Swiftkirchen am See Genezareth

Waren Sie schon einmal in Swiftkirchen? Vielleicht wissen Sie gar nicht, dass es den Ort gibt. Vor zwei Wochen hat sich die Stadt Gelsenkirchen für ein paar Tage in Swiftkirchen umbenannt. Die Popsängerin Taylor Swift gab dort einige Konzerte. 200.000 Menschen pilgerten dorthin, weil sie sich davon gute Musik und einen unterhaltsamen Abend versprachen.

200.000 Menschen an drei Abenden. Daran musste ich denken als ich das 6.Kapitel des Johannes-Evangeliums (Joh 6,1-15) las. Eine große Menge Menschen begleitete Jesus, viele Fans – würde man heute sagen – , die sich etwas von ihm erhofften, ein gutes Wort, Trost, Heilung. 5000 Menschen – für die Gegend um den See Genezareth mit ihren kleinen Städten und Gemeinden eine vergleichbare Menge wie jene 200.000 Menschen in Swiftkirchen.

Welche Fülle! Aber versuchen wir, uns nicht von der Zahl blenden zu lassen – schauen wir noch einmal auf den Text:

„Alle Menschen wollten zu ihm“ – hieß es. Jesus sieht die Bedürfnisse der Menschen. Wer Hunger hat, kann nicht mehr zuhören.  Wer wirklich Hunger hat,  ist in seinen Gedanken nur noch mit dem Überleben beschäftigt „Wo können wir Brot kaufen?“

Philippus, einer seiner Jünger, wird von Jesus als Erster mit der Frage konfrontiert. Ihm ist klar: Brot für zweihundert Silberstücke würde nicht ausreichen.

Und jetzt? Andreas weiß, einer hat etwas Eßbares dabei: „Ein Kind ist hier. Das hat fünf Gerstenbrote, dazu zwei Fische“. Als er es ausspricht ist ihm klar: Was ist das für so viele?

 Jesus nimmt das, was da ist – Er jammert nicht, weil es nicht mehr ist. Er macht niemandem einen Vorwurf! Er dankt für das Wenige.

Halten wir einen Moment an – schauen wir auf das Wenige, das wir haben:
Zu wenig Geld – werden Sie jetzt vielleicht auch lachend sagen.

Aber es gibt bei uns auch
zu wenig Zeit zum Zuhören;
zu wenig Ehrlichkeit mir selbst gegenüber;
zu wenig Kraft zur Stille;
zu wenig Offenheit dem anderen gegenüber;
zu wenig Freiheit, um zu teilen und zu schenken;
zu wenig Vertrauen,
zu wenig Mut zum Glauben;
zu wenig Zeit zum Beten;
zu wenig Freude am Leben;
zu wenig Dankbarkeit;
zu wenig – Liebe….

In der Geschichte nimmt  Jesus nimmt das Wenige und dankt, denn das Wenige ist für ihn ein Teil der Fülle, die Gott schenkt.

Was danach geschieht, berichtet Johannes ganz lapidar, es klingt überhaupt nicht aufregend, nicht mirakulös – Brot und Fisch werden ausgeteilt und es reicht für alle.

Der Evangelist spricht weder von einer Brotvermehrung, noch von einem Wunder – nur von einer Fülle, die erwachsen ist aus dem Teilen und Weitergeben. Die Fülle des Lebens erwächst aus dem Teilen und Weitergeben.

Während wir uns noch fragen: wie kann das sein? übersehen wir, dass es wirklich ein Wunder ist: im Teilen und Verteilen wirkt Gott das Wunder –

Vielleicht haben Sie es auch schon mal erlebt:
wenn Sie das Wenige, das Sie hatten, geteilt haben,
das Wenige an Zeit, an Mut, an Vertrauen, an Dankbarkeit und Liebe – ist daraus mehr geworden!

Der Herr bedient sich dessen, was da ist – aus unserem menschlichen Zu-wenig wird durch Jesus die Fülle offenbar.

Die Fülle des Lebens kommt in den Menschen zu uns, die mit uns teilen. Dies ist eine andere Fülle, ein anderer Reichtum als der des Habens und Besitzens.

