Tore und Türen gibt es seitdem Menschen sich Häuser und Städte gebaut haben. Wir kennen alte Pforten, schmucke Haustüren, einfache Scheunentore, hochherrschaftliche Portale, Eingangstüren zu Kirchen und Klöstern – Türe und Tore in allen Variationen, oft geben sie uns Auskunft, über das, was uns dahinter erwartet.
Für mich ist der Jahreswechsel immer wie ein Tor, das wir durchschreiten in ein Gebäude, in eine Stadt, in ein Land, das noch niemand betreten hat. Es wird auch von uns abhängen, wie wir es nach 12 Monaten verlassen werden.
Zuerst aber schließt sich in dieser Nacht hinter uns ein Tor. Das Jahr 2012 geht zu Ende. Jeder und jede von uns zieht in diesen Tagen im Stillen Bilanz: was hat das Jahr mir gebracht? Persönlich, beruflich. Für den einen gab es eine neue Arbeitsstelle, für andere einen Studienplatz oder den Einstieg in den wohlverdienten Ruhestand nach einem langen Arbeitsleben. Viele feierten Hochzeit, viele hielten ihr erstes Kind im Arm, andere trennten sich, standen vor den Scherben ihrer Beziehung. Schmerzvoll war die schwere Operation, die plötzliche Erkrankung. Traurig war der Tod eines lieben, vertrauten Menschen, traurig war der Abschied aus einer gewohnten Umgebung. Aufregend der Aufbruch in neue Welten. Jeder und jede hat seine eigenen Bilanz.
Als Stadtdechant schaue ich zufrieden auf das Jahr zurück. Was in unseren Gemeinden, in den Vereinen und Verbänden, in den kirchlichen Institutionen, in den kirchlichen Kindertagesstätten, Schulen, Altersheimen und Krankenhäusern tagtäglich geleistet wird, produziert zwar keine Schlagzeilen und taucht in den üblichen Jahresbilanzen der Medien nicht auf. Aber ohne dieses Engagement von Hauptamtlichen und vielen Ehrenamtlichen wäre unsere Stadt ärmer und kälter.
Die Tür 2012 wird unwiderruflich hinter uns geschlossen. Es bleiben uns nur noch ein paar Stunden, um vielleicht das eine oder andere wieder gut zu machen oder ins Lot zu bringen.
Vor uns liegt ein neues Jahr, seine Tür ist noch verschlossen. Nach dem Willen des Papstes soll es eine „Tür des Glaubens“ sein, die nicht erst um Mitternacht geöffnet werden wird, sondern die uns offen steht seit unserem ersten Atemzug.
Ein „Jahr des Glaubens“ hat Benedikt XVI. ausgerufen. Da geht es natürlich zuerst einmal um unseren ganz persönlichen Glauben. Das, was uns vertraut ist, soll noch einmal aus der einen oder anderen Perspektive betrachtet, soll verstärkt werden, und uns so helfen, als glaubende Menschen zu leben.
Wir können unmöglich schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben„, bekennen die Apostel in der Apostelgeschichte. Der Glaube drängt danach, öffentlich zu sein. Besonders angesichts der Tatsache, dass immer mehr Menschen die Türe des Glaubens nicht durchschreiten, sondern für sich selbst verschließen.
Viele Menschen in unserem Land sind lange den falschen Propheten auf den Leim gegangen, die der Meinung waren, Religion solle Privatsache sein. Religion habe in der Öffentlichkeit nichts zu suchen und der Staat müsse sich weltanschaulich neutral verhalten. Deshalb sei der öffentliche Raum von religiösen Symbolen und Inhalten freizuhalten und Religion haben nur in Kirchen, Tempeln und Moscheen stattzufinden.
In der Tat: die Politik tut sich schwer, religionspolitische Themen anzupacken. Die jüngste Debatte um die Beschneidung hat dies deutlich gemacht. Dabei hat die Mehrzahl der Bevölkerung ein religiöses Bekenntnis und dokumentiert dies auch öffentlich. Deshalb müssen wir uns dagegen wehren, dass die Religion in die Gotteshäuser abgedrängt wird. Wir brauchen keine Privilegien, sondern den öffentlichen Diskurs. Ein Beispiel: wir Christen müssen im Stande sein, unseren nichtchristlichen Zeitgenossen zu erklären, welche die Konsequenzen unser Glaubens an den Schöpfergott für Beginn und Ende des menschlichen Lebens hat, oder ganz praktisch, warum es beispielsweise gut sein soll, den Sonntag arbeitsfrei zu halten.
Ich will nicht einer religiösen Politik das Wort reden oder eine politische Religion fordern. Wohin das führt, können wir in anderen Teilen der Welt sehen. Die Politik braucht die Religion, damit sie selbst nicht religiös wird – die Religionen brauchen die Politik, damit sie zivil bleiben.
Aber es geht darum, dass die eigene Überzeugung, die eigenen Werte sich auch im politischen Handeln ausdrücken. Wer statt der eigenen Werte den Populismus zum Masstab macht, sein Mäntelchen nur in dem Wind der öffentlichen Meinung hängt, dessen Tun wird hohl und unglaubwürdig. Dies gilt für Politiker und auch für Kirchenleute, für Wirtschaftsleute genauso wie für Lehrer. Wir brauchen Menschen mit Überzeugungen, die man nicht an der Garderobe des Welttheaters abgibt – gleich welche Vorstellung gerade gespielt wird.
Die überall propagierte weltanschauliche Neutralität gibt es letztlich nicht! Die Art und Weise, wie ich die Welt anschaue und das meint „Welt-anschauung“, ist von vielen Dingen geprägt. Von Umwelt, Erziehung, Bildung, politischer Einstellung, und erst recht von meiner Religion, ob sie nun christlich, jüdisch, muslismisch, buddhistisch oder areligiös ist. Weltanschauliche Neutralität bedeutet oft, dass man allen ein bißchen Recht gibt. Aber dadurch werden Probleme nicht gelöst, sondern nur verdeckt.
Deshalb gilt für alle Christen in dieser Stadt: bekennen Sie sich zu ihrem Glauben in ihrem alltäglichen Handeln, in der Politik, der Wirtschaft, in der Forschung, wo auch immer. Wir können nicht einerseits den Fundamentalismus beklagen, sei es in der eigenen, sei es in der anderen Religion und andererseits unbeteiligt zuschauen und unsere eigene Überzeugung zur Privatsache erklären.
An der Schwelle des neuen Jahres möchte ich mir und uns allen mit den Worten des seligen Johannes Paul II. zurufen: „Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus!“
Unsere Stadt hat nicht nur christliche Wurzeln und eine maßgeblich von Christen bestimmte Geschichte. Sie muss auch eine christliche Gegenwart haben, die wir gerne gestalten im Dialog mit den anderen Religionen wissend „um die gemeinsame Verantwortung für die Gesellschaft, für den Staat, für die Menschen“. (Benedikt XVI.)
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