Israel II: Die weggefegten Gebete

Es ist wie immer am späten Freitagnachmittag an der Klagemauer in Jerusalem: eine eigentümliche Spannung liegt in der Luft. Von allen Seiten strömen die Menschen herbei: die einen mit ihren Schabbesdeckeln oder ihren Gebetsmänteln, andere in Alltags- oder Freizeitdress nur mit einer Kippa auf dem Kopf, Soldaten in ihren Uniformen mit ihren Maschinengewehren. Die Lautsprecher-durchsage kündet den Shabbat an.

In den Ritzen der Klagemauer stecken die Zettel mit den Gebeten. Hier am einzig verbliebenen Rest des jüdischen Tempels glaubt man, Gott besonders nahe zu sein, und um sicher zu gehen, dass er sich der Anliegen erinnert, überreicht man sie gleichsam auch noch einmal in Schriftform. Wieviele Gebete mögen von hier in den Himmel gestiegen sein?

In der letzten Stunde vor dem Shabbatbeginn wird Ordnung geschaffen auf dem Platz vor der Klagemauer. Tische und Bänke werden sortiert und auch das Reinigungspersonal rückt an. Gebetszettel, die nicht fest in der Mauer stecken oder zu Boden gefallen sind, werden aufgefegt und in Müllsäcken „entsorgt“.

Auf den ersten Blick befremdet es mich. Eben noch habe ich staunend auf die Zettel geschaut und der vielen Menschen gedacht, die hier gebetet haben, jetzt werden sie zusammen gefegt wie weggeworfener Papierabfall.  Mir wird bewusst: so wichtig es für uns Menschen ist, dass wir Orte haben, an denen wir beten können, Dinge, die unser Gebet „fassbar“ machen wie die kleinen Zettel oder die Kerzen, die in unseren Kirchen brennen, für Gott zählt nur das betende Herz. Von dort findet das Anliegen seinen Weg zu ihm.

Manchmal braucht es so „brutale“ Methoden, um es uns neu bewusst zu machen.

Ohne Smartphone online sein

(c) Ute Mulder_pixelio.de

Ich gebe zu, ich bin ein intensiver Smartphone-Nutzer. Als vor zwanzig Jahren die ersten bezahlbaren Handys auf den Markt kamen, war ich mit dabei. Ich war damals viel mit dem PKW unterwegs und konnte im Stau stehend schon telefonisch meine Verspätung ankündigen. Das nahm den Stress. Die Smartphones erleichterten mir den Alltag, denn endlich musste ich keine doppelten Kalender mehr führen und hatte einige Dokumente auch unterwegs zur Verfügung. Der Computer zuhause war zum Mitnehmen auf Taschenformat geschrumpft. Alles in allem ein Riesenfortschritt, alles in allem eine Arbeitserleichterung.
Da wirkte der Vortrag, den der Bonner Informatikprofessor Alexander Markowetz am Dienstagabend bei der IHK hielt, wie eine kalte Dusche. Drei Stunden am Tag benutzen wir unser Smartphone. Wir schalten es an und klicken irgendetwas an, behauptet er als Zwischenergebnis einer wissenschaftlichen Untersuchung, bei der über 200.000 Leute ihre Handy-Nutzung „überwachen“ lassen. Die Telefonfunktion wird täglich im Schnitt nicht mal zehn Minuten genutzt. 55 Mal pro Tag entsperren wir im Durchschnitt das Smartphone. Fazit: Alle zehn Minuten tippen wir auf unser Handy.
Nun bewahren mich viele Einzelbegegnungen und Gespräche davor, in diesen Rhythmus zu verfallen. Aber ich bin doch erschrocken und stelle fest, dass ich mich auch verführen lassen, die sogenannten Mini-Pausen, die es immer wieder im Alltag gibt, durch einen Blick auf das Handy auszufüllen. Ich kann noch mal schnell die Mails prüfen, in den Kalender schauen oder auf Facebook Kontakte pflegen. Diese Pausen, die es gibt, wenn wir irgendwo warten müssen, sind wichtig für die Kreativität und helfen, seelische Erkrankungen zu vermeiden.
Professor Marowetz fordert: „Wir müssen es schaffen, Smartphones überlegt einzusetzen. Also die Dinger nur dann zu nutzen, wenn es wirklich etwas bringt. Wir müssen uns eine digitale Diät verordnen. Exzessiver Smartphone-Konsum ist das neue Fett, das wir bekämpfen müssen.“
Übrigens: wir könnten auch vom Kirchenjahr lernen. Diese Tage vor Pfingsten sind auch eine Zeit des Wartens. Für die Jünger damals galt es die Abwesenheit des Herrn und den ausstehenden Heiligen Geist auszuhalten. Sie verbrachten die verordnete Unterbrechung mit Gebet. Eigentlich eine gute Alternative. Ohne Smart-phone online sein – mit Gott!