Plädoyer für eine Kirche der Zärtlichkeit

Die 50 Jahre alte Primizkerze brannte heute in der Pfarrkirche in Dernau aus Anlass meines Goldenen Priesterjubiläums, das ich dort feiern konnte.
Evangelium: Mk 5,21-24; 35b-43

Haben sie auch in den letzten Tagen gestaunt über die Bilder, die uns das Fernsehen von der Fußball Europameisterschaft vermittelt hat: wie sich da Tausende von Menschen in den sogenannten Fanzonen versammelt haben? Daran musste ich denken als ich das Evangelium las.

Jesus hatte einen furiosen Auftakt seines öffentlichen Wirkens: die Menschen drängen sich um ihn, laufen ihm nach, denn er heilte viele, so dass alle, die von Leiden gequält waren, sich auf ihn stürzten, um ihn zu berühren. Überall wo er hinkommt, kommen ihm die Menschen entgegen. Auch als er nach einem Ausflug ans Ostufer des Sees Genesareth wieder nach Kafarnaum zurückkehrt. Es versammelt sich wieder um ihn „eine große Menschenmenge“, wie der Evangelist Markus berichtet. Es werden nicht so viele gewesen sein wie in den Fanzonen der Europameisterschaft, aber es ist schon vergleichbar. Modern könnte man sagen: Jesus ist im Stress

Der Synagogen-Vorsteher Jairus, der zu ihm kommt, ist gewiss nur einer von vielen an diesem Tag, die Jesus ihr Leid klagen. Sein Kind liegt im Sterben. Jesus soll sie vor dem Tod retten. Ein verzweifelter Vater, der diesem Jesus zutraut, die aussichtslose Lage zu wenden. Und was macht Jesus? Markus schreibt ganz lapidar: da ging Jesus mit ihm.

Erahnen Sie, was das für Jairus bedeutet: Jesus geht mit ihm! Einer aus der großen Masse, für den Jesus jetzt da ist. Er wird für ihn zum Weggefährten.
Das Leben eines Menschen wird ja oft als Weg verstanden! Unser Lebensweg kennt viele Zuschauer, die oft unbeteiligt am Wegesrand stehen, sich oft sogar noch freuen, wenn es nicht richtig vorwärts geht und man sich quält auf seinem Weg, oder die meinen, mit klugen Ratschlägen wäre schon geholfen.

Viele von Ihnen hier im Tal haben in den Tagen, Wochen, Monaten und Jahren seit der Flut erfahren, wie wichtig die Gegenwart von besorgten und hilfsbereiten Menschen ist, die zupacken und zuhören. „Ich möchte dass einer mit mir geht, der das Leben kennt der mich versteht“,  heißt es in einem modernen Kirchenlied.

Einen solchen Menschen zu treffen, der bereit ist, den Rhythmus des andern zu übernehmen und ihm nicht seinen Schritt aufzuzwingen, das ist der Beginn einer Hoffnung, die Wende in einer Krise. Jesus geht mit  Jairus und wird für ihn zum Hoffnungszeichen. So wie die vielen Helferinnen und Helfer es für viele von Ihnen waren.

Die Geschichte, die Markus erzählt, fragt uns aber auch wie wir es halten, wenn wir Menschen begegnen, die Hilfe brauchen. Sind wir bereit, mit zu gehen?

Jesus begleitet den Synagogenvorsteher auf dem Weg zu seinem Haus. Da kommen ihnen die Leute des Jairus entgegen und bringen die Todesbotschaft: „das Mädchen ist gestorben“ und sie fügen hinzu „was bemühst du den Meister länger?“ Eine Heilung trauen sie Jesus zu. Mit dem Tod aber ist die Grenze ihrer Erwartungen überschritten. Der Fall ist für sie aussichtslos, erledigt.

Nun lesen wir da im Evangelium gehört „ Jesus, der die Worte gehört hatte.“ Wörtlich im griechischen, ursprünglichen Text heißt es jedoch: „Jesus, der diese Worte überhört hatte“ oder „der an ihnen vorbei gehört hatte.

Die Leute des Jairus überbringen eine Botschaft des Todes, Worte des Todes, salopp formuliert „Parolen des Todes“. Solche Parolen kennen wir. Sie werden immer lautstark verkündet. Da heißt es „ es hat ja doch keinen Zweck“ oder „aus und vorbei“ oder „da kann man nichts machen“ oder „früher….“

Alles Worte der Resignation, Worte, die das Leben verhindern, Worte, die Gott und den Menschen nichts zutrauen. Solche Parolen des Todes gibt es überall! Sie verhindern, dass Lösungen gesucht werden, die anders sind als bisher Erlebtes und Erfahrenes. Sie verhindern, dass neue Ideen sich durchsetzen. Sie verhindern aber auch, dass geduldig gewartet wird,

Jesus überhört die Parolen des Todes, er hört daran vorbei:“ Fürchte dich nicht, glaube nur“, sagt er dem gewiss entsetzten Jairus, für den wohl in diesem Moment alles aussichtslos erschien.
Wo nach menschlichem Ermessen alles aus ist, wo es so scheint, dass der Tod alles gelöst hat, macht Jesus deutlich, dass dies für ihn nicht die letzte Instanz ist. Statt der Parolen des Todes kündigt er vom Vertrauen in das Leben.

Kritisch muss ich mich fragen, wie halte ich es in meinem Leben, da wo ich lebe, da wo ich mich engagiere, da wo ich eingesetzt bin, da wo ich arbeite. Verbreite ich lieber die Parolen des Todes oder künde ich vom Leben? Höre ich auf die Parolen des Todes, die andere lautstark hinausschreien oder überhöre ich sie? Verhindere ich so das Leben oder eröffne ich ihm eine Möglichkeit?

Jesus lässt sich nicht erschüttern, er geht mit dem Vater und nimmt drei seiner Jünger mit. Entscheidendes bahnt sich an: die drei Apostel und die Eltern des Mädchens werden Zeugen des Lebens.

Jesus tritt an das Totenbett des Mädchens, fasst es bei der Hand und sagt „Talita Kum“ das ist aramäisch, die Muttersprache Jesu. Übersetzt heißt das: „Mädchen, ich sage dir steh auf“. Besser aber noch wird die Anrede mit „Lämmlein“ übersetzt . Die Zeugen ahnen wohl was geschehen ist: das Leben ist eingebrochen in die Kammer des Todes.

Ein Augenblick großer Zärtlichkeit!

Da bin ich bei einem Thema von größter Aktualität: in dieser Woche ist wieder einmal die kirchliche Statistik veröffentlicht worden 400.000 Menschen haben uns im vergangenen Jahr verlassen. 400.000 von denen jeder und jede Einzelne wichtig ist.