Unter den Händen der Menschen, die teilen, entsteht eine neue Welt – die Bibel würde sagen „Das Reich Gottes“.

Aber: so schnell lernen die Menschen das nicht – weder damals am See Genezareth, noch heute. Kaum sind sie gesättigt, haben sie eine merkwürdige Idee: dieser Jesus könnte doch unser König werden, unser Brotkönig, zuständig für das tägliche Brot.

Aber Jesus entzieht sich ihnen. So geht es nicht. Die Fülle des Lebens erwächst aus dem Teilen und Weitergeben – es muss nicht immer Brot sein!

Predigt am 27.7,2024 bei der Anna-Kirmes in Weidenbach

 

3 Jahre nach dem Karfreitag des Ahr-Tals

Installation von Annemie Ulrich in Hönningen mit Collage von Wolfgang Kutzner aus Staffel

Es war schon schlimm: viele hatten ihre Häuser, ihr Hab und Gut verloren. Viele waren gestorben. Viele fern von Ihren Lieben. Viele waren verzweifelt, resigniert. Nein das ist keine Beschreibung von der Flut und ihren Folgen, die das Tal vor 3 Jahren heimgesucht hat.
Dies ist die Beschreibung einer 2500 Jahre alten Erfahrung, die das Volk Israel gemacht hat. Manche sprechen vom „Karfreitag Israels“, der Zerstörung des Tempels in Jerusalem, der Verschleppung großer Teile der Bevölkerung ins babylonische Exil fern von der Heimat.

Vielleicht werden die Historiker auch einmal vom „Karfreitag des Ahr-Tals“ sprechen, wenn sie von der großen Flut reden.

Vor 2500 Jahren trat der Prophet Jeremia auf. Er forderte die Israeliten auf, die Situation anzunehmen, nicht auf jene falschen Propheten zu hören, die eine schnelle Veränderung versprachen, die der guten alten Zeit nachtrauerten und den Menschen vorgaukelten, dass alles bald wieder so sein kann, wie es früher war.

Dem Propheten war klar, es gibt zwei Möglichkeiten, wie man sich verhalten kann: die eine ist, sich abzuschotten, vielleicht innerlich auszuwandern. Dann kann man kräftig kritisieren und darauf warten, dass sich etwas ändert oder, noch besser, dass jemand anderes für einen die Karre aus dem Dreck zieht.
Die andere, die bessere Möglichkeit ist die, die Jeremia empfiehlt: die Zukunft zu gestalten, statt abzuwarten oder zu verzagen.

Für diese Haltung hat er auch ein mutmachendes Gotteswort parat: Ich will euch Zukunft und Hoffnung geben. (Jer 29,11)

Ich weiß, dass viele hier im Tal mit Gott gehadert haben, verzweifelt ihre Klage in den Himmel geschrien haben. Sie haben gefragt nach dem „Warum“, aber der Himmel blieb stumm und gab keine Antwort. Ja, es war ein „Karfreitag dieses Tals“, an dem die Klage von Golgotha „Mein Gott, warum hast du uns verlassen?“ tausendfach gehört wurde.

Vieles ist seitdem geschehen, vieles, was ich gerne als „Hoffnungszeichen“ bezeichne, die man für die eigene Hoffnung benötigt:

Zuerst kamen die vielen Helferinnen und Helfer aus allen Himmelsrichtungen, um mit anzupacken und zu trösten. Es waren Engel mit Menschengesichtern. „Alle 15 Minuten verliebt sich ein Helfer ins Ahrtal“, steht in Dernau an einer Hauswand geschrieben.

Dann kam die Zeit der Entscheidungen: bleiben wir oder gehen wir? Bauen wir wieder auf oder reißen wir ab? Bekommen wir Hilfe vom Staat, von Versicherungen? Die Betroffenen machten Bekanntschaft mit der deutschen Bürokratie, die nur Ordnung, aber keine Katastrophen kennt. Viele haben es trotzdem geschafft: Sie konnten aufbauen, neu bauen, renovieren, restaurieren.

Viele Wunden sind überall noch zu sehen und werden wohl auch noch länger bleiben. Ganz zu schweigen von den unsichtbaren Wunden der Seelen.

