Gott ist mein Lotse

 

 „God is myn Leidsmann“ steht auf den Kacheln am Eingang des Insel-Pfarrhauses. Die erste Assoziation „Gott ist mein Leidensgefährte“ gefiel mir, weil sie mich erinnerte an die Solidarität des Gekreuzigten mit den Leidenden dieser Welt und auch mit mir mit meinen kleinen Leiden. Aber ich wurde belehrt: „Leidsmann“ leitet sich ab vom neuenglischen „loadsman“ und heißt übersetzt Lotse. Das altenglische Wort „lād“ (Weg) steckt genauso darin wie „ lǣdan“ (leiten). 

„Gott ist mein Lotse“ – ein Wort, das hier an die Küste besser passt als das bäuerliche „Gott ist mein Hirte“, das uns im 23. Psalm überliefert wird. Die Menschen hier wissen, wie wichtig ein Lotse ist, der die Fahrrinnen kennt, der weiß, wo Riffs und Untiefen lauern, der Entfernungen abschätzen kann, Wind und Wolken deuten und dafür sorgt, dass das Schiff den sicheren Hafen oder die Freiheit des offenen Meeres erreicht.

Die biblischen Bilder stimmen auch hier: Gott führt mich, er leitet mich, seine Hilfe (sein Stock und sein Stab) geben mir Zuversicht.

Wir benötigen den Lotsen aber nicht nur auf dem Wasser. Auch im Dickicht oder im Gewirr unseres Alltags kann es notwendig werden, jemanden zu haben, der uns den richtigen Weg weist. Auch dort lauern Hindernisse, die uns auf Grund laufen lassen, und Untiefen, deren Strudel uns hinabreißen. Und wer die richtige Zeit verpasst, dessen Lebensschiff sitzt auf dem Trockenen und muss warten bis eine neue Flut kommt.

Es gibt viele, die sich uns als Lotsen andienen. Viele haben nur die eigenen Interessen im Blick. Manche machen lautstark in den Medien auf sich aufmerksam, aber ihre Worte sind Schall und Rauch. Sie versprechen, was sie nicht einhalten können.

Da gilt es, zu unterscheiden. „Gott ist mein Lotse“ – dieses Bekenntnis bewahrt davor, falschen Propheten zu folgen, und hilft, denen zu trauen, hinter deren Wirken Gott selbst sichtbar wird. Und wenn kein Mensch da ist, hilft auch ein Blick in die Heilige Schrift, durch die Gott selbst zu uns spricht.

Mensch, wo bist Du? Gedanken zu einer biblischen Frage in der Wies

 

 „Adam, wo bist Du? Mensch, wo bist Du?“ (Gen 3,9) Das ist dieFrage, die der gegeißelte Heiland stellt. Normalerweise fragen wir umgekehrt: Gott, wo bist Du? Wie kannst Du das zulassen? Warum greifst Du nicht ein?

Seit dem Paradies muss Gott mit ansehen wie der Mensch, sein Geschöpf, die Freiheit missbraucht, die er von ihm erhalten 

Mensch, wo bist Du – angesichts des Leids, in der Familie, an der Arbeit, in der Gemeinde, in unserem Land, auf dieser Erde?

Da gibt es viele Unschuldige, die wie Christus leiden müssen. Die Flüchtlinge, die Hungernden, die Gemobbten, die Ausgegrenzten, die schwarzen Schafe in unseren Familien – um nur einige zu nennen.

Merken Sie wie Sie in der Seele schon reflexartig reagieren? Was habe ich denn damit zu tun? Die anderen sind doch schuld. Manchmal haben die anderen auch Namen, manchmal sind es auch einfach nur die da oben. Aber so einfach geht es nicht wie die Geschichte aus dem 3.Kapitel des ersten Buchs der Bibel erzählt.

Drei Bilder aus diesem Gotteshaus können uns begleiten:

 

 Das Schweisstuch der Veronika

Die Geschichte kommt in der Bibel nicht vor. Sie gehört zum Schatz des Volksglaubens. Veronika soll dem Herrn auf seinem Kreuzweg ein Tuch gereicht haben, damit er sich den blutigen Schweiss abwischen konnte. Das Antlitz Christi sei in dem Tuch zurückgeblieben, habe sich in den Stoff eingeprägt. Wundersam?

Nein – das gehört mit zu unseren Lebenserfahrungen: wenn wir einem Menschen beistehen, wenn wir sein Leid lindern, dann prägt sich sein Bild ein in unsere Seele. Wir gehen anders von ihm weg. Wieviele Bilder gibt es schon in unserer Seele? Wer in meiner Umgebung oder auch in der weiten Welt wartet darauf, dass er in meiner Seele Spuren hinterlässt?

Das Schweisstuch der Veronika kann uns davor bewahren, sich davon zu stehlen. Es gilt, am Kreuzweg des anderen zu bleiben. Mensch, wo bist du? 

