Auf nach Galiläa!

Gedanken am Osterfest 2024

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Sie haben es gehört-Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat.“ –Also dann auf Galiläa. Dort werden wir ihn sehen. Aber wo ist dieses Galilä?

Gewiss zuerst einmal ist das biblische Galiläa im Norden Israels westlich des Sees Genezareth gemeint. Der Name „Galiläa“ ist wohl eine Abkürzung von galil ha-gojim; das heisst: „Bezirk der Heiden“. In Jerusalem verachtete man diesen Teil des Landes, denn da wohnten Juden und Heiden. Die „reine Religion“ war da kaum zu praktizieren. „Kann aus Nazareth (in Galiläa) etwas Gutes kommen?“. Wir kennen die Frage des Nataneal, die die Vorbehalte der Frommen ins Wort bringt.

Aber ist dieses Galiläa gemeint? Müssen wir jetzt alle auf Pilgerfahrt nach Israel gehen?

Schauen wir bevor wir das Ziel ins Auge nehmen einen Moment auf den Ostermorgen in Jerusalem, so wie Markus ihn überliefert hat.

Es gibt gleich zwei Zeitangaben:

  • Die erste: als der Shabbat vorüber war, kauften die Frauen die Öle – der Shabbat markiert den letzten Tag der Schöpfung, einen Abschluß. Eine Zeitangabe, die rückwärts gerichtet ist.
  • Die zweite: Am ersten Tag der Woche kamen sie in aller Frühe zum Grab. – der erste Tag der Woche steht für den Neuanfang. Nichts ist an diesem Morgen alt, vertraut oder bewährt. Der Stein ist weggewälzt und das Grab ist leer!

Ein junger Mann gibt den Frauen drei Aufträge: „Seht – geht – sagt!“

  • Seht, da ist die Stelle, wo man ihn hingelegt hatte“. – das ist ein letzter Blick in die Vergangenheit. Ein letzter Blick auf den Karfreitag.
  • Geht“ –hier könnt Ihr nicht bleiben. Das ist der Ort der Toten. Immer dann wenn in der Schrift Menschen mit Gott in Berührung kommen, trifft sie das Wort „Geh!“, können sie nicht bleiben, sondern müssen aufbrechen.
  • Sagt es seinen Jüngern, vor allem Petrus: Er geht euch voraus nach Galiläa“ – die Botschaft von der Auferstehung will verkündet werden. „Zeugen der Auferstehung“ sind nötig. (Apg 1,22)

Und jetzt beginnt das Problem. Haben Sie noch den letzten Satz des Evangeliums im Ohr: „Sie sagten niemand etwas davon; denn sie fürchteten sich.“? Damit endet ursprünglich das Markus-Evangelium.

Im Markus-Evangelium finden wir keine der uns vertrauten Ostergeschichten, die so schön helfen, im Ansatz zu verstehen, was geschehen ist: kein Wort über die Begegnung des Auferstandenen mit Maria von Magdala, kein Wort von den Emmaus-Jüngern, keine Erzählung von dem zweifelnden Thomas. Nur dieser eine Hinweis: „Er geht euch voraus nach Galiläa“.

Wir werden uns also aufmachen müssen, so wie die Jünger damals. Allerdings dieses Galiläa finden wir auf keiner Landkarte, dieses Galilää ist unsere Welt. Es sind die Glaubenden und die Ungläubigen, die Frommen und die Lauen, die Heiligen und die Sünder, die Guten und die Bösen. Dieses Galiläa ist unsere Alltagswelt, das, was wir tagtäglich erleben. Dort finden wir den Auferstandenen.

Jetzt sind eigentlich Sie an der Reihe. Sie müssten sich jetzt erzählen, wie sie in Ihrem Alltag die Spuren des Auferstandenen entdecken. Vielleicht werden Sie jetzt sagen: Ich doch nicht! Wo denn?

