3 Jahre nach dem Karfreitag des Ahr-Tals

Installation von Annemie Ulrich in Hönningen mit Collage von Wolfgang Kutzner aus Staffel

Es war schon schlimm: viele hatten ihre Häuser, ihr Hab und Gut verloren. Viele waren gestorben. Viele fern von Ihren Lieben. Viele waren verzweifelt, resigniert. Nein das ist keine Beschreibung von der Flut und ihren Folgen, die das Tal vor 3 Jahren heimgesucht hat.
Dies ist die Beschreibung einer 2500 Jahre alten Erfahrung, die das Volk Israel gemacht hat. Manche sprechen vom „Karfreitag Israels“, der Zerstörung des Tempels in Jerusalem, der Verschleppung großer Teile der Bevölkerung ins babylonische Exil fern von der Heimat.

Vielleicht werden die Historiker auch einmal vom „Karfreitag des Ahr-Tals“ sprechen, wenn sie von der großen Flut reden.

Vor 2500 Jahren trat der Prophet Jeremia auf. Er forderte die Israeliten auf, die Situation anzunehmen, nicht auf jene falschen Propheten zu hören, die eine schnelle Veränderung versprachen, die der guten alten Zeit nachtrauerten und den Menschen vorgaukelten, dass alles bald wieder so sein kann, wie es früher war.

Dem Propheten war klar, es gibt zwei Möglichkeiten, wie man sich verhalten kann: die eine ist, sich abzuschotten, vielleicht innerlich auszuwandern. Dann kann man kräftig kritisieren und darauf warten, dass sich etwas ändert oder, noch besser, dass jemand anderes für einen die Karre aus dem Dreck zieht.
Die andere, die bessere Möglichkeit ist die, die Jeremia empfiehlt: die Zukunft zu gestalten, statt abzuwarten oder zu verzagen.

Für diese Haltung hat er auch ein mutmachendes Gotteswort parat: Ich will euch Zukunft und Hoffnung geben. (Jer 29,11)

Ich weiß, dass viele hier im Tal mit Gott gehadert haben, verzweifelt ihre Klage in den Himmel geschrien haben. Sie haben gefragt nach dem „Warum“, aber der Himmel blieb stumm und gab keine Antwort. Ja, es war ein „Karfreitag dieses Tals“, an dem die Klage von Golgotha „Mein Gott, warum hast du uns verlassen?“ tausendfach gehört wurde.

Vieles ist seitdem geschehen, vieles, was ich gerne als „Hoffnungszeichen“ bezeichne, die man für die eigene Hoffnung benötigt:

Zuerst kamen die vielen Helferinnen und Helfer aus allen Himmelsrichtungen, um mit anzupacken und zu trösten. Es waren Engel mit Menschengesichtern. „Alle 15 Minuten verliebt sich ein Helfer ins Ahrtal“, steht in Dernau an einer Hauswand geschrieben.

Dann kam die Zeit der Entscheidungen: bleiben wir oder gehen wir? Bauen wir wieder auf oder reißen wir ab? Bekommen wir Hilfe vom Staat, von Versicherungen? Die Betroffenen machten Bekanntschaft mit der deutschen Bürokratie, die nur Ordnung, aber keine Katastrophen kennt. Viele haben es trotzdem geschafft: Sie konnten aufbauen, neu bauen, renovieren, restaurieren.

Viele Wunden sind überall noch zu sehen und werden wohl auch noch länger bleiben. Ganz zu schweigen von den unsichtbaren Wunden der Seelen.

Hoffnung – gesehen in Dernau

Das Wort des Propheten Jeremia „ich will euch Zukunft und Hoffnung geben“ hat sich an vielen Stellen schon bewahrheitet und bleibt weiterhin gültig.