Man könnte resignieren, man könnte sich fragen: was soll ich denn noch in dieser Gemeinschaft, die in unseren Breiten immer kleiner wird? Ich kann viele verstehen, die uns den Rücken zukehren, die keine Hoffnung mehr haben, dass sich etwas verändert. Und ich gestehe, dass ich von denen da oben auch nicht mehr viel erwarte.

Und trotzdem: ich bin ein „Kind des II.Vatikanums“, oder anders gesagt: ohne das II.Vatikanische Konzil wäre ich nicht Priester geworden. Die große Errungenschaft dieses Konzils ist die Rückkehr zu einem Bild von Kirche, das im Mittelalter und erst Recht als Reaktion auf die Reformation verlorengegangen war: die Kirche das Volk Gottes.

Volk Gottes, damit sind alle gemeint, Laien und Kleriker, alle gehören dazu. Alle haben eine gemeinsame priesterliche Würde. Als Getaufte und Gefirmte haben sie eine gemeinsame Verantwortung.

Eines der wichtigsten Dokumente des Konzils ist die Pastoralkonstitution „GAUDIUM ET SPES – ÜBER DIE KIRCHE IN DER WELT VON HEUTE“ . Sie beginnt mit den Worten: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände.“

Darum geht es: wir müssen die Trauer und Angst und die Freude und Hoffnung teilen. Wir – nicht nur der Papst und die Bischöfe und vielleicht auch noch die Priester.

Wir, hier in Dernau oder wo wir auch leben.

Heinrich Böll hat einmal geschrieben: „ im Neuen Testament steckt eine Theologie– ich wage das Wort– der Zärtlichkeit.

Wenn wir dieser Theologie folgen, dann müssen wir eine Kirche der Zärtlichkeit sein, dann müssen wir Weggefährtinnen und Weggefährten der Menschen sein und die Parolen des Todes überhören.

Dabei warten wir nicht auf die da oben, sondern wir selbst praktizieren, was der Apostel Petrus uns in der Lesung zugerufen hat: Ihr seid Gottes Volk.

Und damit haben wir genug zu tun!

Die heilende Berührung: Ein Bild von Glaube, Hoffnung und Sehnsucht

Messe am 50.Jahrestag der Priesterweihe

Evangelium (Mk 5, 24b-34)

Und es folgte ihm eine große Menschenmasse, und sie bedrängten ihn.
Da kam eine Frau, die schon seit zwölf Jahren an Blutfluß litt: sie hatte schon vieles erlitten von zahlreichen Ärzten; sie hatte ihr ganzes Vermögen aufgewandt, doch es hat nichts genutzt, es war sogar noch schlimmer geworden.
Sie hatte von Jesus gehört. Nun kam sie in der Menge von hinten her und berührte sein Gewand. Denn sie sagte sich: Wenn ich auch nur sein Gewand berühre, werde ich geheilt. Und sogleich versiegte die Quelle ihrer Blutung, und sie spürte am ganzen Leib, daß sie von der Plage geheilt war.
Da merkte Jesus bei sich die Kraft, die von ihm ausgegangen war, er wandte sich in dem Gedränge um und sagte: Wer hat mein Gewand berührt? Und seine Jünger sagten ihm: du siehst doch die Volksmenge, die dich bedrängt, und du sagst, wer hat mich berührt? Und er blickte umher, und sah die, die das getan hatte.
Die Frau aber fürchtete sich und zitterte; denn sie wusste, was ihr geschehen war. Sie kam, fiel vor ihm nieder und erzählte ihm die ganze Wahrheit. Er aber sagte zu ihr: Tochter, dein Glaube hat dich gerettet. Geh in Frieden und sei gesund von der Plage.

Was ist das denn für ein Evangelium an einem solchen Tag? Und wahrscheinlich darüber jetzt auch noch predigen. Hoffentlich nicht länger als 8 Minuten, wie Papst Franziskus empfiehlt. Wäre es nicht reizvoller, auf 50 Jahre zurückzublicken. Reizvoller vielleicht – vielleicht auch depressiver.

Aber ich möchte das tun, was mir immer wichtig war und ist: dass wir uns unter das Wort Gottes stellen und schauen, ob es uns etwas zu sagen hat:

In meiner Wohnung hängt ein Bild, das mir ein Freund aus Israel mitgebracht hat. Es ist eine Reproduktion des Altarbildes in der Krypta von Magdala am See Genezareth,  einer meiner Lieblingsorte am See – auch wenn er von einer sehr fundamentalistischen Gemeinschaft verwaltet wird.

Auf den ersten Eindruck befremdet und fasziniert das Altarbild. Es stammt von einem italienischen Künstler (Daniel Cariola) Man sieht ein Gewirr von Männerbeinen und -füßen, das erahnen lässt, welche Menge an Menschen in der Szene versammelt sind. Ein weißes bodenlanges Gewand in der Mitte. Durch das Gewirr der Beine hindurch findet eine  Frauenhand ihren Weg, um das Gewand Jesu zu berühren. Eine Illustration des Evangelium-Textes.

Von der Frau, deren Hand wir sehen, wissen wir, dass sie schon zwölf Jahre an ihrer Krankheit litt, die wir nicht näher deuten können. Viele Leiden waren damit verbunden – körperliche und seelische.

Ihre Krankheit war keineswegs nur ein medizinisches Problem. Der Blutfluss machte sie unrein, schloss sie aus vom sozialen und kultischen Leben Israels. Sie durfte niemandem zu nahe kommen, weil Nähe auch unrein machte. 12 Jahre ohne Hilfe und Heilung, 12 Jahre geächtet. Sie war praktisch eine Tote, obwohl sie lebte.
Nun könnte man an dieser Stelle über die ach oft so unmenschlichen Reinheitsvorschriften im Judentum sprechen. Doch viele der für uns unverständlichen Vorschriften hatten ihren Sinn darin, die Gemeinschaft vor ansteckenden oder damals noch undurchschaubaren Krankheiten zu schützen. Aber man kann es drehen oder wenden wie man will, Menschen wurden dadurch ausgegrenzt und geächtet.

Dass Menschen ausgegrenzt werden aus der Gesellschaft, ist keine Sache nur in grauen Vorzeiten. Das gibt es auch heute noch.  Die Notwendigkeit der Teilhabe von ausgegrenzten Menschen am gesellschaftlichen Leben ist ein drängendes Thema.

Die Frau im Evangelium hat ihr ganzes Vermögen in ihre Heilung investiert. Alle Versuche, die Not zu lindern, waren gescheitert. Sie hatte wohl von Jesus gehört. Nun drängt sie sich zielsicher – und verborgen in der Menge – an Jesus heran. Sie berührt – ohne Jesus vorher anzusprechen – sein Gewand. Von Jesus geht nun eine Kraft aus, die sie heilt.

Kein magischer Vorgang, sondern die Kraft ist ein Zeichen für die Macht, die hier am Werk ist, die Macht Gottes.

