Drei Bücher für den guten Rutsch

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Hat man Ihnen auch einen „guten Rutsch“ gewünscht? Dutzendfach habe ich das in den letzten Tagen immer wieder gehört. Mit „Rutschen“ hat der Wunsch wenig zu tun, eher mit einem hebräischen Wort: Rosh, das Haupt. Rosh ha shana – heißt der Neujahrstag bei den Juden – das Haupt des neuen Jahres. „Der gute Rutsch“ ist also ein guter „Neujahrstag“.

Neujahr – auch kein einfaches Datum. Die Römer verlegten schon 153 v. Chr. den Jahresbeginn vom 1. März auf den 1. Januar. 1691 setzte Papst Innozenz XII. den 1.Januar auch als christlichen Neujahrstag fest. Aber das galt nicht überall: die einen feierten Neujahr am 6.Januar, andere am 25.März, andere zu Ostern.

Immer war es ein Heilsereignis, das als Beginn des Neuen gedeutet wurde: die Erscheinung des Herrn, die Verkündigung des Gottessohnes, das Osterfest, oder am 1.Januar das Fest der Namengebung Jesu. „Jesus, soll mein erstes Wort im neuen Jahr sein“, heißt es in einer Bach-Kantate zum neuen Jahr.

Auch die Liturgie kennt den Neujahrstag als solchen nicht. Deshalb wundert es nicht, dass auch das Brauchtum dieses Tages aus anderen Religionen und Kulturen übernommen wurde:

der Neujahrsbrezel kommt auch aus dem Jiddischen, ein süßes Brot ohne Anfang und Ende, so wie auch Zeit dahinläuft. Mit Feuerwerk und Böllerschießen sollte einerseits militärische Macht demonstriert und auch die bösen Geister vertrieben werden. Der Rausch, den man an Neujahr ausschläft, ist schon bei Cicero nachgewiesen. (Ad Atticum).

Der jüdische Talmud lehrt, dass drei Bücher im Himmel am Neujahrstag eröffnet werden:

  • Das Buch des Lebens der Bösen,
  • das Buch des Lebens der Rechtschaffenen,
  • und das Buch des Lebens derer, die dazwischen sind, der Durchschnittlichen“.

Das Bild des Buches, in dem die Taten der Menschen aufgeschrieben sind, findet sich auch in der christlichen Tradition. Paulus spricht vom „Buch des Lebens“ (Phil 4,3) und auch die Geheime Offenbarung kennt dieses Bild (Offb 20,12) In dem mittelalterlichen Hymnus „Dies irae“ heißt es vom Gericht über die Menschen: Und ein Buch wird aufgeschlagen, ….Treu darin ist eingetragen   Jede Schuld aus Erdentagen.

Drei Bücher.

  1. Das erste das Buch des Lebens der Bösen!

Wir können es wenden wie wir wollen, es gibt das Böse in unserem Leben. Es gibt falsche Entscheidungen, Worte, die verletzen, Taten, die anderen schaden.

Dazu gehört auch die Erfahrung, die Paulus in seinem Römerbrief notiert hat: Ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will. (Röm 7,19)

Niemand wird vollkommen durch die 365 Tage des neuen Jahres gehen. Hoffentlich finden sich am Ende nur wenige Eintragungen im „Buch des Lebens der Bösen“.

  1. Das Buch des Lebens der Rechtschaffenen

Darin wird eingetragen die Liebe, die wir empfangen und verschenken. Darin wird sich finden, was und gelingt und welche Früchte unserer Bemühungen wir ernten werden. Das, was wir überstehen, und das, was wir meistern werden. Vor allem aber das, was Gott selbst dazu beigetragen hat.

Wir werden uns hoffentlich in vielen Stunden dankbar erleben, als Geschöpfe beschenkt von einem Schöpfer, verflochten in die Gemeinschaft der anderen Geschöpfe.

  1. Das dritte Buch ist das Buch derer, die dazwischen sind, der Durchschnittlichen, der Mittelmäßigen.

In diesem Buch stehen alle die faulen Kompromisse, die wir immer wieder machen, die Vorsätze, zu deren Umsetzung uns die Kraft und der Willen fehlen, die hochgesteckten Ziele, die wir nicht erreichen.