Und dann würde ich Sie fragen: Haben Sie schon einmal „Zuwendung, Heilung, Versöhnung, Vergebung“ erlebt?
Denn davon ist in den Geschichten von Jesus die Rede, die sich Galiläa ereignet haben.
Das bleibt nicht beschränkt auf seine drei irdischen Jahre, sondern das wird auch heute noch erlebt wird: Zuwendung, Heilung, Versöhnung, Vergebung – in Ihrem Ort, unserer Welt. Spuren des Auferstandenen

Jetzt müssten Sie davon sprechen, wie Sie den Herrn getroffen haben: und zwar in all den Menschen, mit denen er sich solidarisierte: mit den Kranken, den Fremden, den Ausgestoßenen, den Leidenden.

Jetzt müssten Sie berichten von den Augenblicken in Ihrem Leben, wo es nach langer Nacht in Ihrer Seele wieder Tag wurde, wo Sie neue Hoffnung schöpften, wo es plötzlich doch wieder Zukunft gab!

Manchmal feiern wir mitten im Tag ein Fest der Auferstehung“, heißt es in einem Kirchenlied.

Ostern ist das Fest der Hoffnung – und wir erleben es in den kleinen Hoffnungsgeschichten mitten in der Welt, mitten in unserer Welt.

Machen wir es nicht wie die Frauen im Markus-Evangelium. Schweigen wir nicht! Reden wir davon, wie wir dem Auferstandenen in unserem Galiläa, in unserer Welt begegnen. Wir brauchen keine Ostergeschichten: wir sind Maria von Magdala, wir sind die Emmaus-Jüngern, wir sind der ungläubige Thomas.

Also dann: auf nach Galiläa. Ich bin dabei. Gehen Sie auch mit?

 

 

Unter dem Kreuz ausharren

oder: Lieben bis es weh tut
Gedanken vor dem Verlesen der Passion am Karfreitag

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Ich hoffe, Sie sitzen alle gut oder haben einen festen Stand. Denn jetzt geht es zur Sache! Die ganze Welt drängt sich jetzt hinein in die Kirche von Lind – besonders die leidende Welt.
Die Geschlagenen, die Verleugneten, die Enttäuschten, die Verratenen, die Opfer von Gewalt und Verleumdung, falscher Anklagen und schnellen Prozessen.
Und mittendrin, Sie und ich – niemand kann sich drücken und verdrücken – jetzt wird die Geschichte erzählt von dem, der allen wohl getan hat und dem man doch übel mitspielte.

Ich weiß, Sie kennen die Geschichte. Je nachdem wie alt Sie sind, haben Sie sie schon Dutzend Male gehört; aber schalten Sie jetzt bitte nicht ab, bleiben Sie bitte dran. Nein, bleiben Sie bitte drin in der Geschichte.

Entsetzen Sie sich bitte über das, was da geschickt, erschrecken Sie über das Verhalten der Menschen, gehen Sie mit Jesus seinen Weg – und sehen Sie in seinem Gesicht die Gesichter der Leidenden dieser Welt.

Für den Evangelisten Johannes ist der Kreuzweg nicht nur ein Leidensweg, sondern der Weg zu einer Thronbesteigung. Johannes hat lange nachgedacht über dieses Ereignis, das nicht nur ihm unverständlich ist.

Ein souveräner Jesus begegnet uns in seiner Passion. Das Aufrichten des Kreuzes, seine Erhöhung ist eine königliche Thronerhebung. „Wenn ich über der Erde erhöht bin, werde ich alle zu mir ziehen“, hat er zu Nikodemus gesagt.

Sagen Sie bitte nicht, dass Sie das sofort verstehen. Ein König, der ans Kreuz geheftet wird. Ein König, der nicht von oben herab regiert, sondern der alle an sich zieht.
Alle, nicht nur die Frommen, nicht nur die Erfolgreichen, nicht nur die auf der Sonnenseite des Lebens. Vor allem jene, die ihre Wunden scheu vor den anderen verbergen, die leiden und weinen in den stillen Nächten des Lebens. Alle, auch Sie und mich.