Ich möchte noch zwei andere Worte dazu legen, damit deutlich wird, in welcher Spannung wir leben und worauf es ankommt. Der Heilige Ignatius von Loyola hat gesagt: „Handle so, als ob alles von dir abhinge, in dem Wissen aber, dass in Wirklichkeit alles von Gott abhängt“. Oder anders formuliert: bete, als ob alles von Gott abhängt und handle so, als ob alles von dir abhängt.

Im Psalm 18 betet der Beter, nachdem er eine große Not überstanden hat: „der HERR, mein Gott, macht meine Finsternis hell, mit meinem Gott überspringe ich Mauern.“ (Psalm 18, 29b.30b)

Wenn wir unsere geschenkte Zukunft gestalten wollen, erleben wir, dass wir immer wieder auf Mauern stoßen. Drei Mauern erkenne ich:

  1. Die Mauer des harten Herzens

Wer in diesen Tagen die Nachrichten verfolgt, muss erschrocken sein über das alles, was an Grausamkeit, an Aggression, an Egoismus, an blinder Gewalt aus dem Herzen des Menschen hervorgebrochen ist.

Diese Mauer werden wir überwinden können, wenn nicht Selbstverwirklichung und die Verteidigung der eigenen Interessen und Ansprüche unser Handeln bestimmen, sondern die Hinwendung zum Nächsten, das Aufeinander-hören, das Wahrnehmen des anderen. Dann können wir vergeben und uns wird vergeben, dann können wir schenken und uns beschenken lassen.

  1. Die Mauer der ausgebeuteten Natur

Die Flut hat es auch uns gezeigt: Die Natur zeigt uns ihre Grenzen. Nicht alles, was technisch möglich ist, ist auch nachhaltig machbar. Rohstoffkrise, Energiekrise, Ernährungskrise, Umweltkrise – alles Hinweise darauf, dass sich die Vorräte und Lebensräume unserer Welt nicht beliebig vermehren lassen.

Diese Mauer werden wir überwinden, wenn wir die Grenzen, die uns Natur setzt, akzeptieren. Wenn wir unseren Lebensstil verändern. Ob wir wollen oder nicht. Wir können nur im Einklang mit der Natur leben und nicht indem wir sie ausrauben und ausbeuten.

  1. Die Mauer des gestörten Miteinanders

Dank der Mobiltelefone, die die meisten von uns haben, sind wir heute in unserer Tasche mit der ganzen Welt vernetzt. Gleichzeitig sind wir so durchsichtig wie noch nie vorher in der Weltgeschichte: das Netz weiß vieles von uns, wo wir uns aufhalten, welche Musik wir lieben, welche Filme wir sehen, mit welchen Menschen wir im engen Kontakt stehen. Und doch hat die Einsamkeit unter den Menschen zugenommen.

Diese Mauer des gestörten Miteinanders werden wir überwinden, wenn wir lernen, das „Ich“ klein zu schreiben und das „Du“ groß zu schreiben. Das Miteinander gelingt, wenn es uns darum geht, nicht verstanden zu werden, sondern zu verstehen, nicht geliebt zu werden, sondern zu lieben.

Mit unserem Gott können wir diese Mauern überspringen und Zukunft gestalten.

Gesehen an einem Fluthaus in Dernau

Ich will euch Zukunft und Hoffnung geben – wir werden es auch weiter erleben, wenn wir darum beten und selbst auch handeln.
Sagen Sie jetzt bitte nicht: wir sind zu wenige. In der jüdischen Tradition heißt es: es genügen zwei, um eine Sache zu verändern – so wie der Herr im heutigen Evangelium (Mk 6,7-13) die Jünger immer zu zweit ausgesandt habt. Ich zähle hier schon mehr als Zwei.

 

Predigt am 14.Juli 2024 in Hönningen/Ahr
Wertvolle Impulse für diese Predigt verdanke ich der Ansprache von Klaus Hemmerle am 13. September 1978 in der Eröffnungsveranstaltung des 85. Deutschen Katholikentags 1978 in Freiburg i. Br.

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