„Mittelmässig“ zu sein – ist wohl das schlimmste Urteil über einen Menschen. „Ich kenne deine Werke. Du bist weder kalt noch heiß. Wärest du doch kalt oder heiß! Weil du aber lau bist, weder heiß noch kalt, will ich dich aus meinem Mund ausspeien.“ sagt der Engel in der Geheimen Offenbarung der Gemeinde in Laodizea – (Offb 3,15-16)

Wenn es einen Vorsatz für dieses Jahr gibt, dann den: sich nicht mehr zufrieden zu geben mit der Mittelmässigkeit.

Drei Bücher, die am Neujahrstag geöffnet werden.

Ich wünsche Ihnen den Segen Gottes und – wie es am jüdischen Neujahrstag Brauch ist – : „Mögest du für das Gute eingeschrieben und gesiegelt werden”.

Ein Fest, das im Weg steht!

…so steinigten sie Stephanus“

„Die bekannteste Erzählung, die es gibt, wo Christen leben“, nennt Walter Jens, die Weihnachtsgeschichte. „Und die geschändeste dazu: mißverstanden wie keine zweite, vom Nüchternen ins Sentimentale verkehrt… Eine kreisende Frau, und ein Mann, der im Stall, es kann auch eine Höhle gewesen sein, der Gebärenden beisteht – stilisiert zum ‘trauten, hochheiligen Paar’. Die Krippe auf die Maße eines Nürnberger Spielzeugs gebracht!“

Er hat recht – und damit wir uns nicht in aller Rührseligkeit genügen, tut es gut, daß es heute dieses Fest gibt: das Fest des ersten Märtyrers Stephanus.

Aber das Fest hilft uns zum Wesentlichen der Weihnachtsbotschaft vorzustoßen, die Krippe aus einer neuen Perspektive zu betrachten:

 Manchmal bedarf es der Hindernisse, um uns aufzuhalten, um uns den Spiegel vorzuhalten –

  • ich kenne Menschen, die sind gebannt von ihrer Geschichte, andere kennen nur das Negative, andere sind gegenüber allem mißtrauisch;
  • ich kenne Menschen, die sind nie zufrieden, sie wollen immer noch mehr, mehr Liebe, mehr Reichtum, mehr Macht;
  • ich kenne Menschen, die sind immer in Eile, in ihrem Leben gibt es nur Leistung, nie das Spiel –

Ihnen stellt Gott gleichsam das Kind in der Krippe in den Weg -dieser Anfang in Bethlehem – in Windeln, wie auch unser Anfang war – ist ein Zeichen dafür, daß Gott die Hoffnung mit dieser Welt nicht aufgegeben hat.

Die Existenz eines Kindes ist immer eine verdankte und beschenkte; es wird angenommen und geliebt, ohne Verdienst und ohne Leistung. „So gehe ich mit der Welt, so gehe ich mit Dir um“  – sagt Gott jedem, der vor der Krippe steht.

Die Krippe steht im Weg – wie dieses Fest am heutigen Tag: „In der Heiligen Nacht will Gott nicht Verhältnisse ändern, er will, Verhalten ändern, damit sich Verhältnisse ändern.“ – genau deshalb hat er uns das Kind „in den Weg gestellt“.

Seien wir ehrlich: das Fest des Stephanus verträgt sich nicht mit unseren weihnachtlichen Gefühlen von Harmonie und Frieden.

An keinem anderen Tag im Jahr stören uns die Katastrophennachrichten, empört uns Kriegsberichterstattung, empfinden wir die Kluft zwischen Engelchören und der Realität dieses Lebens größer und ärgerlicher als an Weihnachten. Das paßt nicht zusammen!

