht auf und der Himmel öffnet sich – wie an Weihnachten auf den Feldern Bethlehems.
Himmel und Erde sind nicht mehr unendlich weit von einander entfernt und Gegensätze, sondern sie rücken zusammen.
Der Geist Gottes ist am Werk und schafft Neues zwischen Menschen und Gott.
Eine Stimme vom Himmel berichtet uns von dem innigen, ja intimen Verhältnis zwischen Gott und diesem Jesus: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden.“ 

Was dort am Jordan geschehen ist, ereignet sich in jeder Taufe: Wir werden zu Kindern Gottes, zu „Erben Gottes, Miterben Christi“ (Röm 8,17) Wir sind geliebte Kinder Gottes, Geliebte Söhne und Töchter.

Zu einem Zeitpunkt, da wir nicht vorweisen konnten: Weder außerordentliche Schönheit, weder Majestät noch Intelligenz, zu einem Zeitpunkt, da wir hilflos angewiesen waren auf andere, ist auch für uns der Himmel aufgegangen.

Wer getauft ist, hat nicht nur die Erde, das Diesseits im Blick – wer getauft ist, lebt mit der Option für den Himmel und er darf diese einbeziehen in jedem Augenblick seines Lebens.

Du bist mein geliebter Sohn, du bist meine geliebte Tochter, so wie Du bist! Das ist der „cantus firmus“, der unser ganzes Leben durchzieht vom Augenblick der Taufe an. Wenn das doch in unseren Kopf – in unser Herz ginge!

Bei Gott hat seine Stelle das menschliche Geschlecht! Mit diesen Worten endet Bachs Weihnachtsoratorium. Gleichzeitig markieren sie den Anfang einer neuen Geschichte Gottes mit uns Menschen!

Es tut gut, am Anfang des Jahres nicht nur auf die Taufe Jesu zu schauen, sondern sich der eigenen Taufe zu erinnern.
Das Fest heute, die Erinnerung an die Taufe Jesu, schließt den Weihnachtsfestkreis ab. Es zeigt uns, was durch die Menschwerdung Gottes in unserem Leben anders geworden ist, welches Vertrauen Gott in den Menschen steckt, was Gott uns zutraut.

Wir haben wieder einmal noch 352 Tage Zeit, entsprechend zu leben.

Bildnachweis: PA/epa/Berliner Morgenpost