Ein geistlicher Lehrer (Ignatius von Loyola) empfiehlt uns, Christus unsern Herrn sich gegenwärtig und am Kreuz hängend vorzustellen und ein Gespräch zu halten, so „wie ein Freund zum anderen spricht“ (EB 53+54).

Kommen Sie also bitte mit bis unter das Kreuz: hier fällt aller Egoismus in den Abgrund des Todes.

Hier wird mir bewusst, wie sehr die Gewalt der Sünde jedem den Weg in die Zukunft verstellt – die eigene Sünde wie auch die Sünde der anderen, die mir schadet.

Hier werden die selbstverständliche Lüge und das Böse der Gewalt offenbart.

Hier sehe ich, was der Apostel Paulus meint, wenn er schreibt: „Christus Jesus war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.“ (Phil 2,6-8)

Und dies nicht anonym, für die Menschheit schlechthin, sondern für mich.

Wer dessen gewahr wird, wer erkennt – der hängt da am Kreuz für mich –, der kann sich nicht abwenden und teilnahmslos von dannen ziehen. Der muss sich fragen lassen, was tue ich denn? Trete ich ein in diese Zuneigung Gottes zu den Menschen?

Mutter Theresa hat einmal gesagt: „Lieben, bis es weh tut!“
Ja es gibt Liebe, die weh tut, Liebe, die anstrengt.
Die Liebe in schlechten Tagen, in Krankheit, in Krisen.
Es gibt den Schmerz der Liebe, die keine entsprechende Gegenliebe findet und auch die Liebe, die nach der Liebe Gottes ruft und anscheinend keine Antwort erfährt.
Lieben, bis es weh tut! – wer mit dieser Absicht unter dem Kreuz steht, wird erleben, dass der Tod am Kreuz Anfang eines österlichen Triumphes ist. Aber zuerst gilt es unter dem Kreuz auszuharren. Lassen wir uns jetzt darauf ein

Keine Wellness für das Weizenkorn

Gründonnerstag in Lind

Mühle – falco/pixabay

Wellness“ ist ein modernes Wort, obwohl es schon vor über 300 Jahren entstanden. Heute versteht man darunter vor allem Methoden und Anwendungen, die das körperliche, geistige und seelische Wohlbefinden steigern.

Stellen wir uns einmal vor: da ist ein Weizenkorn, das beim Aufsammeln in der Scheune übriggeblieben ist. Es hat nicht die Reise in die Mühle angetreten, wo es zu Mehl gemahlen werden sollte. Stattdessen liegt es in der Scheune, von der Sonne beschienen; ja so lässt es sich aushalten. „Wellness für das Weizenkorn“.

Aber es bleibt allein; mehr noch, es muss erfahren, ich bin zu nichts nütze. Ein Weizenkorn, das nicht gemahlen wird, dient zu nichts.

Man muss kein ein gläubiger Mensch sein, um zu erkennen, „leben nur für sich selbst“, hat keinen Sinn. So lehren Judentum und Christentum die Nächstenliebe, der Islam die Brüderlichkeit und auch die franz. Revolution und der Humanismus haben sich die Brüderlichkeit und Solidarität auf die Fahnen geschrieben.

Heute abend geht es auch um Weizenkörner und um Trauben – allerdings um Weizenkörner, die gemahlen wurden, damit aus dem Mehl Brot wird und Trauben, die zerrieben wurden, damit daraus Wein wird. Es geht um die eucharistischen Gaben, Brot und Wein. Sie sind uns Sakrament, Zeichen für Jesu Sterben und für sein Leben.

Jesus geht seinen Weg der Hinwendung zum Menschen bis zum Ende und zerbricht, wie die Körner, die gemahlen wurden, und die Trauben, die gekeltert wurden.

Es gibt keine besseren Zeichen für die Existenz Jesu als Brot und Wein. „Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut“ sagt der Herr. Es bleibt wie schon seit Noachs Zeiten: Gott bindet sich die Menschen, Gott bindet sich an uns und diese Bindung zerbricht nicht im Tod, sie hält den Tod aus. Ja, bis zum Letzten, bis aufs Blut hält er den Bund mit uns durch.