Eine Szene, die mich fragt nach meinem Glauben? Was traue ich Gott zu? Bin ich wie diese Frau, die selbst nach 12 Jahren Ächtung und Heilungsversuchen, nicht aufgibt, die – wie unser Bild zeigt – den Weg durch die vielen Beine, der Männer sucht, die sie 12 Jahre ausgegrenzt haben. Habe ich dieses Vertrauen oder würde ich vorher aufgeben?

Unsere Geschichte ist noch nicht zu Ende. Jesus geht auf die Suche nach der Frau. Das muss man sich bildlich vorstellen. „Eine große Menschenmasse“ ist dort, so schreibt es der Evangelist Markus. Ich denke spontan an die Fanzone bei der EM. Wie in aller Welt, in der Masse jemand finden – das sagen ihm auch seine Jünger.
Aber das erleben wir im Neuen Testament immer wieder: für Jesus zählt der einzelne Mensch! Das zu wissen tut gut – denn oft erleben wir uns als einen oder eine von vielen, sind wir nur ein Teilchen in der Masse, nur eine Nummer im System. Für den Herrn zählt jeder und jede Einzelne. Es mag Situationen im Leben geben, wo das sehr wichtig ist.

Diese Zweisamkeit von Jesus und der Frau spiegelt sich auch wieder in den Worten des Evangelisten Markus, der hier wenigen Worten ein Bild großer Intimität zeichnet: „und sie sagte ihm die ganze Wahrheit“ (Mk 5,33). Damit ist wohl nicht ein „Geständnis“ der Frau gemeint, sondern es ist der Raum einer tiefen Begegnung mit dem, der vor Pilatus sagen wird „Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme“.

Wenn wir einer feministischen Theologin an dieser Stelle folgen wollen, bringt die Frau in dieser Begegnung ihre Gotteserfahrung ins Wort.[1]

Die „Rettung“ der Frau ist nicht nur als körperliche Genesung, sondern als „Herstellung einer gelungenen Gottesbeziehung“ zu verstehen. „Gotteserfahrung, Gottesbeziehung“, das klingt so groß, so weltfern, so wenig realistisch. Aber hören wir noch einen Augenblick hin: Geh in Frieden, sagt Jesus zu ihr.

Frieden bedeutet in der Sprache Jesu „Shalom“.
Shalom, das meint nicht nur die Abwesenheit von Streit und Krieg. Das meint auch Gesundheit, Sicherheit, Frieden, Unversehrtheit und Ruhe – sozusagen paradiesische Zustände, in denen der Schöpfer und sein Schöpfer in Harmonie miteinander lebten.

Spüren Sie, wohin uns die Geschichte führt: ich gebe ehrlich zu, diesen Shalom, diesen Frieden wünsche ich mir auch. Er ist der Ausweis der Beziehung zu Gott, der Möglichkeit einer Gotteserfahrung.
So ist am Ende der Geschichte die Rede von der Sehnsucht in meinem, vielleicht auch in Ihrem und Eurem Leben: Was ersehne ich in meinem Leben?

Nelly Sachs, die jüdische Literatur-Nobelpreisträgerin, schreibt:
Alles beginnt mit der Sehnsucht, immer ist im Herzen Raum für mehr, für Schöneres, für Größeres – Das ist des Menschen Größe und Not: Sehnsucht nach Stille, nach Freundschaft und Liebe. Und wo Sehnsucht sich erfüllt, dort bricht sie noch stärker auf.

Etwas von dieser Sehnsucht hat uns heute auch hier zusammengeführt. Deshalb ist diese Stunde so wichtig.

[1] so Ursula Metternich in „Sie sagte ihm die ganze Wahrheit“. Die Erzählung von der „Blutflüssigen“ – feministisch gedeutet.

„Die da war es“

Haben Sie sich nicht auch schon mal gefragt: woher kommt eigentlich das Böse? Warum können Menschen nicht friedlich miteinander leben,  einander achten, respektieren, nicht belügen und betrügen, nicht nach dem Leben trachten? Wieso können wir Menschen nicht einfach nur gut sein? Das wäre wahrlich paradiesisch.
Woher kommt das Böse? Das haben sich die Menschen immer schon gefragt. Und sie haben versucht eine Antwort zu finden, indem sie sich Geschichten erzählt hatten haben.

Zum Beispiel die Anhänger des Mithras Kultes: sie erzählten sich, das Mithras einen Stier opfern musste, damit sich aus dem Blut des Stieres die Erde und alles Leben neu regenerieren konnte. Allerdings gab es einen kleinen Skorpion, der sein Gift in das herunter tropfende Blut spritzte. So dachten sie, hat das Böse die Welt vergiftet.

Wir haben eben in der Lesung auch eine Geschichte gehört, eine Geschichte aus der Bibel, aus den ersten Kapiteln des Alten Testaments. (Gen 3,) Auch ein Versuch, zu erklären, wie ist das Böse in die Welt gekommen und was hat es damit auf sich.

Was ist passiert?
Adam und Eva hatten nach biblischem Zeugnis nicht mehr geglaubt, dass Gott es gut mit ihnen meint. „Hat Gott wirklich gesagt, ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen?“, fragt die Schlange und lenkt so die Konzentration Evas auf den einen Baum, der tabu ist. Eva weiß schon: Von den Früchten der Bäume im Garten dürfen wir essen; nur wenn wir von den Früchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht, essen, werden wir sterben.
Jetzt hat die Schlange leichtes Spiel: „Nein, ihr werdet nicht sterben. Gott weiß vielmehr: Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse.“
Und damit nimmt die Sache ihren Lauf!

Da wird uns etwas vorenthalten! – solche Gedanken kennen wir. Da sind wir alle empfindlich! Wer mag das schon?

Also greifen die beiden zu und sie merken plötzlich, der paradiesische Zustand ist vorbei. Sie entdecken, dass sie nackt sind. Was sie bisher nicht gestört hat, beschämt sie jetzt. Sie verstecken sich.

„Wo bist Du?“ sucht Gott den Menschen.

Auf einem über 1000 Jahre alten Bronzeportal am Hildesheimer Dom hat ein Künstler diese Szene treffend dargestellt:
Man sieht Gott, der auf die Menschen zeigt. Adam aber zeigt auf Eva: „die war es!“ und Eva zeigt auf die Schlange „die war es!“

Das kennen wir alle – Schuld sind immer die anderen. Das kann man schon im Kindergarten beobachten. Das ist so in der Familie, im Freundeskreis, in der Schule, am Arbeitsplatz.

Adam macht es noch schlimmer: „Die Frau, die du mir beigesellt hast, sie hat mir von dem Baum gegeben. So habe ich gegessen.“ Das heißt im Klartext: Du Gott, bist es schuld, dass ich meinen freien Willen missbraucht habe!
Hier wird die Wahrheit ins Gegenteil verkehrt. Plötzlich ist der, der anklagt, der Angeklagte. Wahrlich: ein Teufelskreis.

