Wir wagen es!

Einer der 4.Altäre in Dernau

Predigt an Fronleichnam in Dernau/Ahr
Auf die Predigt könnte ich heute eigentlich verzichten, denn sie und ich, wir alle sind heute die Predigt. Wenn wir nach der Messe in Prozession durch die Straßen unseres Ortes ziehen, dann ist das ein Bekenntnis, wie eine Predigt auf vielen Beinen. Aber was erwartet uns da draußen?

Nicht nur Menschen, die Beifall klatschen, die das gut finden, dass wir uns auf den Weg machen, auch wenn sie selbst nicht mitgehen.

Es wird auch viele geben, die den Kopf schütteln und sich abwenden. Die von alten Zöpfen reden, die man endlich abschneiden müsste.

Andere werden innerlich und hoffentlich nicht lautstark schimpfen, weil unsere Kirche nicht den besten Ruf hat.

Damit meine ich nicht nur die Missbrauchsfälle, ich meine auch den Umgang der Kirche mit Frauen, mit Wiederverheirateten Geschiedenen, mit Menschen, die unverheiratet, zusammenleben, mit queeren Menschen. Ich meine auch die endlosen Diskussionen um die Strukturen, die Zusammenlegungen von Gemeinden, das Schließen von Kirchen.

Unsere Kirche hat wahrlich nicht mehr den besten Ruf. Es hat sich auch einiges getan in den letzten Jahren. Aber oft erlebe ich unsere Kirche wie eine Springprozession:  zwei Schritte vor und wieder einen zurück.

Und trotzdem trauen wir uns heute raus – wir wagen es. Weil wir eine Botschaft haben – eine dreifache Botschaft.

  1. Die Eucharistie ist niemals etwas rein Privates.

Das wird schon hier in der Kirche deutlich, das zeigt sich erst recht, wenn wir gleich auf die Straße gehen. Menschen unterschiedlichen Alters, Geschlechts, sozialen Standes und unterschiedlicher politischer Auffassungen sind hier versammelt. Wir haben uns einander nicht ausgesucht.

Das ist kein exklusiver Freundschaftsclub, sondern eine Gemeinschaft, die geeint ist durch den Glauben an Christus und durch den Ruf Christi, den wir im Eucharistischen Brot anbeten und verehren.

Deshalb entfernt uns diese Feier nicht von den Menschen, erst recht nicht in dem Sinne, dass hier drinnen die heile Welt sei und draußen die böse.

Weil wir dem folgen, der vor dem Menschen niederkniete, um ihm die schmutzigen Füße zu waschen, sind wir herausgefordert: es geht darum die Welt, die große wie unsere kleine, zu einem Ort zu machen, wo es sich gut, vor allem aber menschenwürdig leben lässt.

Deshalb wagen wir uns raus – weil wir uns als Christen nicht selbst genügen.

  1. Wir feiern Fronleichnam im Gehen.

Gleich in der Prozession gehen wir, wir machen einen Schritt und noch einen Schritt so wie im „richtigen Leben“.

  • Da geht es manchmal vorwärts ohne jede Mühe,
  • da kommt man aber auch mal ins straucheln,
  • da stolpert man
  • da geht es anscheinend nicht mehr weiter,
  • da läuft man im Kreis,
  • da will man nicht mehr.

Wir spüren es jeden Tag. Wir alle brauchen Gefährten und Gefährtinnen,

  • die mit uns gehen, die den Weg mit uns teilen,
  • die uns halten können, wenn wir straucheln,
  • die uns die Richtung weisen, wenn wir die Orientierung verloren haben,
  • die uns aufhelfen und Mut machen, wenn es nicht mehr weitergeht.

Wenn wir gleich mit der Monstranz durch die Straßen ziehen dann machen wir dadurch deutlich, dass Christus für uns der ist, der uns zum Gefährten wird, wenn menschliche Gefährtenschaft nicht oder nicht mehr möglich ist.

Gleichzeitig bekennen wir, dass in jedem, der mit uns geht, dass in jedem, der uns die Hand hält, in jedem, der uns Mut macht, uns Christus selbst begegnet.

Deshalb wagen wir uns raus – weil wir den Menschen sagen wollen: wir können nur miteinander, wir können nur mit Euch!

  1. Wir tragen Christus durch unsere kleine Welt.

Wir vertrauen die Straßen, die Häuser, auch die kaputten, die geflickten und die wieder aufgebauten, die Menschen, die in diesen Häusern wohnen und arbeiten, den ganzen Ort der Güte Gottes an.

