Ein Herz für sich selbst haben

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 Täglich gebiert unsere Leitungsgesellschaft neue Perfektionisten. Menschen, die alles richtig machen wollen, die keine Fünf gerade sein lassen können. Alles muss perfekt sein – im Beruf, in der Freizeit, beim Sport, in der Beziehung, in der Sexualität, beim Aussehen – kein Bereich des Lebens ist davon ausgenommen.

Perfektionisten leiden unter ihren Fehlern und meinen, nur wenn sie perfekt sind, sind sie etwas wert, nur wenn sie vollkommen und fehlerfrei sind, ist ihnen die Liebe sicher. Aber – so sagt die amerikanische Schriftstellerin Pearl. S. Buck: Das Streben nach Perfektionismus und Vollkommenheit macht manchen Menschen vollkommen unerträglich.

Natürlich verdienen Menschen, die hochgesteckte Ziele erreicht haben, unsere volle Anerkennung. Aber selbst der Beste wird von sich nicht sagen können, dass er immer alles richtig macht und keine Fehler gemacht hat. Nobody is perfect. Die ständige Sehnsucht nach unerreichter Perfektion macht viele Menschen krank, frustriert und unglücklich. Bei immer mehr Menschen wird diese Sehnsucht zur Sucht!

Ein Wüstenvater des 4.Jahrhunderts hat einmal gesagt: Wenn Du ein Herz hast, kannst Du gerettet werden!“ Das ist die tröstliche Botschaft für alle Perfektionisten, für alle, die gegenüber sich selbst unbarmherzig sind.

Sie brauchen ein Herz für sich selbst. Sie müssen sich selbst in den Arm nehmen wie der Vater den Sohn im heutigen Evangelium (Lk 15) in die Arme nimmt und dabei die Fesseln lösen, die sie zwingen oder die Peitsche zerbrechen, die sie antreibt.

Wer barmherzig ist mit sich selbst, der kommt zuerst einmal mit sich selbst in Berührung. Der findet sein eigenes Herz, das nicht nur für andere, sondern auch für ihn selbst schlägt.

Solange wir es anderen, unseren Eltern, Geschwistern, Lehrern, Vorgesetzten, Chefs, Freunden, Partnern oder Liebhabern überlassen, darüber zu bestimmen, ob wir etwas wert sind oder nicht, bleiben wir Gefangene in einer Welt, die nach ihren eigenen Wertmaßstäben her befindet, ob wir akzeptabel oder abzulehnen sind.

Das eigene Herz wahrnehmen, bedeutet auch Gottes Stimme zu hören, der unsere Stimme gehört hat, bevor je ein Mensch sie vernommen hat, der uns anschaut bevor uns ein Mensch gesehen hat.

Unseren Wert, unsere Einmaligkeit, unsere Individualität erhalten wir nicht von denen, die begrenzt und endlich in dieser Welt leben, sondern von dem, der ewig ist, der uns immer noch ansieht, selbst wenn wir unansehnlich geworden sind, der uns immer noch anhört, selbst wenn unsere Stimme auf dieser Erde verstummt ist.

Kurz vor seinem Tod fragt der Theologe Heinrich Schlier: Was bin ich? Und antwortet: Gott sieht mich. Ich bin sein Augenblick“.

Barmherzig sein mit sich selbst kann nur der, der zu dieser Tiefe in sich selbst vorstößt. Ich bin Gottes Augenblick. Nur dann kann er so an sich selbst handeln, wie es der Vater im Evangelium an seinem Sohn getan hat: vergeben.

Sich selbst die eigene Endlichkeit, die eigene Zebrechlichkeit, die Menschlichkeit vergeben.

Ich weiß aus eigenem Erleben, das dies wohl die schwierigste Form der Barmherzigkeit ist. Deshalb hilft vielleicht eine kleine Geschichte aus Indien:
„Es war einmal ein Wasserträger in Indien. Auf seinen Schultern ruhte ein schwerer Holzstab, an dem rechts und links je ein großer Wasserkrug befestigt war.

