„Seid umschlungen“ – es macht Spaß, einmal im Jahr einzutauchen in die große Menge, ohne Rücksicht auf gängige Konventionen. Ein- mal einfach Mensch sein, „per Du“ mit jedem, der den Weg kreuzt. Arm in Arm ohne jene feinen Unterschiede, auf die wir sonst so bedacht sind. Leichtsinnig mit dem Wort, Schwüre von Treue ohne unliebsame Konsequenzen.
Und dazu der Wein, der die Probleme aufnimmt. „Schütt die Sorgen in ein Gläschen Wein„. Der Rausch des Abends läßt den Alltag vergessen: den Ärger in der Familie, die Last des Berufes oder die Qual der Arbeitslosigkeit, die Unfähigkeiten, die Grenzen, an die jeder stößt.
Das ist für viele Zeitgenossen die Realität dieser tollen Tage. Sie offenbart die Sehnsucht des Menschen nach Gemeinschaft und Geborgenheit, seinen Wunsch nach Befreiung, nach Frieden, gar nach Erlösung. Weil die Welt dies nicht er füllen kann, bleibt für viele nur die Flucht ins Reich der Träume, der Masken, der Gaukler und Narren, zu den Schminktöpfen, die alles überdecken, in eine tolle Welt, in eine Scheinwelt, die spätestens am Aschermittwoch wieder von der Wirklichkeit abgelöst wird. Allenfalls das bunte Konfetti im Haar und der fade Geschmack auf der Zunge erinnert an die erlebten, durchlebten Trugbilder.
Das Leben mit seinen Sehnsüchten, seinen Wünschen ist geblieben. Es besteht eben doch nicht nur aus den bunten Farben der Kostüme und spiegelt sich nicht nur wider in den Weinpokalen.
Mehr noch: die Vergänglichkeit, das Elend des menschlichen Lebens wird einem mit Asche auf die Stirn geschrieben. Und vielleicht spürt man dann, daß nicht die Tage vor, sondern nach Aschermittwoch die entscheidende Zeit im Jahr sind. Es sind die Wochen, in denen früher die Taufschüler der ersten Jahrhunderte die letzten, entscheidenden Schritte zum Glauben taten. Diese Zeit, in der sie erfuhren, daß ihre Sehnsucht nach Befreiung und Erlösung von Jesus Christus erfüllt wird und daß sich Gemeinschaft und Geborgenheit im Kreis der Getauften finden läßt. Diese Erfahrung gibt dem Leben eine Freude, die nicht beschränkt ist auf ein paar Tage im Kalender.
Gerade deshalb aber kann auch der Christ die närrischen Tage mitfeiern, mit ihrer Fröhlichkeit und Ausgelassenheit, mit dem Spiel der Masken und der lustigen Zeche. Für ihn ist zwar am Aschermittwoch dies alles vorbei, aber das Wesentliche fängt erst an.
Wilfried Schumacher