Und wie es paßt –

  • der Stall in Bethlehem war keine blitzsaubere Wöchnerinnen-Station mit Kabelfernsehanschluß;
  • die drei war ausgestoßen, weil niemand „Platz“ für sie hatte.,
  • die Hirten auf den Feldern der Stadt gehörten nicht zu den Etablierten, die auf den Gästelisten aller Veranstalter stehen – ihr Beruf galt als unrein, weshalb sie auch vom gottesdienstlichem Geschehen ausgeschlossen waren –
  • die Flucht nach Ägypten war kein Ausflug an die Pyramiden mit Nilschiffahrt und Kamelritt – nach Katalog gebucht –
    es war die Flucht vor einem mörderischen Herrscher, so wie heute viele auf der Flucht sind!

Es paßt!

Gott wird Mensch in diese konkrete Welt hinein – nicht in eine Welt, die wir uns erträumen, die irgendwann einmal sein wird – nein in diese Welt, in der wir leben und die wir alle irgendwie mitgestalten und auch verunstalten!

Gott wird Mensch auch in meine ganz konkrete Welt hinein – in mein Leben, auch wenn es noch so kaputt ist, noch so zerrissen, noch so unordentlich, noch so sündig – in mir will Gott Mensch werden!

„Der zur Weihnacht geboren wurde,
hat nicht auf Probe mit uns gelebt,
ist nicht auf Probe für uns gestorben,
hat nicht auf Probe geliebt.
Er ist das Ja und sagt das Ja,
ein ganz unwiderrufliches göttliches Ja
zu uns, zur Menschheit, zur Welt.“ (Hemmerle)

Christen haben zu allen Zeiten die Diskrepanz zwischen einer Welt, wie sie Jesus gelebt und verkündet hat, und den Realitäten ihres Lebens, als Auftrag angenommen, diese Welt so zu gestalten, wie sie der Botschaft Jesu entspricht

– weil sie begriffen haben, daß sie seit Bethlehem Gott dort finden, wo man ihn am wenigsten vermutet: in den Lagern der Flüchtlinge, bei den Obdachlosen, bei den unheilbar Kranken, bei den Traurigen und Verzweifelten, bei den Enttäuschten und Mutlosen –
und in sich selber, auch wenn man sich noch wertlos vorkommt.

Davon gibt dieser Stephanus Zeugnis – wen wundert es da, daß er den Himmel offen sieht, wie die Hirten in Bethlehem.

Gott im Boot meines Lebens

Weihnachten 2018 Pfarrkirche Juist

Sie haben es gewiss schon gesehen: Die Hl. Familie befindet sich hier vorne nicht in einem Stall, sondern in einem Boot. Was soll das? fragen Sie sich mit Recht, auch wenn sie diese Darstellung als Juister schon gewohnt sind.

Schiffe sind für Sie, die Sie hier auf der Insel leben, aber auch für mich als Rheinländer nichts Ungewöhnliches: Seit Jahrhunderten transportieren die Schiffe auf den Meeren und auf den Strömen Menschen und Güter, nicht nur von der Insel zum Festland, oder von einem Ufer zum anderen, sondern auch über weite Entfernungen. Manch einer von Ihnen hat vielleicht schon einmal eine Kreuzfahrt unternommen und die Annehmlichkeiten einer solchen Schifffahrt genossen.

Unsere Sprache kennt viele Assoziationen aus der Seefahrt: „Wir sitzen alle in einem Boot“, heißt es da.
„Die Ratten verlassen das sinkende Schiff“, befürchten einige.
„Da wird jemand ausgebootet“, stellen wir fest.
„Einer kommt vom Kurs ab“ und „Klippen müssen umschifft werden“.
Wir kennen menschliche Wracks und wissen, dass Menschen Schiffbruch erleiden können auch wenn sie sich nicht auf offenem Meer befinden.

Albert Einstein hat festgestellt: „Mir kommt das Leben der Menschen vor wie ein großes Schiff.“ Und Martin Luther meint: „Unser Leben ist gleich wie eine Schifffahrt.“ –

Sie merken, es geht um uns bei diesem Zeichen hier vorne, um Sie und mich. Ich möchte Sie einladen, ein wenig bei diesem Bild zu verweilen.