Auch unser Leben kennt Zerbrochenes. Auch unser Leben weiß, was es heißt, zwischen die Mühlsteine zu geraten, getreten, zertreten zu werden.
Jesus lässt sich darauf ein.

Unsere Zerbrechlichkeit macht er sich zu eigen. Er geht mit uns in die Nacht des Todes, die sich in so vielen Nächten des Lebens widerspiegelt.

Wegzehrung“ – nennt man die Eucharistie, die dem Sterbenden gereicht wird. Weil es auch für unseren Tod gilt: Gott bindet sich an uns und diese Bindung zerbricht nicht im Tod, sie hält den Tod aus! Den treuen Gott kann nichts von unserer Seite vertreiben. Christus bleibt der Weggefährte, indem er sich selbst uns zur Speise gibt.

„Wegzehrung“ ist die Eucharistie für jeden Angefochtenen, für jeden, der zermahlen, getreten, zertreten wird. Für jeden, dessen Schicksal dem „Schicksal“ von Brot und Wein gleicht.

Dies ist hier kein Mahl der Seligen, sondern ein Mahl der Zerbrochenen – auch dann, wenn sie nicht alle leibhaft anwesend sind. Aber sie stehen mit uns um den Altar:
die Kranken in den Krankenhäusern und bei uns zuhause;
die Menschen, deren Lebensträume zerplatzt sind wie eine Seifenblase, die vor den Scherben ihres Lebens stehen;
die Mutlosen, Resignierten, Hoffnungslosen
und so viele andere, die das Schicksal des Zerbrochen-Seins am eigenen Leib erfahren haben und erfahren.

Empfangt, was ihr seid: Leib Christi; Denn ihr werdet, was ihr empfangt: Leib Christi“ sagt der Heilige Augustinus. So werden die Zerbrochenen dieser Welt zum Leib Christi. Die Wandlung geht nicht an uns vorbei. Sie erfasst uns.

In dieser Versammlung gibt es deshalb nichts Privates mehr! Wenn wir Leib Christi sind, dann nie für uns allein nach dem Motto „Mein Jesus, mein Gott, mein Himmel“; sondern dann sind wir wie der Leib Christi immer nur für andere – so wie Jesus Existenz ein Leben für andere war.

 

Mitgehen beim Abstieg

Predigt am Palmsonntag 2024 in Mayschoß

Altar in Kirchsahr

Verstehen Sie das alles? „Andern hat er geholfen, sich selbst kann er nicht helfen!“
Wer soll das begreifen? Der Messias, der Sohn Gottes stirbt elend am Kreuz. Reden wir nicht drumherum: Wir sind unfähig, Jesu Leiden, Sterben und Tod zu begreifen. Allein die Gnade Gottes erschließt uns den Sinn dieses Weges, der nicht erst am Palmsonntag in Jerusalem begonnen hat, sondern schon in Bethlehem als kein Platz in der Herberge war.

Jesus hat von sich bekannt, dass er, der einzige Sohn, vom Vater im Himmel in die Welt gekommen ist. Damit hat Gott eine Geschichte in unserer Geschichte. Aber was ist das für eine Geschichte?
Es ist nicht die Episode eines triumphalen Gottes, dem sich alles unterwerfen muss, nicht die Geschichte eines neugierigen Gottes, der in Menschengestalt auf der Erde umhergeht, um dann schnell wieder in himmlischen Sphären zu entschwinden – wie man sich von manchen griechischen Göttern erzählt.

Es ist die Geschichte, die der Philipperbrief treffend beschreibt. Wir haben daraus wie eine Ouvertüre zur Passion in der Lesung gehört: Jesus hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.

Er entäußerte sich – in der lateinischen Vulgata-Bibel steht hier: „evacuatio“, er entleerte sich. Das heißt: er hat das Göttliche „Sein für sich“ aufgeben und ist in die Bewegung des „Sein-Für-die-anderen“ eingetreten.
Genau darin ist er der „Herr“, der Kyrios geworden, dem sich alles unterwirft, in dem es die Knie beugt und bekennt, „Jesus Christus ist der Herr“.

