Die heilende Berührung: Ein Bild von Glaube, Hoffnung und Sehnsucht

Messe am 50.Jahrestag der Priesterweihe

Evangelium (Mk 5, 24b-34)

Und es folgte ihm eine große Menschenmasse, und sie bedrängten ihn.
Da kam eine Frau, die schon seit zwölf Jahren an Blutfluß litt: sie hatte schon vieles erlitten von zahlreichen Ärzten; sie hatte ihr ganzes Vermögen aufgewandt, doch es hat nichts genutzt, es war sogar noch schlimmer geworden.
Sie hatte von Jesus gehört. Nun kam sie in der Menge von hinten her und berührte sein Gewand. Denn sie sagte sich: Wenn ich auch nur sein Gewand berühre, werde ich geheilt. Und sogleich versiegte die Quelle ihrer Blutung, und sie spürte am ganzen Leib, daß sie von der Plage geheilt war.
Da merkte Jesus bei sich die Kraft, die von ihm ausgegangen war, er wandte sich in dem Gedränge um und sagte: Wer hat mein Gewand berührt? Und seine Jünger sagten ihm: du siehst doch die Volksmenge, die dich bedrängt, und du sagst, wer hat mich berührt? Und er blickte umher, und sah die, die das getan hatte.
Die Frau aber fürchtete sich und zitterte; denn sie wusste, was ihr geschehen war. Sie kam, fiel vor ihm nieder und erzählte ihm die ganze Wahrheit. Er aber sagte zu ihr: Tochter, dein Glaube hat dich gerettet. Geh in Frieden und sei gesund von der Plage.

Was ist das denn für ein Evangelium an einem solchen Tag? Und wahrscheinlich darüber jetzt auch noch predigen. Hoffentlich nicht länger als 8 Minuten, wie Papst Franziskus empfiehlt. Wäre es nicht reizvoller, auf 50 Jahre zurückzublicken. Reizvoller vielleicht – vielleicht auch depressiver.

Aber ich möchte das tun, was mir immer wichtig war und ist: dass wir uns unter das Wort Gottes stellen und schauen, ob es uns etwas zu sagen hat:

In meiner Wohnung hängt ein Bild, das mir ein Freund aus Israel mitgebracht hat. Es ist eine Reproduktion des Altarbildes in der Krypta von Magdala am See Genezareth,  einer meiner Lieblingsorte am See – auch wenn er von einer sehr fundamentalistischen Gemeinschaft verwaltet wird.

Auf den ersten Eindruck befremdet und fasziniert das Altarbild. Es stammt von einem italienischen Künstler (Daniel Cariola) Man sieht ein Gewirr von Männerbeinen und -füßen, das erahnen lässt, welche Menge an Menschen in der Szene versammelt sind. Ein weißes bodenlanges Gewand in der Mitte. Durch das Gewirr der Beine hindurch findet eine  Frauenhand ihren Weg, um das Gewand Jesu zu berühren. Eine Illustration des Evangelium-Textes.

Von der Frau, deren Hand wir sehen, wissen wir, dass sie schon zwölf Jahre an ihrer Krankheit litt, die wir nicht näher deuten können. Viele Leiden waren damit verbunden – körperliche und seelische.

Ihre Krankheit war keineswegs nur ein medizinisches Problem. Der Blutfluss machte sie unrein, schloss sie aus vom sozialen und kultischen Leben Israels. Sie durfte niemandem zu nahe kommen, weil Nähe auch unrein machte. 12 Jahre ohne Hilfe und Heilung, 12 Jahre geächtet. Sie war praktisch eine Tote, obwohl sie lebte.
Nun könnte man an dieser Stelle über die ach oft so unmenschlichen Reinheitsvorschriften im Judentum sprechen. Doch viele der für uns unverständlichen Vorschriften hatten ihren Sinn darin, die Gemeinschaft vor ansteckenden oder damals noch undurchschaubaren Krankheiten zu schützen. Aber man kann es drehen oder wenden wie man will, Menschen wurden dadurch ausgegrenzt und geächtet.

Dass Menschen ausgegrenzt werden aus der Gesellschaft, ist keine Sache nur in grauen Vorzeiten. Das gibt es auch heute noch.  Die Notwendigkeit der Teilhabe von ausgegrenzten Menschen am gesellschaftlichen Leben ist ein drängendes Thema.