Mit welchem Schiff lässt sich Ihr Leben vergleichen:

  • Mit einem Lastkahn, der schwer zu tragen hat und nicht nur die eigenen, sondern auch fremde Lasten trägt?
  • Mit einem Ausflugsdampfer, auf dem nur Frohsinn herrscht?
  • Mit einem Treidelkahn auf einem Fluß, der nicht aus eigener Kraft vorankommt und gezogen werden muss?
  • Mit einem Segelschiff, das bei passendem Wind majestätisch durch das Wasser segelt und bei Flaute vor sich hin dümpelt?

Mit welchem Schiff lässt sich Ihr Leben vergleichen?

Hohe Wellen und Gegenwind bringen das Schiff in große Not. Jeder von uns kennt Wellen und Gegenwind auch aus seinem eigenen Leben. Nicht nur am dunklen Welthorizont ziehen dunkle Wolken auf und blitzt es und kracht es.

Auch im privaten Bereich gibt es viel Not:

  • Da ist der Mensch, der enormen Gegenwind bekommt, weil er entschieden zu seiner Überzeugung steht.
  • Da ist ein anderer, der von einer Welle der Entmutigung eingeholt wird, und keine Zukunft mehr sieht.
  • Da ist das Ehepaar, das in den Strudel gegenseitiger Vorwürfe geraten ist und deren Ehe zu scheitern droht.
  • Da ist die Familie, die in die Tiefen einer schweren Krankheit hineingezogen wird.
  • Und da ist die Verwandtschaft, bei der es in den zwischenmenschlichen Beziehungen nur so brodelt und einfach keine Versöhnung in Sicht kommt.

Ja, das Bild ist treffend – unser Leben ist wie ein Schiff!
Heute feiern wir, dass Gott Mensch geworden ist! Heute feiern wir, dass Gottes Sohn hineingelegt worden ist in das Schiff meines Lebens.
Vielleicht sträubt sich jetzt etwas in Ihnen – weil ihr Lebensschiff Ihnen als wenig geeignet erscheint, um eine solche Fracht zu transportieren.

  • Weil es nicht aufgeräumt ist und sie immer noch alte Sachen mit sich herumschleppen.
  • Weil es Ihnen zu ramponiert erscheint, weil sie oft angestoßen sind, wenn Sie in einem Hafen Halt gemacht haben.
  • Weil Sie sich nie Zeit genommen haben, die Schäden zu reparieren, die Schiff im Laufe der Jahre bekommen hat.

Egal in welchem Zustand das Schiff ist – das Kind will mit Ihnen unterwegs sein. Nicht nur heute und morgen, sondern Ihre ganze Lebensreise lang.

Die Stürme werden nicht weniger, der Gegenwind wird weiterhin zu spüren sein, noch manche Welle wird Ihnen Sorgen machen und die Lasten nehmen auch nicht ab – aber das Kind, das die Engel „Retter Messias, der Herr“ nennen, will mit Ihnen auf die Lebensreise gehen. Nicht nur mit dem Lächeln eines Kindes, sondern mit der ganzen Macht seiner Botschaft!

Wie soll das gehen? Schauen Sie auf die Hirten: Sie kehren nach ihrem Gang zur Krippe nach Bethlehem zu den Herden zurück, aber sie sind nicht mehr dieselben.

Sie tun dieselbe Arbeit wie vorher. Sie leben in denselben Verhältnissen und sind doch andere geworden. Sie kehren zurück und loben Gott wegen alle dem, was sie gehört und gesehen haben.

Früher hatten sie keine Zeit für das Gotteslob; denn als Hirten müssen sie weiterhin auf ihre Herden aufpassen und können nicht am Gottesdienst teilnehmen.

Als Menschen aber, die die Botschaft der Engel hörten und die in Bethlehem gewesen waren, erinnern sie sich an Gott.
So hat sich ihr Alltag hat sich verändert.

Es kommt ein Schiff geladen – so beginnt ein altes Advents- und Weihnachtslied. Jetzt ist es mit seiner teuren Last angekommen und das Kind ist umgestiegen in unser Lebensboot.

Schiffe sind nicht gemacht für den Hafen. Sie müssen hinaus. Jetzt an Weihnachten haben wir hoffentlich alle irgendwo festgemacht. Aber danach geht es wieder hinaus – mit dem menschgewordenen Gott im gleichen Boot. Wenn das kein Grund zu Freude ist!