Wenn ein Kreuz auf Reisen geht – oder: wenn sich alles fügt

Über vier Jahre stand das Kreuz von San Damiano vollverpackt von den Umzugshelfern in meiner neuen Wohnung. Es war für meine neuen Räume einfach zu groß. 20 Jahre lang hatte es in meinem Gesprächszimmer gehangen und viele Menschen in unseren Gesprächen begleitet. Immer wieder konnte ich ihren Blick auf das Kreuz lenken. Es zeigt nicht nur den gekreuzigten und auferstandenen Christus, die Menschen unter dem Kreuz repräsentieren viele von uns Betrachtern.
Vor ihm hat der hl. Franziskus gebetet:
Höchster, glorreicher Gott,
erleuchte die Finsternis
meines Herzens
und schenke mir rechten Glauben,
gefestigte Hoffnung, vollendete Liebe.
Gib mir, Herr,
das rechte Empfinden und Erkennen,
damit ich deinen heiligen und wahrhaften Auftrag erfülle,
den du mir in Wahrheit gegeben hast. Amen.

Und jetzt: wohin mit dem Kreuz? Es im Internet anbieten und wie verschicken? Und dann fügte es sich.

Diese Geschichte beginnt vor fast 50 Jahren. 1976 feierte die franziskanische Familie den 750.Todestag des Franziskus von Assisi. Mich hat damals die Spiritualität des Mannes aus Assisi sehr fasziniert und als junger Kaplan gelang es mir, auch Jugendliche dafür zu begeistern. Es folgte 1977 eine Reise nach Assisi und ein Aufenthalt im Kloster Rocca Sant’Angelo begleitet von dem unvergessenen Gerhard Ruf.

Einen der jungen Leute hatte es besonders gepackt. Es begann ein langer Weg mit vielen Stationen. Immer aber verlor er die Nähe zu Franziskus nicht und auch wir beide haben uns nicht aus den Augen verloren. Vor einigen Jahren ist er mit seiner Familie nach Italien gezogen. Wohin? In die Nähe von Assisi!

Jetzt bot sich ihm die Gelegenheit ein kleines Anwesen zu kaufen, das schon einmal eine geistliche Gruppe beherbergt hat. Es soll auch weiter ein spiritueller Ort sein, zumal es auch eine kleine Kapelle birgt. Begeistert hat er mir davon bei einem Abendessen in Assisi im November des vergangenen Jahres erzählt. Sollte das der Ort sein, wo das Kreuz eine neue Bleibe finden soll? Es war keine Frage, denn die begeisterte Zustimmung erfolgte auf dem Fuß. „Der liebe Gott tut nichts als fügen“, sagt man im Rheinland.

Aber wie kommt das Kreuz nach Assisi? Irgendwie schaffen wir das – vielleicht kann ich es einer Gruppe mitgeben. Wenn es dahin soll, dann gibt es einen Weg. Den gab es an diesem Wochenende. Ein Anruf am Tag nach Rosenmontag informierte mich über den vollzogenen Kauf und die Ankündigung, dass mein Freund aus beruflichen Gründen am Wochenende nach Offenburg kommt.

Das war die Gelegenheit: Offenburg ist nur knapp 3 ICE-Stunden von Bonn entfernt und die Bundesbahn „spendiert“ mir sogar eine Bonus-Punkte-Fahrkarte. Also dann geht das Kreuz über Offenburg wieder auf die Reise nach Assisi.

Weshalb erzähle ich das? Weil sich auch hier wieder das Wort von Gottes Fügung bestätigt und weil sich so der Kreis schließt von den ersten Annäherungen an den Hl. Franz von Assisi von vor fast 50 Jahren bis zur Übergabe des Kreuzes von San Damiano gestern Abend. Mich hat das tief berührt.

Das Kreuz von San Damiano hat mich auch ein Leben lang begleitet. Unvergessen: das Fastentuch im Bonner Münster im Jahre 2008, das in kleiner Ausführung in vielen franziskanischen Niederlassungen auf der ganzen Welt zu finden ist.

Wenn ich in Zukunft Menschen an die Aussagen des Kreuzes heranführe, wird diese „Episode“ von der „Translatio“ des Kreuzes auch dazu gehören.

Am Aschermittwoch ist nicht alles vorbei

Seid umschlungen“ – es macht Spaß, einmal im Jahr einzutauchen in die große Menge, ohne Rücksicht auf gängige Konventionen. Ein- mal einfach Mensch sein, „per Du“ mit jedem, der den Weg kreuzt. Arm in Arm ohne jene feinen Unterschiede, auf die wir sonst so bedacht sind. Leichtsinnig mit dem Wort, Schwüre von Treue ohne unliebsame Konsequenzen.

Und dazu der Wein, der die Probleme aufnimmt. „Schütt die Sorgen in ein Gläschen Wein„. Der Rausch des Abends läßt den Alltag vergessen: den Ärger in der Familie, die Last des Berufes oder die Qual der Arbeitslosigkeit, die Unfähigkeiten, die Grenzen, an die jeder stößt.

Das ist für viele Zeitgenossen die Realität dieser tollen Tage. Sie offenbart die Sehnsucht des Menschen nach Gemeinschaft und Geborgenheit, seinen Wunsch nach Befreiung, nach Frieden, gar nach Erlösung. Weil die Welt dies nicht er füllen kann, bleibt für viele nur die Flucht ins Reich der Träume, der Masken, der Gaukler und Narren, zu den Schminktöpfen, die alles überdecken, in eine tolle Welt, in eine Scheinwelt, die spätestens am Aschermittwoch wieder von der Wirklichkeit abgelöst wird. Allenfalls das bunte Konfetti im Haar und der fade Geschmack auf der Zunge erinnert an die erlebten, durchlebten Trugbilder.

Das Leben mit seinen Sehnsüchten, seinen Wünschen ist geblieben. Es besteht eben doch nicht nur aus den bunten Farben der Kostüme und spiegelt sich nicht nur wider in den Weinpokalen.

Mehr noch: die Vergänglichkeit, das Elend des menschlichen Lebens wird einem mit Asche auf die Stirn geschrieben. Und vielleicht spürt man dann, daß nicht die Tage vor, sondern nach Aschermittwoch die entscheidende Zeit im Jahr sind. Es sind die Wochen, in denen früher die Taufschüler der ersten Jahrhunderte die letzten, entscheidenden Schritte zum Glauben taten. Diese Zeit, in der sie erfuhren, daß ihre Sehnsucht nach Befreiung und Erlösung von Jesus Christus erfüllt wird und daß sich Gemeinschaft und Geborgenheit im Kreis der Getauften finden läßt. Diese Erfahrung gibt dem Leben eine Freude, die nicht beschränkt ist auf ein paar Tage im Kalender.

Gerade deshalb aber kann auch der Christ die närrischen Tage mitfeiern, mit ihrer Fröhlichkeit und Ausgelassenheit, mit dem Spiel der Masken und der lustigen Zeche. Für ihn ist zwar am Aschermittwoch dies alles vorbei, aber das Wesentliche fängt erst an.

Wilfried Schumacher