Was kann uns erretten? Von König David wird berichtet, dass er die Frau eines Nachbarn schwängerte und dass er ihren Mann bei der nächsten Schlacht in die vorderste Reihe schickte, damit dieser umkomme und David die Frau zu sich nehmen konnte. Es braucht den Propheten Nathan, der vor den König tritt und ihm klar macht: Du bist der Mann, der hier schuldig geworden ist. (2 Sam 12).

Das ist der Weg aus dem Teufelskreis der gegenseitigen Schuldzuweisungen: zu erkennen, ich bin der Mann, ich bin die Frau, ich bin der Mensch, der seinen freien Willen gebraucht hat, um Falsch zu handeln und Böses zu tun.

Noch eine Bemerkung zu diesem Text: Weil die Frau als erste von der Frucht gegessen hat, hat man im Verlauf der Kirchengeschichte begonnen, die Frau als Ursache für die Sünde zu betrachten.
Damit angefangen hat Augustinus um 400 nach Christus. Er wertete die Frau stark ab mit der Begründung, sie habe den Mann verführt. Der Mann habe nur gesündigt aus Solidarität, weil er die Frau in ihrem Elend nicht allein lassen wollte.
Und das zieht sich durch die Geschichte durch bis in die Gegenwart.

In der Schöpfungsgeschichte lesen wir: „Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie“. Wir haben es jahrhundertelang überlesen und nicht vom Menschen, sondern vom Mann „als Krone der Schöpfung“ gesprochen. Darunter leiden die Frauen bis heute in vielerlei Hinsicht!

Es ist eine Haltung, eine Überzeugung, die haben wir Männer durch Jahrhunderte verinnerlicht – von ihnen müssen wir uns trennen. Und auch hier gilt: nicht die anderen sind schuld an meiner Haltung, nicht die Erziehung, nicht die Tradition sondern ich – wenn ich mich wider besseres Wissen nicht davon trenne. Gilt auch für die Kirche.

Für mich gibt es in der heutigen Lesung auch etwas Tröstliches: Gott  macht sich auf die Suche nach dem Menschen. Gott macht sich auf die Suche nach mir.

Egal was ist, egal was ich angestellt habe, was ich gesagt, was ich versäumt, was ich unterlassen habe – Gott macht sich auf die Suche nach mir.

Im Neuen Testament ist Jesus der Gute Hirt, der das verlorene Schaf sucht. Genau das kann mir helfen, den Teufelskreis der Schuld und der Schuldzuweisungen zu verlassen.

Predigt am 9.6.2024 in Dernau

Wir wagen es!

Einer der 4.Altäre in Dernau

Predigt an Fronleichnam in Dernau/Ahr
Auf die Predigt könnte ich heute eigentlich verzichten, denn sie und ich, wir alle sind heute die Predigt. Wenn wir nach der Messe in Prozession durch die Straßen unseres Ortes ziehen, dann ist das ein Bekenntnis, wie eine Predigt auf vielen Beinen. Aber was erwartet uns da draußen?

Nicht nur Menschen, die Beifall klatschen, die das gut finden, dass wir uns auf den Weg machen, auch wenn sie selbst nicht mitgehen.

Es wird auch viele geben, die den Kopf schütteln und sich abwenden. Die von alten Zöpfen reden, die man endlich abschneiden müsste.

Andere werden innerlich und hoffentlich nicht lautstark schimpfen, weil unsere Kirche nicht den besten Ruf hat.

Damit meine ich nicht nur die Missbrauchsfälle, ich meine auch den Umgang der Kirche mit Frauen, mit Wiederverheirateten Geschiedenen, mit Menschen, die unverheiratet, zusammenleben, mit queeren Menschen. Ich meine auch die endlosen Diskussionen um die Strukturen, die Zusammenlegungen von Gemeinden, das Schließen von Kirchen.

Unsere Kirche hat wahrlich nicht mehr den besten Ruf. Es hat sich auch einiges getan in den letzten Jahren. Aber oft erlebe ich unsere Kirche wie eine Springprozession:  zwei Schritte vor und wieder einen zurück.

Und trotzdem trauen wir uns heute raus – wir wagen es. Weil wir eine Botschaft haben – eine dreifache Botschaft.

  1. Die Eucharistie ist niemals etwas rein Privates.

Das wird schon hier in der Kirche deutlich, das zeigt sich erst recht, wenn wir gleich auf die Straße gehen. Menschen unterschiedlichen Alters, Geschlechts, sozialen Standes und unterschiedlicher politischer Auffassungen sind hier versammelt. Wir haben uns einander nicht ausgesucht.

Das ist kein exklusiver Freundschaftsclub, sondern eine Gemeinschaft, die geeint ist durch den Glauben an Christus und durch den Ruf Christi, den wir im Eucharistischen Brot anbeten und verehren.

Deshalb entfernt uns diese Feier nicht von den Menschen, erst recht nicht in dem Sinne, dass hier drinnen die heile Welt sei und draußen die böse.

Weil wir dem folgen, der vor dem Menschen niederkniete, um ihm die schmutzigen Füße zu waschen, sind wir herausgefordert: es geht darum die Welt, die große wie unsere kleine, zu einem Ort zu machen, wo es sich gut, vor allem aber menschenwürdig leben lässt.

Deshalb wagen wir uns raus – weil wir uns als Christen nicht selbst genügen.

  1. Wir feiern Fronleichnam im Gehen.

Gleich in der Prozession gehen wir, wir machen einen Schritt und noch einen Schritt so wie im „richtigen Leben“.

  • Da geht es manchmal vorwärts ohne jede Mühe,
  • da kommt man aber auch mal ins straucheln,
  • da stolpert man
  • da geht es anscheinend nicht mehr weiter,
  • da läuft man im Kreis,
  • da will man nicht mehr.

Wir spüren es jeden Tag. Wir alle brauchen Gefährten und Gefährtinnen,

  • die mit uns gehen, die den Weg mit uns teilen,
  • die uns halten können, wenn wir straucheln,
  • die uns die Richtung weisen, wenn wir die Orientierung verloren haben,
  • die uns aufhelfen und Mut machen, wenn es nicht mehr weitergeht.

Wenn wir gleich mit der Monstranz durch die Straßen ziehen dann machen wir dadurch deutlich, dass Christus für uns der ist, der uns zum Gefährten wird, wenn menschliche Gefährtenschaft nicht oder nicht mehr möglich ist.

Gleichzeitig bekennen wir, dass in jedem, der mit uns geht, dass in jedem, der uns die Hand hält, in jedem, der uns Mut macht, uns Christus selbst begegnet.

Deshalb wagen wir uns raus – weil wir den Menschen sagen wollen: wir können nur miteinander, wir können nur mit Euch!