 Der Richterstuhl

Der leere Richterstuhl, der in unseren Blick fällt, wenn wir diese Kirche betreten, macht uns bewusst: diese Frage „Mensch, wo bist du?“ ist existentieller als die Frage nach einer bloßen Ortsbestimmung. Sie wird uns einmal vor diesem Thron gestellt werden: Mensch, wo bist Du gewesen!

Was hast Du getan und was hast Du nicht getan?

Früher hat man den Menschen Angst gemacht mit diesen Gedanken. 

Aber dieser Thron will uns nicht Angst machen. Er ist wie diese ganze Kirche eine Einladung. Wir sehen auf der Rückenlehne einen Ölzweig und ein Flammenschwert. Den Ölzweig des Friedens und das Flammenschwert der Gerechtigkeit. „Gerechtigkeit und Frieden küssen sich“, heißt es im Psalm 85 in einer messianischen Vision.

Der Richterstuhl mit diesen beiden Symbolen lädt uns ein, so zu leben, dass dies Wirklichkeit wird. Gerechtigkeit und Frieden – Ausdruck einer Sehnsucht, die wir alle tief in uns tragen. Gerechtigkeit und Frieden, darum geht es den Staatslenkern in Ellmau, darum geht es den friedlichen Demonstranten.

Gerechtigkeit und Frieden sind eigentlich paradiesische Zustände, die der Mensch verwirkt hat, weil er wie Gott sein wollte. Die der Mensch immer verwirkt, wenn er wie Gott sein will.

Und schließlich: wenn Sie gleich wieder hinausgehen; wenn Sie Ihre Gebete und Anliegen dem gegeißelten Heiland vorgetragen haben, dann sehen Sie beim Hinausgehen

 

 Die verschlossene Himmelstür

Sie sagt Ihnen, Mensch, Du hast noch Zeit! Es wird der Moment kommen, da Chronos, der mythologische Herr über die Zeit mit seinem Stundenglas am Boden liegt und Deine Zeit abgelaufen ist. Dann  gilt, was über der Tür steht: es wird keine Zeit mehr sein!

So schön dieser Ort auch ist, so zufrieden Sie auch sind, das Ziel erreicht zu haben. Das hier ist noch nicht der Himmel, allenfalls ein Abbild. 

Deshalb nehmen Sie beim Hinausgehen Ihr Leben neu als Geschenk an. Es ist noch Zeit, sich nicht aus der Verantwortung zu stehlen, wenn wir dem Bösen, wenn wir dem Leid begegnen. 

Unsere Welt lebt von den Menschen, die sich nicht verstecken, lebt von denen, die Gott nicht suchen muss. Hoffentlich gehören wir dazu.

Gebt Ihr ihnen zu essen!

 

 Fronleichnam ist wohl das katholischste aller Feste des Kirchenjahres – an vielen Orten verbunden mit alten Traditionen. Blumenteppiche, festlich geschmückten Straßen, Altären in allen Himmelsrichtungen. Eine selbstbewusste Gemeinde, betend und singend. In der City, in der noch kaum einer wohnt, ist dies anders. Allenfalls die Frühstücksgäste in den Gaststätten und Touristen, die die Stadt besuchen, werden uns zuschauen. 

Ich befürchte, die meisten von ihnen werden uns nicht verstehen. Weil wir nicht mehr ihre Sprache sprechen und weil sie der Meinung sind, dass wir keine Ahnung vom Leben und seinen Herausforderungen haben. Ihnen allen, die heute unseren Weg säumen, möchte ich sagen: eben in unserem Gottesdienst war von Euch die Rede. Die Bibel erzählt von 5000,

  • die ohne Orientierung waren, 
  • die eine Nahrung suchten, die es in keinem Supermarkt zu kaufen gibt, 
  • die geachtet werden wollten, wertgeschätzt werden wollten, wenigstens von einem geliebt werden möchten. 

Und ich möchte sie fragen, erkennt Ihr euch wieder in denen, von denen die Bibel in ihrer Sprache sagt „sie waren wie Schafe, die keine Hirten haben“?

Jesus lehrte sie lange. Was er ihnen gesagt hat, weiß ich nicht. Aber so wie ich Jesus kenne, wird er sie mit seinen Worten gefesselt haben. 

  • Nicht wie jene, die Euch Anerkennung versprechen und Euch dann vor laufenden Kameras vorführen – wie man es im Fernsehen immer wieder beobachten kann. 
  • Nicht wie jene, die euch Genuss und Wohlergehen verheißen und am Ende nur auf euer Geld aus sind. 
  • Nicht wie jene, die Euch eine Gemeinschaft vorgaukeln, die es in der realen Welt nicht gibt, sondern nur im virtuellen Raum, der schnell wie eine Seifenblase zerplatzt.