Die Frau im Evangelium hat ihr ganzes Vermögen in ihre Heilung investiert. Alle Versuche, die Not zu lindern, waren gescheitert. Sie hatte wohl von Jesus gehört. Nun drängt sie sich zielsicher – und verborgen in der Menge – an Jesus heran. Sie berührt – ohne Jesus vorher anzusprechen – sein Gewand. Von Jesus geht nun eine Kraft aus, die sie heilt.

Kein magischer Vorgang, sondern die Kraft ist ein Zeichen für die Macht, die hier am Werk ist, die Macht Gottes.

Eine Szene, die mich fragt nach meinem Glauben? Was traue ich Gott zu? Bin ich wie diese Frau, die selbst nach 12 Jahren Ächtung und Heilungsversuchen, nicht aufgibt, die – wie unser Bild zeigt – den Weg durch die vielen Beine, der Männer sucht, die sie 12 Jahre ausgegrenzt haben. Habe ich dieses Vertrauen oder würde ich vorher aufgeben?

Unsere Geschichte ist noch nicht zu Ende. Jesus geht auf die Suche nach der Frau. Das muss man sich bildlich vorstellen. „Eine große Menschenmasse“ ist dort, so schreibt es der Evangelist Markus. Ich denke spontan an die Fanzone bei der EM. Wie in aller Welt, in der Masse jemand finden – das sagen ihm auch seine Jünger.
Aber das erleben wir im Neuen Testament immer wieder: für Jesus zählt der einzelne Mensch! Das zu wissen tut gut – denn oft erleben wir uns als einen oder eine von vielen, sind wir nur ein Teilchen in der Masse, nur eine Nummer im System. Für den Herrn zählt jeder und jede Einzelne. Es mag Situationen im Leben geben, wo das sehr wichtig ist.

Diese Zweisamkeit von Jesus und der Frau spiegelt sich auch wieder in den Worten des Evangelisten Markus, der hier wenigen Worten ein Bild großer Intimität zeichnet: „und sie sagte ihm die ganze Wahrheit“ (Mk 5,33). Damit ist wohl nicht ein „Geständnis“ der Frau gemeint, sondern es ist der Raum einer tiefen Begegnung mit dem, der vor Pilatus sagen wird „Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme“.

Wenn wir einer feministischen Theologin an dieser Stelle folgen wollen, bringt die Frau in dieser Begegnung ihre Gotteserfahrung ins Wort.[1]

Die „Rettung“ der Frau ist nicht nur als körperliche Genesung, sondern als „Herstellung einer gelungenen Gottesbeziehung“ zu verstehen. „Gotteserfahrung, Gottesbeziehung“, das klingt so groß, so weltfern, so wenig realistisch. Aber hören wir noch einen Augenblick hin: Geh in Frieden, sagt Jesus zu ihr.

Frieden bedeutet in der Sprache Jesu „Shalom“.
Shalom, das meint nicht nur die Abwesenheit von Streit und Krieg. Das meint auch Gesundheit, Sicherheit, Frieden, Unversehrtheit und Ruhe – sozusagen paradiesische Zustände, in denen der Schöpfer und sein Schöpfer in Harmonie miteinander lebten.

Spüren Sie, wohin uns die Geschichte führt: ich gebe ehrlich zu, diesen Shalom, diesen Frieden wünsche ich mir auch. Er ist der Ausweis der Beziehung zu Gott, der Möglichkeit einer Gotteserfahrung.
So ist am Ende der Geschichte die Rede von der Sehnsucht in meinem, vielleicht auch in Ihrem und Eurem Leben: Was ersehne ich in meinem Leben?

Nelly Sachs, die jüdische Literatur-Nobelpreisträgerin, schreibt:
Alles beginnt mit der Sehnsucht, immer ist im Herzen Raum für mehr, für Schöneres, für Größeres – Das ist des Menschen Größe und Not: Sehnsucht nach Stille, nach Freundschaft und Liebe. Und wo Sehnsucht sich erfüllt, dort bricht sie noch stärker auf.

Etwas von dieser Sehnsucht hat uns heute auch hier zusammengeführt. Deshalb ist diese Stunde so wichtig.

[1] so Ursula Metternich in „Sie sagte ihm die ganze Wahrheit“. Die Erzählung von der „Blutflüssigen“ – feministisch gedeutet.

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