  1. Wir tragen Christus durch unsere kleine Welt.

Wir vertrauen die Straßen, die Häuser, auch die kaputten, die geflickten und die wieder aufgebauten, die Menschen, die in diesen Häusern wohnen und arbeiten, den ganzen Ort der Güte Gottes an.

Wir bringen gleichsam vor seine Augen die Leiden der Kranken, die Einsamkeit der Jungen und Alten, die Versuchungen und Ängste, das ganze Leben hier im Tal.

Im Bewusstsein, dass all unser Bemühens endlich ist, verehren wir den, dessen Auferstehung den Sieg über den Tod, über die Endlichkeit darstellt.

Die Eucharistie ist die Begegnung mit der Liebe, die stärker ist als der Tod. Deshalb wagen wir uns raus, um dem so oft Leblosen das Leben zu zeigen.

„Der Weg der Kirche ist der Mensch“ – hat der Heilige Johannes Paul II. gesagt.
Ob die Menschen die Botschaft dieser Prozession verstehen, hängt auch von uns ab.
Der Weg der Kirche ist der Mensch – unser Weg endet nicht hier in der Kirche. Er führt nach dem Schluss-Segen weiter zu den Menschen.

LückenFÜLLER – kein Lückenbüßer

Die Situation ist nicht gerade prickelnd: der Chef ist weg, die Führungsriege dezimiert, die Umwelt mehr ablehnend als freundlich gesinnt.
Hätten Sie da Lust in das Unternehmen einzusteigen? Oder würden Sie lieber erst mal sehen, wie die Sache weitergeht? Nach dem Motto: Mitmachen kann man ja immer noch.

Das ist die Situation, in der sich die junge Gemeinde in Jerusalem versammeln. (Apg 1,15-17.20ac-26) . Abgeschottet von der Außenwelt, die nichts von ihnen hält. Petrus übernimmt das Wort. Für ihn steht fest: Judas ist an allem schuld; obwohl sich Petrus selbst ja auch nicht mit Ruhm bekleckert hat. Nach der Verhaftung Jesu in Jerusalem hatte er getönt: „ich kenne den Menschen nicht.“

Inzwischen hat der Auferstandene ihn wohl wieder rehabilitiert, so dass er jetzt die Rolle übernimmt, die ihm Jesus zugedacht hatte: der Fels.

Ein Ersatz für Judas muss her. Die Stellenbeschreibung ist einfach: Er muss Mann sein – so ist das bei der Führungsriege in der Kirche bis heute – leider.
Er muss jemand sein, der von Anfang an gemeinsam mit den Aposteln und Jesus unterwegs gewesen ist. Und er muss, wie die anderen Apostel, Zeuge der Auferstehung sein. Ein klar umrissenes Anforderungsprofil.

Es gibt unter den 120 Anwesenden keine große Auswahl: Zwei Männer kommen in die engere Wahl. Joseph, genannt Barsabas, mit dem Beinamen Justus, und Matthias, ohne weitere Hinzufügungen. Ganz einfach.

Anders als heute erwartet sie keine große Karriere: die kleine Schar Christen ist nicht mächtig, sondern eher ein verängstigte Gruppe, die sich häufig lieber hinter verschlossenen Türen aufhält. Da drängt man sich nicht in den Vordergrund. So zu enden wie Jesus ist nicht erstrebenswert.
Zwei Männer stehen zur Wahl – aber es gibt keine Stimmzettel, kein Abstimmung mit Handzeichen. Die Anwesenden legen die Entscheidung in die Hand Gottes. Das Los soll entscheiden.
Nicht weil die Versammlung sich nicht entscheiden konnte, sondern, so lässt es die Apostelgeschichte vermuten, weil Gott hier mitspielen, mitwirken soll.

Das Los! Schwarz oder weiß! –
Und das Los fiel auf Matthias. – Mehr erfahren wir nicht.

Wie mag er sich gefühlt haben?
als Lückenbüßer; als Ersatzmann; als Reservespieler, der nur zum Einsatz kommt, weil einer aus der Stammmannschaft versagt hat. Das kratzt am Ego.

Wenn wir es mit den Augen der Welt sehen, die darauf aus ist, dass jeder und jede sich selbstverwirklicht, dass es nur aufwärts geht und der eigene Lebensweg keinen Knick erfährt – dann kann man so denken: das kratzt am Selbstwertgefühl.

Wenn wir aber auf die Realität des Lebens schauen, dann sieht es anders aus:
es gibt die Aufgaben hier am Ort, in der Familie, im Verein, in der Gesellschaft, hier in der Gemeinde, in unserer Kirche, die müssen getan werden.
Aufgaben, die Menschen brauchen, die sie erledigen, die anpacken und vielleicht sogar bereit sind, sich die Hände schmutzig zu machen.

Und die, die dann in die Lücke springen, die sich auftut, sind keine Lückenbüßer, sondern Lückenfüller. Menschen, ohne die es an vielen Stellen nicht weiterginge und vieles auf der Strecke bleiben würde.

Matthias ist ein solcher Lückenfüller. Er kann noch nicht wissen, was aus der Sache Jesu wird. Aber er ist bereit, dafür einzustehen, weil es ihm wichtig ist.
„Die Sache Jesu braucht Begeisterte.
Sein Geist sucht sie auch unter uns.
Er macht uns frei, damit wir einander befrein.“, heißt es in einem  geistlichen Lied, das Sie vielleicht bei Ihrer Firmung gesungen haben.

So wird der Matthias zum Patron, zum Begleiter all‘ derer, die bereit sind, Lücken zu füllen, die sich auftun in Gesellschaft und Kirche.
Die nicht zögern, weil sie nicht wissen, wie die Sache ausgeht.
Die etwas wagen, die Neuland betreten im Vertrauen darauf, dass Gott das gute Tun begleitet.

Ich bin sicher, auch heute sitzen viele unter uns, die an unterschiedlichen Stellen bereit waren und sind, eine Lücke zu füllen – wie Matthias es getan.

Wir wissen nicht viel über den Heiligen Matthias – aber immerhin hat er es zum Patron des Bistums Trier gebracht. Wenn das kein Anreiz ist, Lücken zu füllen, wo man gebraucht wird.

Predigt am 12.Mai 2024 in Dernau/Ahr

 

Josef – Patron der Randfiguren

Auf Ikonen und mittelalterlichen Weihnachtsdarstellungen wird er oft am Rand dargestellt, zusammengekauert, schlafend, ohne Einfluß auf das Geschehen: Josef, dessen Fest wir heute feiern.

Von ihm ist kein Wort im Neuen Testament überliefert und außer in der Kindheitsgeschichte findet sein Name kaum eine Erwähnung. Er scheint wirklich eine Randfigur zu sein.