Wir bringen gleichsam vor seine Augen die Leiden der Kranken, die Einsamkeit der Jungen und Alten, die Versuchungen und Ängste, das ganze Leben hier im Tal.

Im Bewusstsein, dass all unser Bemühens endlich ist, verehren wir den, dessen Auferstehung den Sieg über den Tod, über die Endlichkeit darstellt.

Die Eucharistie ist die Begegnung mit der Liebe, die stärker ist als der Tod. Deshalb wagen wir uns raus, um dem so oft Leblosen das Leben zu zeigen.

„Der Weg der Kirche ist der Mensch“ – hat der Heilige Johannes Paul II. gesagt.
Ob die Menschen die Botschaft dieser Prozession verstehen, hängt auch von uns ab.
Der Weg der Kirche ist der Mensch – unser Weg endet nicht hier in der Kirche. Er führt nach dem Schluss-Segen weiter zu den Menschen.

LückenFÜLLER – kein Lückenbüßer

Die Situation ist nicht gerade prickelnd: der Chef ist weg, die Führungsriege dezimiert, die Umwelt mehr ablehnend als freundlich gesinnt.
Hätten Sie da Lust in das Unternehmen einzusteigen? Oder würden Sie lieber erst mal sehen, wie die Sache weitergeht? Nach dem Motto: Mitmachen kann man ja immer noch.

Das ist die Situation, in der sich die junge Gemeinde in Jerusalem versammeln. (Apg 1,15-17.20ac-26) . Abgeschottet von der Außenwelt, die nichts von ihnen hält. Petrus übernimmt das Wort. Für ihn steht fest: Judas ist an allem schuld; obwohl sich Petrus selbst ja auch nicht mit Ruhm bekleckert hat. Nach der Verhaftung Jesu in Jerusalem hatte er getönt: „ich kenne den Menschen nicht.“

Inzwischen hat der Auferstandene ihn wohl wieder rehabilitiert, so dass er jetzt die Rolle übernimmt, die ihm Jesus zugedacht hatte: der Fels.

Ein Ersatz für Judas muss her. Die Stellenbeschreibung ist einfach: Er muss Mann sein – so ist das bei der Führungsriege in der Kirche bis heute – leider.
Er muss jemand sein, der von Anfang an gemeinsam mit den Aposteln und Jesus unterwegs gewesen ist. Und er muss, wie die anderen Apostel, Zeuge der Auferstehung sein. Ein klar umrissenes Anforderungsprofil.

Es gibt unter den 120 Anwesenden keine große Auswahl: Zwei Männer kommen in die engere Wahl. Joseph, genannt Barsabas, mit dem Beinamen Justus, und Matthias, ohne weitere Hinzufügungen. Ganz einfach.

Anders als heute erwartet sie keine große Karriere: die kleine Schar Christen ist nicht mächtig, sondern eher ein verängstigte Gruppe, die sich häufig lieber hinter verschlossenen Türen aufhält. Da drängt man sich nicht in den Vordergrund. So zu enden wie Jesus ist nicht erstrebenswert.
Zwei Männer stehen zur Wahl – aber es gibt keine Stimmzettel, kein Abstimmung mit Handzeichen. Die Anwesenden legen die Entscheidung in die Hand Gottes. Das Los soll entscheiden.
Nicht weil die Versammlung sich nicht entscheiden konnte, sondern, so lässt es die Apostelgeschichte vermuten, weil Gott hier mitspielen, mitwirken soll.

Das Los! Schwarz oder weiß! –
Und das Los fiel auf Matthias. – Mehr erfahren wir nicht.

Wie mag er sich gefühlt haben?
als Lückenbüßer; als Ersatzmann; als Reservespieler, der nur zum Einsatz kommt, weil einer aus der Stammmannschaft versagt hat. Das kratzt am Ego.

Wenn wir es mit den Augen der Welt sehen, die darauf aus ist, dass jeder und jede sich selbstverwirklicht, dass es nur aufwärts geht und der eigene Lebensweg keinen Knick erfährt – dann kann man so denken: das kratzt am Selbstwertgefühl.

Wenn wir aber auf die Realität des Lebens schauen, dann sieht es anders aus:
es gibt die Aufgaben hier am Ort, in der Familie, im Verein, in der Gesellschaft, hier in der Gemeinde, in unserer Kirche, die müssen getan werden.
Aufgaben, die Menschen brauchen, die sie erledigen, die anpacken und vielleicht sogar bereit sind, sich die Hände schmutzig zu machen.