Der, der freiwillig gehorcht, ist der wahrhaft Herrschende;
der in die letzte Niedrigkeit Abgestiegene ist gerade dadurch der Herrscher der Welt.

In Christus hat sich Gott selbst im Absteigen offenbart.“ (Benedikt XVI., Jesus von Nazareth S.126). Deshalb besteht der Weg zu Gott „im Mitgehen bei diesem Abstieg“.

Christ- sein ist kein „Hauptgewinn“, den man strahlend besitzen kann, wie ein Beutestück, das man erobert hat und das nur für einen selbst eine Bedeutung hat, sondern Christ-sein ist immer Eintreten in die Passion, in die Leidenschaft Jesu für die Menschen.

Solange noch ein Mensch auf der großen Welt und in unserer kleinen Welt leiden muss, sind noch nicht genug, sind wir noch nicht genug diesen Weg hinab zu den Kleinen und Armen, zu den Alten, Kranken, Einsamen, Schwachen, zu den Hoffnungslosen und Resignierten mitgegangen.

Viele von Ihnen haben es am eigenen Leib erlebt – plötzlich über Nacht zählten Sie in der Flut zu den Einsamen, den Hilflosen, den Schwachen, angesichts des Verlustes von Hab und Gut auch zu den oft Hoffnungslosen. Sie kennen den Weg hinab! Und: Sie haben auch viele Menschen erlebt, die zu Ihnen hinabgestiegen sind.

Vielleicht spüren Sie es, die Karwoche ist nicht irgendeine Woche. Es ist eine Woche wie das Leben.

Es gibt viele Möglichkeiten, am Weg Jesu teilzunehmen.
Als unbeteiligter, als fassungsloser Zuschauer, als einer, der Bescheid weiß, aber schließlich fern vom Kreuz steht,
als einer der Herrschenden, für den dieser Jesus von Nazareth nur eine Episode war.

Oder als jemand, der sich entschließt, mitzugehen – nicht eiligen Schrittes, eher tastend, vorsichtig, aber entschlossen. Der Weg ist nicht leicht. Der Evangelist Lukas berichtet in seiner Passion von der Bitte des Verbrechers, der mit dem Herrn gekreuzigt wurde. Vielleicht ist seine Bitte auch das rechte Wort auch für uns: „Jesus, denk an mich!“

Den alten Adam niederreißen – Gedanken zu Joh 2,13-25

Modell des Tempels in Jerusalem

  1. Der „ungeliebte“ Tempel.
    Immer und immer wieder lesen wir im Alten Testament von der Kritik Gottes an den Opfern der Menschen. (Amos, 5,21 ff.; (Jes 1,11.14).

Die Menschen glaubten sich mit Gott im Reinen, wenn sie bestimmte Opfer erfüllten, gleichzeitig vergaßen sie jedoch die zentralen göttlichen Gebote, die Forderung der Gottes- und der Nächstenliebe. Dieser „Kultformalismus“ wird auch in den Psalmen kritisiert, etwa wenn es im Psalm 51 heißt: „Schlachtopfer willst du nicht, ich würde sie dir geben; an Brandopfern hast du kein Gefallen. Das Opfer, das Gott gefällt, ist ein zerknirschter Geist, ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz, wirst du, Gott, nicht verschmähen“.

Das ist es, was Gott will: nicht die vielen kleinen Öpferchen für jede Sünde, je nach Bedeutung und Gewichtigkeit, nicht nur die Abwendung von einzelnen Taten, sondern die grundsätzliche Hinwendung zu ihm. „Gib mir dein Herz“ (Sprüche 23,26), spricht er zu uns. Nicht das Opfer, nicht irgendeinen Teil, sondern uns selbst will Gott.