Doch die Existenz Jesu ist ohne ihn nicht denkbar: er nimmt die Frau mit dem „unehelichen“ Kind als Ehefrau an und bewahrt sie so vor der Steinigung.
Er gibt dem Kind juristisch die Vaterschaft und stellt es so hinein in die große Tradition seines Volkes.
Er flüchtet mit Frau und Kind nach Ägypten, und Jesu entgeht so der herodianischen Verfolgung.

Dies alles immer auf die Weisung Gottes hin. Josef ist der lebendige Beweis, daß Träume keine Schäume sind, sondern daß in ihnen Gott selbst zu uns sprechen kann.
Er ist der Mann, der hört und geht, der aufbricht ohne lange zu zögern, der handelt ohne Wenn und Aber, der so die Heilsgeschichte voran bringt.

Vielleicht hat ihm deshalb die christliche Frömmigkeit einen bedeutenderen Platz eingeräumt als die Theologen. Wir spüren in uns das Verlangen, wir er handeln zu können: ohne die vielen faulen Kompromisse, die wir oft machen. Wir wünschen uns die Klarheit des Weges, die Sicherheit des nächsten Schritts, die ihm eigen war.

Ihm gebührt ein Platz in der Mitte und nicht am Rand. Aber: es ist heute wie damals: die, die im Licht stehen, bedürfen derer, die in ihrem Schatten leben.

Wir können es im Alltag unseres Lebens durchbuchstabieren: was wäre der beste Chef ohne seine umsichtige Sekretärin, was wäre die beste Schauspielerin ohne ihren Agenten, was wäre der beste Koch ohne seine Küchenhilfen, was wäre der beste Herzchirurg ohne die OP-Schwester, was wäre die beste Politikerin ohne die vielen, die ihr zuarbeiten, was wäre unsere Gesellschaft ohne die vielen Namenlosen, die niemals Schlagzeilen machen, die nie im Rampenlicht stehen, ohne die aber nichts richtig vorankommen würde.

Josef scheint der Patron all dieser Randfiguren zu sein. Er rückt sie alle ins rechte Licht. So wird sein Festtag zu einem Dank für alle, die uns das Leben ermöglichen und die so selten unsere Beachtung finden.

Auf nach Galiläa!

Gedanken am Osterfest 2024

(c)dimitrisvetsikas1969/Pixabay

Sie haben es gehört-Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat.“ –Also dann auf Galiläa. Dort werden wir ihn sehen. Aber wo ist dieses Galilä?

Gewiss zuerst einmal ist das biblische Galiläa im Norden Israels westlich des Sees Genezareth gemeint. Der Name „Galiläa“ ist wohl eine Abkürzung von galil ha-gojim; das heisst: „Bezirk der Heiden“. In Jerusalem verachtete man diesen Teil des Landes, denn da wohnten Juden und Heiden. Die „reine Religion“ war da kaum zu praktizieren. „Kann aus Nazareth (in Galiläa) etwas Gutes kommen?“. Wir kennen die Frage des Nataneal, die die Vorbehalte der Frommen ins Wort bringt.

Aber ist dieses Galiläa gemeint? Müssen wir jetzt alle auf Pilgerfahrt nach Israel gehen?

Schauen wir bevor wir das Ziel ins Auge nehmen einen Moment auf den Ostermorgen in Jerusalem, so wie Markus ihn überliefert hat.

Es gibt gleich zwei Zeitangaben:

  • Die erste: als der Shabbat vorüber war, kauften die Frauen die Öle – der Shabbat markiert den letzten Tag der Schöpfung, einen Abschluß. Eine Zeitangabe, die rückwärts gerichtet ist.
  • Die zweite: Am ersten Tag der Woche kamen sie in aller Frühe zum Grab. – der erste Tag der Woche steht für den Neuanfang. Nichts ist an diesem Morgen alt, vertraut oder bewährt. Der Stein ist weggewälzt und das Grab ist leer!

Ein junger Mann gibt den Frauen drei Aufträge: „Seht – geht – sagt!“

  • Seht, da ist die Stelle, wo man ihn hingelegt hatte“. – das ist ein letzter Blick in die Vergangenheit. Ein letzter Blick auf den Karfreitag.
  • Geht“ –hier könnt Ihr nicht bleiben. Das ist der Ort der Toten. Immer dann wenn in der Schrift Menschen mit Gott in Berührung kommen, trifft sie das Wort „Geh!“, können sie nicht bleiben, sondern müssen aufbrechen.
  • Sagt es seinen Jüngern, vor allem Petrus: Er geht euch voraus nach Galiläa“ – die Botschaft von der Auferstehung will verkündet werden. „Zeugen der Auferstehung“ sind nötig. (Apg 1,22)

Und jetzt beginnt das Problem. Haben Sie noch den letzten Satz des Evangeliums im Ohr: „Sie sagten niemand etwas davon; denn sie fürchteten sich.“? Damit endet ursprünglich das Markus-Evangelium.

Im Markus-Evangelium finden wir keine der uns vertrauten Ostergeschichten, die so schön helfen, im Ansatz zu verstehen, was geschehen ist: kein Wort über die Begegnung des Auferstandenen mit Maria von Magdala, kein Wort von den Emmaus-Jüngern, keine Erzählung von dem zweifelnden Thomas. Nur dieser eine Hinweis: „Er geht euch voraus nach Galiläa“.

Wir werden uns also aufmachen müssen, so wie die Jünger damals. Allerdings dieses Galiläa finden wir auf keiner Landkarte, dieses Galilää ist unsere Welt. Es sind die Glaubenden und die Ungläubigen, die Frommen und die Lauen, die Heiligen und die Sünder, die Guten und die Bösen. Dieses Galiläa ist unsere Alltagswelt, das, was wir tagtäglich erleben. Dort finden wir den Auferstandenen.

Jetzt sind eigentlich Sie an der Reihe. Sie müssten sich jetzt erzählen, wie sie in Ihrem Alltag die Spuren des Auferstandenen entdecken. Vielleicht werden Sie jetzt sagen: Ich doch nicht! Wo denn?

Und dann würde ich Sie fragen: Haben Sie schon einmal „Zuwendung, Heilung, Versöhnung, Vergebung“ erlebt?
Denn davon ist in den Geschichten von Jesus die Rede, die sich Galiläa ereignet haben.
Das bleibt nicht beschränkt auf seine drei irdischen Jahre, sondern das wird auch heute noch erlebt wird: Zuwendung, Heilung, Versöhnung, Vergebung – in Ihrem Ort, unserer Welt. Spuren des Auferstandenen

Jetzt müssten Sie davon sprechen, wie Sie den Herrn getroffen haben: und zwar in all den Menschen, mit denen er sich solidarisierte: mit den Kranken, den Fremden, den Ausgestoßenen, den Leidenden.