Und die, die dann in die Lücke springen, die sich auftut, sind keine Lückenbüßer, sondern Lückenfüller. Menschen, ohne die es an vielen Stellen nicht weiterginge und vieles auf der Strecke bleiben würde.

Matthias ist ein solcher Lückenfüller. Er kann noch nicht wissen, was aus der Sache Jesu wird. Aber er ist bereit, dafür einzustehen, weil es ihm wichtig ist.
„Die Sache Jesu braucht Begeisterte.
Sein Geist sucht sie auch unter uns.
Er macht uns frei, damit wir einander befrein.“, heißt es in einem  geistlichen Lied, das Sie vielleicht bei Ihrer Firmung gesungen haben.

So wird der Matthias zum Patron, zum Begleiter all‘ derer, die bereit sind, Lücken zu füllen, die sich auftun in Gesellschaft und Kirche.
Die nicht zögern, weil sie nicht wissen, wie die Sache ausgeht.
Die etwas wagen, die Neuland betreten im Vertrauen darauf, dass Gott das gute Tun begleitet.

Ich bin sicher, auch heute sitzen viele unter uns, die an unterschiedlichen Stellen bereit waren und sind, eine Lücke zu füllen – wie Matthias es getan.

Wir wissen nicht viel über den Heiligen Matthias – aber immerhin hat er es zum Patron des Bistums Trier gebracht. Wenn das kein Anreiz ist, Lücken zu füllen, wo man gebraucht wird.

Predigt am 12.Mai 2024 in Dernau/Ahr

 

Josef – Patron der Randfiguren

Auf Ikonen und mittelalterlichen Weihnachtsdarstellungen wird er oft am Rand dargestellt, zusammengekauert, schlafend, ohne Einfluß auf das Geschehen: Josef, dessen Fest wir heute feiern.

Von ihm ist kein Wort im Neuen Testament überliefert und außer in der Kindheitsgeschichte findet sein Name kaum eine Erwähnung. Er scheint wirklich eine Randfigur zu sein.

Doch die Existenz Jesu ist ohne ihn nicht denkbar: er nimmt die Frau mit dem „unehelichen“ Kind als Ehefrau an und bewahrt sie so vor der Steinigung.
Er gibt dem Kind juristisch die Vaterschaft und stellt es so hinein in die große Tradition seines Volkes.
Er flüchtet mit Frau und Kind nach Ägypten, und Jesu entgeht so der herodianischen Verfolgung.

Dies alles immer auf die Weisung Gottes hin. Josef ist der lebendige Beweis, daß Träume keine Schäume sind, sondern daß in ihnen Gott selbst zu uns sprechen kann.
Er ist der Mann, der hört und geht, der aufbricht ohne lange zu zögern, der handelt ohne Wenn und Aber, der so die Heilsgeschichte voran bringt.

Vielleicht hat ihm deshalb die christliche Frömmigkeit einen bedeutenderen Platz eingeräumt als die Theologen. Wir spüren in uns das Verlangen, wir er handeln zu können: ohne die vielen faulen Kompromisse, die wir oft machen. Wir wünschen uns die Klarheit des Weges, die Sicherheit des nächsten Schritts, die ihm eigen war.

Ihm gebührt ein Platz in der Mitte und nicht am Rand. Aber: es ist heute wie damals: die, die im Licht stehen, bedürfen derer, die in ihrem Schatten leben.

Wir können es im Alltag unseres Lebens durchbuchstabieren: was wäre der beste Chef ohne seine umsichtige Sekretärin, was wäre die beste Schauspielerin ohne ihren Agenten, was wäre der beste Koch ohne seine Küchenhilfen, was wäre der beste Herzchirurg ohne die OP-Schwester, was wäre die beste Politikerin ohne die vielen, die ihr zuarbeiten, was wäre unsere Gesellschaft ohne die vielen Namenlosen, die niemals Schlagzeilen machen, die nie im Rampenlicht stehen, ohne die aber nichts richtig vorankommen würde.

Josef scheint der Patron all dieser Randfiguren zu sein. Er rückt sie alle ins rechte Licht. So wird sein Festtag zu einem Dank für alle, die uns das Leben ermöglichen und die so selten unsere Beachtung finden.