Nun hatte einer der Krüge einen Sprung. Der andere hingegen war perfekt geformt und mit ihm konnte der Wasserträger am Ende seines langen Weges vom Fluss zum Haus seines Herrn eine volle Portion Wasser abliefern. In dem kaputten Krug war hingegen immer nur etwa die Hälfte des Wassers, wenn er am Haus ankam.

Für volle zwei Jahre lieferte der Wasserträger seinem Herrn also einen vollen und einen halbvollen Krug. Nach zwei Jahren Scham hielt der kaputte Krug es nicht mehr aus und sprach zu seinem Träger: „Ich schäme mich so für mich selbst und ich möchte mich bei dir entschuldigen.“ Der Wasserträger schaute den Krug an und fragte: „Aber wofür denn? Wofür schämst du dich?“

„Ich war die ganze Zeit nicht in der Lage, das Wasser zu halten, so dass du durch mich immer nur die Hälfte zu dem Haus deines Herrn bringen konntest. Du hast die volle Anstrengung, bekommst aber nicht den vollen Lohn, weil du immer nur anderthalb statt zwei Krüge Wasser ablieferst.“ sprach der Krug.

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Dem Wasserträger tat der alte Krug leid und er wollte ihn trösten. So sprach er: „Achte gleich einmal, wenn wir zum Haus meines Herren gehen, auf die wundervollen Wildblumen am Straßenrand.“ Ist dir aufgefallen, dass sie nur auf deiner Seite des Weges wachsen, nicht aber auf der, wo ich den anderen Krug trage? Ich wusste von Beginn an über deinen Sprung. Und so habe ich einige Wildblumensamen gesammelt und sie auf Deiner Seite des Weges verstreut. Jedes Mal, wenn wir zum Haus meines Herrn liefen, hast du sie gewässert. Ich habe jeden Tag einige dieser wundervollen Blumen pflücken können und damit den Tisch meines Herrn dekoriert. Und all diese Schönheit hast du geschaffen.“

Vielleicht eine tröstliche Geschichte für alle die, denen es schwer fällt, mit sich selbst barmherzig zu sein – weil alles so perfekt sein muss.

Die drei Ur-Wünsche des Menschen

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„Die zarteste Versuchung…” – da fällt Ihnen gewiss sofort ein, wie der Satz weitergeht. Sie haben es quasi auf der Zunge. So hat uns vor einigen Jahren ein Schokoladehersteller von seinem Produkt überzeugen wollen. Der irische Dichter Oscar Wilde meint: „Versuchungen sollte man nachgeben, – man weiß nicht, ob sie wieder kommen”.

Man ist geneigt ihm zuzustimmen, denn das Spiel mit dem Genuss hat seine Reize – ganz gleich welcher Natur er ist. Wenn wir dadurch Wohlbefinden, Ausgleich, Glück, Zufriedenheit erfahren können – wer will da schon Nein sagen.

Das Evangelium am ersten Fastensonntag erzählt von den Versuchungen Jesu. (Lk 4,1-13) Vielleicht haben Sie beim Hören oder Lesen schon innerlich abgewunken und gesagt: kann mir nicht passieren. Mich fordert keiner auf, Steine in der Wüste zu Brot zu machen, oder sich von der Zinne des Tempels zu stürzen und den Teufel anzubeten.

Und doch ist in diesem Text auch von uns dies Rede.

In Sagen, Mythen und Märchen tauchen immer wieder drei Urwünsche des Menschen auf, die auch von dem Psychologen und Soziologen bestätigt werden.

Zu einem geglückten Leben gehört für den Menschen, dass er einen Namen hat, dass er etwas machen, wachsen und sich entfalten kann, dass er Heimat und Besitz hat.

Um diese drei Urwünsche geht es in diesem Evangelium. Schauen wir uns diese drei Urwünsche genauer an:

1. Einen Namen haben

Jeder und jede von uns möchte einmalig sein, nicht austausch-bar, einen Namen und damit ein unverwechselbares Gesicht haben. Wenigstens ein Mensch muss uns anschauen und uns dadurch im wahrsten Sinne des Wortes „Ansehen“ geben.