Jetzt müssten Sie berichten von den Augenblicken in Ihrem Leben, wo es nach langer Nacht in Ihrer Seele wieder Tag wurde, wo Sie neue Hoffnung schöpften, wo es plötzlich doch wieder Zukunft gab!

Manchmal feiern wir mitten im Tag ein Fest der Auferstehung“, heißt es in einem Kirchenlied.

Ostern ist das Fest der Hoffnung – und wir erleben es in den kleinen Hoffnungsgeschichten mitten in der Welt, mitten in unserer Welt.

Machen wir es nicht wie die Frauen im Markus-Evangelium. Schweigen wir nicht! Reden wir davon, wie wir dem Auferstandenen in unserem Galiläa, in unserer Welt begegnen. Wir brauchen keine Ostergeschichten: wir sind Maria von Magdala, wir sind die Emmaus-Jüngern, wir sind der ungläubige Thomas.

Also dann: auf nach Galiläa. Ich bin dabei. Gehen Sie auch mit?

 

 

Unter dem Kreuz ausharren

oder: Lieben bis es weh tut
Gedanken vor dem Verlesen der Passion am Karfreitag

(c) couleur/pixabay

Ich hoffe, Sie sitzen alle gut oder haben einen festen Stand. Denn jetzt geht es zur Sache! Die ganze Welt drängt sich jetzt hinein in die Kirche von Lind – besonders die leidende Welt.
Die Geschlagenen, die Verleugneten, die Enttäuschten, die Verratenen, die Opfer von Gewalt und Verleumdung, falscher Anklagen und schnellen Prozessen.
Und mittendrin, Sie und ich – niemand kann sich drücken und verdrücken – jetzt wird die Geschichte erzählt von dem, der allen wohl getan hat und dem man doch übel mitspielte.

Ich weiß, Sie kennen die Geschichte. Je nachdem wie alt Sie sind, haben Sie sie schon Dutzend Male gehört; aber schalten Sie jetzt bitte nicht ab, bleiben Sie bitte dran. Nein, bleiben Sie bitte drin in der Geschichte.

Entsetzen Sie sich bitte über das, was da geschickt, erschrecken Sie über das Verhalten der Menschen, gehen Sie mit Jesus seinen Weg – und sehen Sie in seinem Gesicht die Gesichter der Leidenden dieser Welt.

Für den Evangelisten Johannes ist der Kreuzweg nicht nur ein Leidensweg, sondern der Weg zu einer Thronbesteigung. Johannes hat lange nachgedacht über dieses Ereignis, das nicht nur ihm unverständlich ist.

Ein souveräner Jesus begegnet uns in seiner Passion. Das Aufrichten des Kreuzes, seine Erhöhung ist eine königliche Thronerhebung. „Wenn ich über der Erde erhöht bin, werde ich alle zu mir ziehen“, hat er zu Nikodemus gesagt.

Sagen Sie bitte nicht, dass Sie das sofort verstehen. Ein König, der ans Kreuz geheftet wird. Ein König, der nicht von oben herab regiert, sondern der alle an sich zieht.
Alle, nicht nur die Frommen, nicht nur die Erfolgreichen, nicht nur die auf der Sonnenseite des Lebens. Vor allem jene, die ihre Wunden scheu vor den anderen verbergen, die leiden und weinen in den stillen Nächten des Lebens. Alle, auch Sie und mich.

Ein geistlicher Lehrer (Ignatius von Loyola) empfiehlt uns, Christus unsern Herrn sich gegenwärtig und am Kreuz hängend vorzustellen und ein Gespräch zu halten, so „wie ein Freund zum anderen spricht“ (EB 53+54).

Kommen Sie also bitte mit bis unter das Kreuz: hier fällt aller Egoismus in den Abgrund des Todes.

Hier wird mir bewusst, wie sehr die Gewalt der Sünde jedem den Weg in die Zukunft verstellt – die eigene Sünde wie auch die Sünde der anderen, die mir schadet.

Hier werden die selbstverständliche Lüge und das Böse der Gewalt offenbart.

Hier sehe ich, was der Apostel Paulus meint, wenn er schreibt: „Christus Jesus war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.“ (Phil 2,6-8)

Und dies nicht anonym, für die Menschheit schlechthin, sondern für mich.

Wer dessen gewahr wird, wer erkennt – der hängt da am Kreuz für mich –, der kann sich nicht abwenden und teilnahmslos von dannen ziehen. Der muss sich fragen lassen, was tue ich denn? Trete ich ein in diese Zuneigung Gottes zu den Menschen?

Mutter Theresa hat einmal gesagt: „Lieben, bis es weh tut!“
Ja es gibt Liebe, die weh tut, Liebe, die anstrengt.
Die Liebe in schlechten Tagen, in Krankheit, in Krisen.
Es gibt den Schmerz der Liebe, die keine entsprechende Gegenliebe findet und auch die Liebe, die nach der Liebe Gottes ruft und anscheinend keine Antwort erfährt.
Lieben, bis es weh tut! – wer mit dieser Absicht unter dem Kreuz steht, wird erleben, dass der Tod am Kreuz Anfang eines österlichen Triumphes ist. Aber zuerst gilt es unter dem Kreuz auszuharren. Lassen wir uns jetzt darauf ein

Keine Wellness für das Weizenkorn

Gründonnerstag in Lind

Mühle – falco/pixabay

Wellness“ ist ein modernes Wort, obwohl es schon vor über 300 Jahren entstanden. Heute versteht man darunter vor allem Methoden und Anwendungen, die das körperliche, geistige und seelische Wohlbefinden steigern.

Stellen wir uns einmal vor: da ist ein Weizenkorn, das beim Aufsammeln in der Scheune übriggeblieben ist. Es hat nicht die Reise in die Mühle angetreten, wo es zu Mehl gemahlen werden sollte. Stattdessen liegt es in der Scheune, von der Sonne beschienen; ja so lässt es sich aushalten. „Wellness für das Weizenkorn“.

Aber es bleibt allein; mehr noch, es muss erfahren, ich bin zu nichts nütze. Ein Weizenkorn, das nicht gemahlen wird, dient zu nichts.

Man muss kein ein gläubiger Mensch sein, um zu erkennen, „leben nur für sich selbst“, hat keinen Sinn. So lehren Judentum und Christentum die Nächstenliebe, der Islam die Brüderlichkeit und auch die franz. Revolution und der Humanismus haben sich die Brüderlichkeit und Solidarität auf die Fahnen geschrieben.

Heute abend geht es auch um Weizenkörner und um Trauben – allerdings um Weizenkörner, die gemahlen wurden, damit aus dem Mehl Brot wird und Trauben, die zerrieben wurden, damit daraus Wein wird. Es geht um die eucharistischen Gaben, Brot und Wein. Sie sind uns Sakrament, Zeichen für Jesu Sterben und für sein Leben.

Jesus geht seinen Weg der Hinwendung zum Menschen bis zum Ende und zerbricht, wie die Körner, die gemahlen wurden, und die Trauben, die gekeltert wurden.