Jesus ist anders – er ist Nahrung, die wirklich nährt! Keine Fastfood, die bald wieder hungrig macht.°

Vielleicht würden die Menschen, die uns zuschauen, sich wiederkennen. Vielleicht würden sie uns auch fragen: und wer seid Ihr? Steht von Euch auch etwas in der Bibel?

Ich würde ihnen drei Antworten geben:

1. Wir sind wie die Jünger, die Euch wegschicken wollen.

5000 Menschen machen Arbeit, müssen versorgt werden, spätestens dann wenn der Magen knurrt. „Schick sie weg!“, sagen die Jünger zu Jesus. Jeder soll sich um sich selbst kümmern.Und wer es nicht selber kann, muss zu den Profis gehen – zur Stadtverwaltung, zur Caritas, zur Tafel – oder wer sich sonst noch um sie kümmert. 

5000 Mann – diese träge Masse macht Angst. Man weiß gar nicht, wer alles dazu gehört: 

  • vielleicht Fremde, Flüchtlinge, die ganz anders sind als wir. 
  • Vielleicht Patchwork-Familien, wo man nicht weiß, wer zu wem gehört, 
  • Leute, die ohne Trauschein zusammenleben, Geschiedene und Wiederverheirate, Leute, die nicht der Norm entsprechen. 

Schick sie weg. Wir, deine Jünger, wollen lieber mit Dir allein sein! 

Schön wäre es. Doch der Herr durchkreuzt unseren Plan. „Gebt Ihr ihnen zu essen!“ heißt der Auftrag. So einfach wie wir uns die Lösung vorgestellt haben, ist sie nicht!

2. Wir sind die, die nur wenig haben

Angesichts von 5000 hungrigen Männern klingt der Auftrag „Gebt Ihr ihnen zu essen“  schon fast wie Hohn –auf jeden Fall wie eine Überforderung.„Wieviel Brot habt Ihr? Seht nach, was Ihr habt“ – nicht viel! Fünf Brote und zwei Fische – das ist die ganze Ausbeute. Das reicht hinten und vorne nicht. So wenig Brot für all die hungrigen Mäuler.

Seht nach, was Ihr habt! Wir haben so wenig Antworten auf die drängenden Fragen, so wenig Zeit für die vielen Erwartungen, die man an uns stellt. Wir haben so wenig Liebe angesichts einer an Liebe armen Welt.

Wenn wir ehrlich sind, wir haben nicht viel in unseren Händen. Und doch haben wir nicht Nichts.

3. Wir sind die, die austeilen, was sie haben –

hier stutze ich ein wenig, weil ich mir nicht so sicher bin.

Die Jünger bringen dem Herrn was sie haben. Und während sie sich noch den Kopf zerbrechen, wie das nun gehen soll, sorgt er für die notwendige Unterbrechung. 

Jesus betet! Er, der Mittler zwischen Gott und Mensch in Person, stellt die Verbindung zum himmlischen Vater her: Er blickt zum Himmel, er spricht den Lobpreis und bricht das Brot. Und das solcherart „verwandelte“ Brot gibt er den Jüngern, die es weiterreichen. Sie werden von Jesus ermächtigt, den Menschen zu essen zu geben und so das Wunder auszuführen. 

Gott wirkt es nicht ohne uns, und wir können es nicht ohne Gott wirken. 

Auf mittelalterlichen Illustrationen sieht man oft Jesus in der Mitte, der nach rechts und links seinen Jüngern das Brot reicht, das sie weitergeben.

Der Herr nimmt das, was wir haben, und im Teilen reicht es für alle.

Wer mit fünf Broten und zwei Fischen anfängt, fünftausend satt machen zu wollen, der läuft Gefahr, sich bis auf die Knochen zu blamieren. Aber die Jünger gehorchen! Diese Stelle ist einer der Höhepunkte ihres Glaubens.

Genau an dieser Stelle stutze ich, weil ich bei mir selbst feststelle, dass es mir an diesem Glauben oft fehlt. „Wenn jeder gibt, was er hat, dann werden alle satt“, heißt es in einem modernen geistlichen Lied. Ich zweifle, ob ich immer bereit bin, zu geben.

Gebt Ihr ihnen zu essen! – dieser Auftrag Jesu ist nicht verstummt. Er gilt auch heute noch. Die 5000 sitzen nicht mehr im Gras am Ufer des See Genesareth. Sie leben mit uns in dieser Stadt, leben mit uns auf dieser Welt.



Wenn wir heute mit der Prozession durch die Straßen ziehen, dann wollen wir bekennen, dass wir uns diesem Auftrag stellen. Schon im 4.Jahrhundert sagte der Hl. Johannes Chrysostomos: „Das Sakrament des Altares ist nicht zu trennen vom Sakrament des Bruders und der Schwester“. Ist nicht zu trennen vom Dienst am Nächsten. Nur so können wir uns ehrlich mit dem Sakrament des Altares auf den Weg machen.