Wer das nicht hat, der leidet Mangel, der wird krank! Wenn der Mensch reduziert wird auf seine Arbeitskraft im Berufsleben, auf seine intellektuelle Leistung in Ausbildung und Studium, auf seine zu befriedigenden Bedürfnisse in seiner Freizeit, dann reagiert zuerst seine Seele und schließlich auch sein Leib.

Bei diesem ersten Urwunsch setzt der Teufel an, wenn er Jesus auffordert:“Stürz sich herab vom Tempel und die Engel werden dich auffangen und heil zu Boden bringen“. In einer großen Show, soll Jesus sich dem Publikum präsentieren, das sich in Jerusalem beim Tempel aufhält. Jesus der Superstar, der „seinen Weg“ macht. Der Beifall wäre ihm sicher, noch bevor er ein Wort seiner Botschaft verkündet hat.

Der aber antwortete mit einem Zitat aus der Schrift „Du sollst Gott, deinen Herrn, nicht herausfordern!“ D.h. erkenne an, dass du Geschöpf bist und einen Schöpfer hast. Du brauchst dir keine Namen selbst zu machen. Gott selbst hat dich bei deinem Namen gerufen. Er ist es, der dir Ansehen verleiht!

2. Macht haben

Der zweite Ur-Wunsch des Menschen: Wir wünschen uns, dass wir etwas machen können, dass wir mitschreiben können an der Geschichte unseres Lebens und andere uns nicht ständig das Leben vorschreiben. Wir möchten wachsen können, selbst kreativ sein.

Es geht also um Macht im Sinne von „machen“, etwas machen können. Dazu gehört auch die persönliche Freiheit, die ihre Grenzen hat an der Freiheit des anderen. Nicht also um die Macht, die die Freiheit des anderen unterdrückt.

Auch in der Versuchungsgeschichte Jesu spiegelt sich dieser Wunsch nach Macht wider. Wenn der Herr den Teufel anbetet, dann soll er Macht bekommen über alle Reiche der Erde. Jesus widersteht auch dieser Versuchung. Für ihn geht es nicht um das eigene Reich, sondern um das Reich Gottes, das anbrechen soll.

Er will Gott über sich verfügen lassen. Gott soll seine Geschichte vor- schreiben. Deshalb ist für ihn die Frage nach dem Willen des Vaters die zentrale Handlungsanweisung für sein Leben.

3. Besitz, Heimat haben

Der dritte Wunsch: der Mensch braucht einen Ort, wo er zuhause ist, einen Ort, den er besitzen kann, der sein Besitz ist, seine Heimat.

Das muss kein Prachtbau sein, keine hoch herrschaftliche Villa. Das kann die Decke sein, in die sich der Obdachlose einhüllt.

Mach aus diesem Stein Brot, sagt der Versucher zu Jesus. Mach aus diesem Stein Brot und du bist mit einem Schlag steinreich. Jesus könnte sich selbstmächtig am Leben erhalten. Auch hier widersteht er, wenn er sagt“ vom Brot allein kann niemand leben“. Leben kann nur, wer Gottes Wort annehmen und befolgt.

 

Die drei Urwünsche bestimmen bewusst oder unbewusst unseren Lebensalltag. Sie treiben uns an. Sind durchaus lebenserhaltend. Gefährlich werden sie, wenn wir ihnen ungezügelt nachgeben. Dann nehmen wir und nicht selten auch andere Schaden. Sie wollen gezähmt werden.

Die Kirche selbst macht uns leider in diesen Wochen und Monaten vor, wohin zum Beispiel unkontrollierte Machtausübung führen kann. Die immer neuen Zahlen über sexuellen Mißbrauch und den Umgang damit beweisen es auf bitterste Weise. Aber bleiben wir bei uns:

Nehmen wir mit in diese ersten Fastenwoche, was Jesus selbst uns mit auf den Weg gibt.
Er sagt uns:

· Gott gibt Dir Ansehen. Du bist von ihm geliebt.

· Frag nach dem Willen Gottes und lass Gott an Deiner Geschichte mitschreiben.

· Sei nicht besessen von deinem Besitz.