Es gibt keine besseren Zeichen für die Existenz Jesu als Brot und Wein. „Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut“ sagt der Herr. Es bleibt wie schon seit Noachs Zeiten: Gott bindet sich die Menschen, Gott bindet sich an uns und diese Bindung zerbricht nicht im Tod, sie hält den Tod aus. Ja, bis zum Letzten, bis aufs Blut hält er den Bund mit uns durch.

Auch unser Leben kennt Zerbrochenes. Auch unser Leben weiß, was es heißt, zwischen die Mühlsteine zu geraten, getreten, zertreten zu werden.
Jesus lässt sich darauf ein.

Unsere Zerbrechlichkeit macht er sich zu eigen. Er geht mit uns in die Nacht des Todes, die sich in so vielen Nächten des Lebens widerspiegelt.

Wegzehrung“ – nennt man die Eucharistie, die dem Sterbenden gereicht wird. Weil es auch für unseren Tod gilt: Gott bindet sich an uns und diese Bindung zerbricht nicht im Tod, sie hält den Tod aus! Den treuen Gott kann nichts von unserer Seite vertreiben. Christus bleibt der Weggefährte, indem er sich selbst uns zur Speise gibt.

„Wegzehrung“ ist die Eucharistie für jeden Angefochtenen, für jeden, der zermahlen, getreten, zertreten wird. Für jeden, dessen Schicksal dem „Schicksal“ von Brot und Wein gleicht.

Dies ist hier kein Mahl der Seligen, sondern ein Mahl der Zerbrochenen – auch dann, wenn sie nicht alle leibhaft anwesend sind. Aber sie stehen mit uns um den Altar:
die Kranken in den Krankenhäusern und bei uns zuhause;
die Menschen, deren Lebensträume zerplatzt sind wie eine Seifenblase, die vor den Scherben ihres Lebens stehen;
die Mutlosen, Resignierten, Hoffnungslosen
und so viele andere, die das Schicksal des Zerbrochen-Seins am eigenen Leib erfahren haben und erfahren.

Empfangt, was ihr seid: Leib Christi; Denn ihr werdet, was ihr empfangt: Leib Christi“ sagt der Heilige Augustinus. So werden die Zerbrochenen dieser Welt zum Leib Christi. Die Wandlung geht nicht an uns vorbei. Sie erfasst uns.

In dieser Versammlung gibt es deshalb nichts Privates mehr! Wenn wir Leib Christi sind, dann nie für uns allein nach dem Motto „Mein Jesus, mein Gott, mein Himmel“; sondern dann sind wir wie der Leib Christi immer nur für andere – so wie Jesus Existenz ein Leben für andere war.

 

Mitgehen beim Abstieg

Predigt am Palmsonntag 2024 in Mayschoß

Altar in Kirchsahr

Verstehen Sie das alles? „Andern hat er geholfen, sich selbst kann er nicht helfen!“
Wer soll das begreifen? Der Messias, der Sohn Gottes stirbt elend am Kreuz. Reden wir nicht drumherum: Wir sind unfähig, Jesu Leiden, Sterben und Tod zu begreifen. Allein die Gnade Gottes erschließt uns den Sinn dieses Weges, der nicht erst am Palmsonntag in Jerusalem begonnen hat, sondern schon in Bethlehem als kein Platz in der Herberge war.

Jesus hat von sich bekannt, dass er, der einzige Sohn, vom Vater im Himmel in die Welt gekommen ist. Damit hat Gott eine Geschichte in unserer Geschichte. Aber was ist das für eine Geschichte?
Es ist nicht die Episode eines triumphalen Gottes, dem sich alles unterwerfen muss, nicht die Geschichte eines neugierigen Gottes, der in Menschengestalt auf der Erde umhergeht, um dann schnell wieder in himmlischen Sphären zu entschwinden – wie man sich von manchen griechischen Göttern erzählt.

Es ist die Geschichte, die der Philipperbrief treffend beschreibt. Wir haben daraus wie eine Ouvertüre zur Passion in der Lesung gehört: Jesus hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.

Er entäußerte sich – in der lateinischen Vulgata-Bibel steht hier: „evacuatio“, er entleerte sich. Das heißt: er hat das Göttliche „Sein für sich“ aufgeben und ist in die Bewegung des „Sein-Für-die-anderen“ eingetreten.
Genau darin ist er der „Herr“, der Kyrios geworden, dem sich alles unterwirft, in dem es die Knie beugt und bekennt, „Jesus Christus ist der Herr“.

Der, der freiwillig gehorcht, ist der wahrhaft Herrschende;
der in die letzte Niedrigkeit Abgestiegene ist gerade dadurch der Herrscher der Welt.

In Christus hat sich Gott selbst im Absteigen offenbart.“ (Benedikt XVI., Jesus von Nazareth S.126). Deshalb besteht der Weg zu Gott „im Mitgehen bei diesem Abstieg“.

Christ- sein ist kein „Hauptgewinn“, den man strahlend besitzen kann, wie ein Beutestück, das man erobert hat und das nur für einen selbst eine Bedeutung hat, sondern Christ-sein ist immer Eintreten in die Passion, in die Leidenschaft Jesu für die Menschen.

Solange noch ein Mensch auf der großen Welt und in unserer kleinen Welt leiden muss, sind noch nicht genug, sind wir noch nicht genug diesen Weg hinab zu den Kleinen und Armen, zu den Alten, Kranken, Einsamen, Schwachen, zu den Hoffnungslosen und Resignierten mitgegangen.

Viele von Ihnen haben es am eigenen Leib erlebt – plötzlich über Nacht zählten Sie in der Flut zu den Einsamen, den Hilflosen, den Schwachen, angesichts des Verlustes von Hab und Gut auch zu den oft Hoffnungslosen. Sie kennen den Weg hinab! Und: Sie haben auch viele Menschen erlebt, die zu Ihnen hinabgestiegen sind.

Vielleicht spüren Sie es, die Karwoche ist nicht irgendeine Woche. Es ist eine Woche wie das Leben.

Es gibt viele Möglichkeiten, am Weg Jesu teilzunehmen.
Als unbeteiligter, als fassungsloser Zuschauer, als einer, der Bescheid weiß, aber schließlich fern vom Kreuz steht,
als einer der Herrschenden, für den dieser Jesus von Nazareth nur eine Episode war.

Oder als jemand, der sich entschließt, mitzugehen – nicht eiligen Schrittes, eher tastend, vorsichtig, aber entschlossen. Der Weg ist nicht leicht. Der Evangelist Lukas berichtet in seiner Passion von der Bitte des Verbrechers, der mit dem Herrn gekreuzigt wurde. Vielleicht ist seine Bitte auch das rechte Wort auch für uns: „Jesus, denk an mich!“