Als der König David sich beim Propheten Natan beklagt, dass er selbst in einem Zedernhaus wohne, die Bundeslade Gottes aber nur einem Zeltdach stehe, lehnt Gott den Tempelbau ab.(2 Sam 7) Nicht die Menschen sollen ihm ein Haus bauen, er selbst wird David ein Haus bauen, d.h. er wird seinem Geschlecht Bestand geben.

Es scheint, als ob nicht nur die Opfer, sondern auch der Tempelbau bereits eine Abkehr vom Ursprünglichen waren. Zeichen einer beklagenswerten Anpassung an die Umwelt. Der Tempel wird zum Synonym dessen, was Menschen aus dem Bund mit Gott gemacht haben. Es ist so, als ob dieses „Haus des Vaters“ zerstört werden müsse, um zu dem Ursprünglichen vorzustoßen.

Der alte in 46 Jahren errichtete Tempel wird zerstört und in 3 Tagen ein neuer errichtet, ein Tempel aus lebendigen Steinen, in dem neue Opfer dargebracht werden, in dem das neue Gottesvolk sich versammelt, das nicht mehr vom Makel der Untreue gekennzeichnet ist. ( 1 Petr 2,4ff)
Inwieweit ist dieser Aspekt der „Tempelreinigung“ nicht auch ein Bild dafür ist, was in unserer Gemeinschaft, in unserer Kirche immer wieder geschehen kann und geschieht, das wir uns nämlich vom Ursprünglichen entfernen, das Rituale und Formalismen verdecken, was eigentlich Sache ist?

Müssten wir nicht den Herrn bitten, dass er auch durch unsere Kirche, durch unsere Gemeinschaft mit der Geißel hindurchzieht, das hinauswirft, was nicht hineinpasst, umstößt, was ihm nicht entspricht und so für ein fruchtbares, ordnendes Chaos sorgt ?

  1. Bringt rechte Opfer dar.

In den heidnischen Tempeln lautete der Grundsatz: „Do ut des“, d.h. ich gebe, um zu bekommen. Das richtige Opfer sollte die Götter gnädig stimmen, sollte Schutz einbringen, Hilfe im Krieg, fruchtbare Ernte und was immer der Mensch von seiner Gottheit erwartete. Alles geschah nach der Devise „Wenn ich Gott etwas gebe, dann erhalte ich etwas zurück“.

Anders dagegen im Tempel zu Jerusalem. Hier sollte  gefeiert werden, dass Gott jedem menschlichen Tun mit seiner Gnade zuvorkommmt. Das Leben ist geschenkt, es kommt umsonst von Gott. Es gab nichts zu handeln zwischen Mensch und Gott. Keinen Preis, den der Mensch hätte zahlen können, um Gottes Handeln zu beeinflussen.

Im Bereich des Tempels erleben wir nun Handel, Kaufen und Verkaufen. Nicht mehr das Umsonst, nicht mehr die Gnade, sondern das Gesetz des Marktes bestimmt das Leben hier.
Aber: der Tempel ist der Ort der Gnade. Kein Handel darf hier getrieben werden.

Da erinnern wir uns auch an Praktiken in der Kirchengeschichte und auch heute, die dieses vergessen lassen. Ich denke da an all jene Dinge, die verlangt wurden bzw. die freiwillig getan wurden, um Gottes Handeln zu beeinflussen, um sich gleichsam schon auf Erden die Eintrittskarte für das Himmelreich verschaffen zu können.

Es gib keinen Preis, den wir zahlen könnten, denn er ist ein für allemal gezahlt, nicht in einer Währung dieser Welt, sondern „mit einem kostbaren Blut, wie von einem Lamm ohne Fehl und Makel“ (1 Petrus 1,19). Das rechte Opfer ist allein mein Leben, das sich vollzieht in dieser Spannung von Gottes- und Nächstenliebe, das immer wieder eintaucht in die Geborgenheit seiner Nähe und gleichzeitig geprägt ist von der Zuwendung zu den Menschen. Mein Leben wird so zu einem Echo seiner Gnade, nicht aber zu ihrer Voraussetzung.

