Jesus, das arme Schwein

Es ist nicht zu leugnen, unsere Kirche, wir haben ein Sprachproblem. Obwohl wir uns auf allen Kanälen zu Gehör bringen, werden wir nicht mehr verstanden, weil die Bilder, die wir im Kopf haben, nicht mehr kompatibel sind mit den Bildern unserer Gesprächspartner.

Ein Beispiel: gestern hieß es im Evangelium:  „Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.“  Wenn das jemand gehört hätte, der nicht sehr viel Ahnung, nicht sehr viel Praxis des Glaubens hat, er hätte  nur „Bahnhof“ verstanden. Diejenigen, die sich in der Bibel und im Katechismus auskennen, haben dagegen sofort die Texte und Bilder im Kopf parat: das Bild vom Lamm, das zur Schlachtbank geführt, den Kreuzestod Jesu, das Gottesknechtlied des Propheten Jesaja usw.

Aber der Mensch, der fremd in unsere Mitte kommt: was versteht der? Lämmer kennt er allenfalls aus dem Streichelzoo oder in Knoblauch gegart auf dem Teller.

In einer Predigthilfe fand ich eine provokante Formulierung (von Andreas Fink), die mich zum Nachdenken brachte. Statt „Seht das Lamm Gottes!“ „übersetzte“ er: „Seht das arme Schwein Gottes!“

Da mag mancher Fromme denken, dies sei vielleicht schon Gotteslästerung. Aber ist es nicht so? Jenseits aller theologischen Formulierung müssen wir feststellen: Jesus ist ein armes Schwein gewesen.

Er wird unterwegs geboren, während seine Eltern auf Reisen sind. Bei den Menschen, in ihren Häusern und Gaststätten findet die Gebärende keinen Platz. Er kommt in einem Stall zur Welt, hat keine feine Wiege, sondern wird in eine Futterkrippe gebettet.

Die ersten Menschen, die von ihm Notiz nehmen, sind Hirten, Menschen ohne ehrenwerten Beruf. Auch sie waren arme Schweine.
Der erwachsene  Jesus war kein rundum beliebter Zeitgenosse. Er war ein Querdenker, ein Exot, ein Wanderprediger, für manche gar: ein religiös Verrückter. Einfache Leute, Fischer vom See Genezareth, liefen hinter ihm her.  Und schließlich krepiert er qualvoll am Galgen, auf einem Hügel, draußen vor der Stadt. Für die Menschen, die ihn am Kreuz sterben sahen, war dieser Mann einer, dem es richtig dreckig ging. Jesus war in der Tat ein armes Schwein.

Ich gebe zu: „Das arme Schwein“ ist kein Hochdeutsch, sondern eher Umgangssprache. Aber die ungewohnte Formulierung öffnet einen anderen Zugang zu dem Text.
Jemanden als „armes Schwein“ zu bezeichnen, birgt die Gefahr, ihn hochnäsig, mitleidig, von oben herab zu betrachten.  Davor will Jesus selbst uns bewahren, in dem er sich bei seiner Taufe nicht nur in eine Reihe mit den „armen Schweinen“ der damaligen Gesellschaft stellt, sondern weil er uns in seinem Evangelium sagt: Ihr begegnet mir in diesen Menschen.
Denn die Hungrigen, die Durstigen, die Nackten, die Kranken, die, die im Gefängnis sitzen – das sind alles „arme Schweine“, um noch einmal diesen Begriff zu gebrauchen. Das was Ihr ihnen getan habt, das habt Ihr mir getan, sagt Jesus uns.

„Das arme Schwein“ – ein Beispiel dafür wie plötzlich ein biblischer Text anders, vielleicht auch verständnisvoller zu uns spricht. Auch wenn diese umgangssprachliche Formulierung theologisch nicht in die Tiefe geht. Aber unter uns leben viele religiöse Analphabeten. Ihnen müssen wir uns verständlich machen. Solange wir das als Kirche nicht tun, schauen wir hochnäsig auf sie herab, machen sie zu „armen Schweinen“ – oder wie immer wir sie beschreiben wollen.

Blasphemie oder eben rheinisch?

Das Kirchenlied der Stadtpatrone bei einer Karnevalsveranstaltung –wie gestern Abend in der „Kayjass“ der Lustigen Bucheckern geschehen – ist das nicht Blasphemie? Der Nicht-Rheinländer wird das meinen. Er weiß zu wenig von der Beziehung zwischen Karneval und Religion.

„Vom Rhein – das heißt vom Abendland. Das ist natürlicher Adel.“, so lesen wir ins Carl Zuckmayers „Des Teufels General“. Natürlicher Adel – vom Abendland, sagt Zuckmayer, vom christlichen Abendland, muss man ergänzen. 529 gründete Benedikt das Kloster Monte Cassino in Italien. „Ora et labora – bete und arbeite!“ – das war sein Erfolgsrezept. Damit haben die Mönche Europa kultiviert. Zu dieser Kultur gehört auch der Karneval. Er ist nicht bütze, tanzen, jeck sein, sich verkleiden, weil es schön ist und man Spaß dran hat, sondern weil es Fastelovend ist, d.h. der Abend vor der Fastenzeit.