Hoffnung – gesehen in Dernau

Das Wort des Propheten Jeremia „ich will euch Zukunft und Hoffnung geben“ hat sich an vielen Stellen schon bewahrheitet und bleibt weiterhin gültig.

Ich möchte noch zwei andere Worte dazu legen, damit deutlich wird, in welcher Spannung wir leben und worauf es ankommt. Der Heilige Ignatius von Loyola hat gesagt: „Handle so, als ob alles von dir abhinge, in dem Wissen aber, dass in Wirklichkeit alles von Gott abhängt“. Oder anders formuliert: bete, als ob alles von Gott abhängt und handle so, als ob alles von dir abhängt.

Im Psalm 18 betet der Beter, nachdem er eine große Not überstanden hat: „der HERR, mein Gott, macht meine Finsternis hell, mit meinem Gott überspringe ich Mauern.“ (Psalm 18, 29b.30b)

Wenn wir unsere geschenkte Zukunft gestalten wollen, erleben wir, dass wir immer wieder auf Mauern stoßen. Drei Mauern erkenne ich:

  1. Die Mauer des harten Herzens

Wer in diesen Tagen die Nachrichten verfolgt, muss erschrocken sein über das alles, was an Grausamkeit, an Aggression, an Egoismus, an blinder Gewalt aus dem Herzen des Menschen hervorgebrochen ist.

Diese Mauer werden wir überwinden können, wenn nicht Selbstverwirklichung und die Verteidigung der eigenen Interessen und Ansprüche unser Handeln bestimmen, sondern die Hinwendung zum Nächsten, das Aufeinander-hören, das Wahrnehmen des anderen. Dann können wir vergeben und uns wird vergeben, dann können wir schenken und uns beschenken lassen.

  1. Die Mauer der ausgebeuteten Natur

Die Flut hat es auch uns gezeigt: Die Natur zeigt uns ihre Grenzen. Nicht alles, was technisch möglich ist, ist auch nachhaltig machbar. Rohstoffkrise, Energiekrise, Ernährungskrise, Umweltkrise – alles Hinweise darauf, dass sich die Vorräte und Lebensräume unserer Welt nicht beliebig vermehren lassen.

Diese Mauer werden wir überwinden, wenn wir die Grenzen, die uns Natur setzt, akzeptieren. Wenn wir unseren Lebensstil verändern. Ob wir wollen oder nicht. Wir können nur im Einklang mit der Natur leben und nicht indem wir sie ausrauben und ausbeuten.

  1. Die Mauer des gestörten Miteinanders

Dank der Mobiltelefone, die die meisten von uns haben, sind wir heute in unserer Tasche mit der ganzen Welt vernetzt. Gleichzeitig sind wir so durchsichtig wie noch nie vorher in der Weltgeschichte: das Netz weiß vieles von uns, wo wir uns aufhalten, welche Musik wir lieben, welche Filme wir sehen, mit welchen Menschen wir im engen Kontakt stehen. Und doch hat die Einsamkeit unter den Menschen zugenommen.

Diese Mauer des gestörten Miteinanders werden wir überwinden, wenn wir lernen, das „Ich“ klein zu schreiben und das „Du“ groß zu schreiben. Das Miteinander gelingt, wenn es uns darum geht, nicht verstanden zu werden, sondern zu verstehen, nicht geliebt zu werden, sondern zu lieben.

Mit unserem Gott können wir diese Mauern überspringen und Zukunft gestalten.

Gesehen an einem Fluthaus in Dernau

Ich will euch Zukunft und Hoffnung geben – wir werden es auch weiter erleben, wenn wir darum beten und selbst auch handeln.
Sagen Sie jetzt bitte nicht: wir sind zu wenige. In der jüdischen Tradition heißt es: es genügen zwei, um eine Sache zu verändern – so wie der Herr im heutigen Evangelium (Mk 6,7-13) die Jünger immer zu zweit ausgesandt habt. Ich zähle hier schon mehr als Zwei.

 

Predigt am 14.Juli 2024 in Hönningen/Ahr
Wertvolle Impulse für diese Predigt verdanke ich der Ansprache von Klaus Hemmerle am 13. September 1978 in der Eröffnungsveranstaltung des 85. Deutschen Katholikentags 1978 in Freiburg i. Br.