Wißt ihr nicht, daß ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“. (1 Kor 3,16) Wir sind also Orte der Gnade. Orte, wo sich diese Gnade Gottes ereignet, wo sie greifbar, spürbar, erlebbar wird. Wenn jedoch dieser Tempel allzusehr beherrscht ist von den Gesetzen des Marktes, wenn das Geld und alles was damit zusammenhängt, der Gewinn und der Profit, das Haben und das Haben müssen, mich beherrscht, dann werde ich für diese Einbrüche der Gnade Gottes in mein Leben keinen Blick mehr haben, dann sind meine Hände zuerst einmal beschäftigt mit dem Halten und Festhalten, dem Nehmen und Ergreifen, und später ist auch mein Herz erfüllt davon und nicht mehr offen für Gottes Zuwendung.

Hier setzt der Herr an mit seiner Reinigung, hier will, hier muss er vieles aus meinem Leben vertreiben, vieles umstürzen, ein Chaos anrichten.

3.  „Der neue Adam“.
Hinter der Zahl 46 verbirgt sich der Name Adam. Für die Juden und auch für die Griechen haben nämlich die Buchstaben gleichzeitig auch die Bedeutung von Zahlen. So entspricht der Buchstabe A, im Griechischen Alpha, im Hebräischen Aleph der 1. Der Buchstabe D, im Griechischen Delta, im Hebräischen Daleth der 4. Und der Buchstabe M, im Griechischen My, im Hebräischen Mem der Zahl 40. Dies ergibt im Griechischen zusammengezählt zweimal A gleich 2, plus 1 mal 4 gleich 6 plus 40 gleich 46.

Es ist also der alte Adam, der alte Mensch, der durch die Sünde korrumpierte Mensch, der hier eingerissen wird und auferweckt wird Christus, der neue Adam, der mit Gott in jener Harmonie lebt, die Gott von Anfang der Schöpfung an für ihn gedacht hat.

Das Wort Adam ist im Hebräischen verwandt mit dem Wort Duma, das Schweigen, Stille bedeutet, und mit dem Wort Dome, das gleichen bedeutet. Adam ist also das Ebenbild Gottes, der, der ihm gleicht, und zwar im Schweigen in der Stille. Dann ist er gleichsam bei Gott zu Haus und Gott bei ihm, ist er das Haus Gottes.

(1 Kön 6,7). Stille und Schweigen prägen auch den Bau des Tempels.
Wenn vom Adam, vom Menschen also die Rede ist, muss Gott mitgedacht werden, das Geschöpf ist nicht vom Schöpfer zu trennen, es ist unlösbar mit ihm verbunden.

Der zweite Buchstabe des Wortes Adam, das D, im Hebräischen das Daleth bedeutet Tür.

Zum Menschen gehört nicht nur das „Bei-Gott-sein“, sondern auch das Geöffnetsein, das „Bei- den- Menschen“ sein, die Beziehung, die Gastfreundschaft.

Der letzte Buchstaben des Wortes Adam, im Hebräischen das Mem. Dieses Wort bedeutet Wasser. Wasser fließt und ist ein Bild für die Zeit. Wasser fließt immer auf ein Ziel zu – ist Zeichen der Hoffnung, die in jedem Menschen lebt, der im Fließen der Zeit sein Leben gestaltet.

So haben wir also nun ein Bild von diesem neuen Adam, der in der Stille dem Geheimnis seiner Gottebenbildlichkeit nachspürt, der geöffnet lebt in einem Beziehungsgeflecht und der ein Ziel hat.

Ich denke mir, dass spätestens an diesem Punkt die Tempelreinigung nun auch für uns zu einem ganz persönlichen Erlebnis wird. Nicht die Juden, wir sollen den alten Adam in uns niederreißen, jenen Adam, der nicht Gott gleichen, sondern Gott sein wollte, auf sich fixiert, auf sich beschränkt. Und auferstehen muß in uns der neue Adam, der uns nur gelingen wird, wenn Christus selbst Hand anlegt.