Und die ist auch nicht eingeführt, weil wir uns zu viel Winterspeck angefuttert haben, und Diät halten müssen. Sondern weil sie uns vorbereitet auf ein großes Fest, auf Ostern. Das höchste Fest der Christen! An diesem Tag feiern wir dass Gott seinen Sohn nicht im Tod gelassen hat, und, dass der Tod nicht das letzte Wort im Leben hat. Welch ein Fest, denn vor dem Tod haben wir alle Angst. Ostern sagt: du brauchst keine Angst zu haben vor dem Tod, denn das Leben geht danach für Dich weiter, ewig, im Himmel, beim Herrgott.

Damit wir ein solches Fest, eine solche Botschaft richtig feiern können, heißt es vorher „fasten, verzichten“. Nur wenn ich merke, dass mir etwas fehlt, kann ich mich anschließend wieder daran freuen. Oder anders gesagt: wer jeden Tag Champagner trinkt, weiß nicht mehr, dass es etwas Besonderes ist! Deshalb fasten wir und deshalb wird vorher noch einmal kräftig „op die Tromm gekloppt“. Wer nicht fastet, kann kaum richtig Karneval feiern. Schon Theresa von Avila sagt: Wenn fasten, dann fasten, wenn Rebhuhn dann Rebhuhn.

Ursprünglich waren die jecken Tage auf die letzte Woche vor Aschermittwoch beschränkt. In vielen Sprachen wird Weiberfastnacht der „fette Donnerstag“ genannt. Es war der letzte Schlachttag vor der österlichen Fastenzeit, denn im Mittelalter galt der Donnerstag als allgemeiner Schlacht- und Backtag. Der Beginn des Karnevalstreibens.

Karneval und christlicher Glaube gehören zusammen – und unter den Christen sind die Katholiken eher dabei als die anderen Konfessionen. Vielleicht auch deshalb weil der katholische Glaube der „normale“ Glaube im Rheinland ist. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Mit seiner Religion verbindet den Rheinländer eine fast verliebte Vertrautheit, die vielleicht dann und wann mal zu weit geht, aber niemals böse gemeint ist. Sein Humor relativiert alles; immer aber im Wissen um ein Letztes, Gültiges, Absolutes.
Und weil zum „normalen Glauben“ auch die Prozessionen gehören, liebt der Rheinländer die Prozessionen – die frommen an Fronleichnam und die lustigen an Rosenmontag. Es tut ihm gut, wenn der Weihrauch duftet, weiß gekleidete Mädchen fromme Lieder singen, Fahnen flattern, die Ornate der Geistlichen oder Uniformen der Karnevalisten Farbe ins Bild bringen, Bläser und Sänger sich zusammenfinden.

Deshalb kann auch mitten im Karneval ein Kirchenlied erklingen – „irgendswie“ (wie der Rheinländer sagt) gehört das alles zusammen.

 

Von Bohnenkönigen und anderen Tollitäten

Man muss schon zweimal in den Kalender schauen heute: zuerst Festlicher Gottesdienst am Dreikönigstag und anschließend Prinzenproklamation. Passt das denn zusammen? Sind die Kronen, die die Könige vor dem Kind in der Krippe niederlegen, und die Prinzenmütze des Prinzen Karneval nicht etwas total Gegensätzliches? Ein Blick in die Kulturgeschichte zeigt, dass es Verbindendes gibt.

Die franzöische Bäckerei an der Ecke verkauft heute Galette des Rois, Königskuchen. Eingebacken in den Blätterteig eine kleine Porzellanfigur,   Fève (dicke Bohne) genannt.  Wer in seinem Kuchenstück die Figur (oder eine Bohne) findet, wird mit einer Pappkrone gekrönt und ist König für einen Tag.

Bohnenkönig

Galette des Rois

Den Brauch kennt man nicht nur in Frankreich, auch bei uns wurde und wird in diesen Tagen um das Dreikönigsfest der Bohnenkönig ausgerufen.Seit dem 13.Jahrhundert ist dies überliefert. Der Bohnenkönig suchte sich nicht nur eine Königin, sondern versammelte um sich einen närrischen Hofstaat. Wenn der König trank, mussten alle rufen, der König trinkt! Ein Motiv, das auch in der Kunst seine Darstellungen fand.

Vom Bohnenkönig, dem „König auf Zeit“, ist es nur ein kleiner Schritt zum Narrenherrscher auf Zeit, der heute gemeinhin als „Prinz Karneval“ bezeichnet wird. Viele Elemente, die den alten Brauch des Königsspiels bestimmten, hat sich bis heute in den Gepflogenheiten des Karnevals erhalten. Nicht nur der närrische Hofstaat, der den Prinzen umgibt, auch die festen Regeln, nach denen gespielt wurde und heute auch gespielt wird. Da durfte man keine Fehler machen. Da darf man keine Fehler machen.

Verlorengegangen ist der Bezug zum Dreikönigsfest – obwohl vielerorts das Fest den Beginn des Sitzungskarnevals markiert. An der Bonner Stadtkrippe im Bonner Münster gibt es den Bezug noch. Hier kommen die Tollitäten im Schlepptau der Drei Könige zum Kind in der Krippe – wohlwissend, dass ihre Herrschaft endlich ist. Heute geht’s los – am Aschermittwoch ist alles vorbei.