Ich steh an Deiner Krippen hier.
Vor gut 800 Jahren hat Franziskus im Wald bei Greccio in Italien die erste Krippe aufgebaut. Die Menschen dort sollten „so greifbar als möglich mit den leiblichen Augen schauen, dass Jesus nicht in den Häusern der Reichen und Mächtigen geboren worden war, sondern in der Armut eines Stalles.
Männer und Frauen trugen Kerzen und Fackeln, so wird berichtet, und im ganzen Wald erschallen freudige Gesänge. Die Menschen spürten: Gottes Sohn ist Mensch geworden in unserer Welt.
Seitdem gehört die Krippe an Weihnachten in unsere Kirchen und seit etwa 200 Jahren auch in viele Wohnhäusern. Allerdings nicht selten ist sie verkommen zu einer Wohnzimmer-Dekoration, die kaum noch eine Botschaft hinterlässt.
Auch die Krippe hier in Dernau steht hier nicht als weihnachtliche Dekoration, sondern als Zeichen, dass die Geburt Jesus auch etwas mit uns hier zu tun.
Jesus wird hineingeboren nicht in irgendeine Phantasiewelt, wo alles in Ordnung ist, sondern in diese Welt, die geplagt ist von Kriegen, Krankheit, Not, Tod.
Hineingeboren in unsere Welt – so wie wir sie erleben.
Hineingeboren in meine Welt. So traurig, so heillos, so zerrissen sie auch ist.
Hineingeboren in meine Welt. So verschieden sie auch ist von Ihrer, von Deiner Welt.
Meine Ängste, meine Sorgen, meine Nöte, meine Trauer, aber auch meine Hoffnungen und Freuden interessieren dieses Kind, interessieren Gott. – das erzählt mir auch die Krippe hier.
Sie steht nicht an einem Ort, sondern an drei Stellen – man muss sich bewegen, wenn man sie erfassen will. Bewegung ist immer gut – auch im Glauben.
Wenn ich mir die Krippe hier so anschaue, dann stelle ich fest: jeder und jede von uns hat seinen/ ihren Platz in dieser Krippe, an einem oder mehreren Stellen.
Schauen wir doch einmal näher hin:
Unsere Augen werden zuerst einmal gefangen von Maria, Josef und dem Kind hier vor dem Altar.
Ein kleines, hilfloses Kind –
Angesichts eines Kindes erstirbt der Wettbewerb des Alltags, in dem es einzig um Gewinnen und Verlieren geht.
Angesichts eines Neugeborenen kann und muss ich mich nicht definieren über meine Rolle, meinen Titel, zählt nicht mein Haus, mein Auto, mein Geld, mein Erfolg.
Jedes Neugeborene birgt stattdessen – wie Papst Franziskus sagt – in sich eine zweifache Botschaft: „Hoffnung und Zärtlichkeit„. Nicht nur die Hoffnung, dass Gott diese Welt noch nicht aufgegeben hat, sondern auch die Hoffnung der Eltern, dass das Leben weitergeht und das Kind eine bessere Zukunft hat als die eigene Gegenwart.
Und: gibt es etwas Zärtlicheres als die Begegnung der Mutter und auch des Vaters mit ihrem Neugeborenen?
Manch einer der hier vor der Krippe steht, sagt vielleicht: ich brauche keinen Gott! Ich kann mich selbst heilen, mich selbst an meinem Schopf aus dem Sumpf herausziehen.
Diesen so scheinbar selbstbewussten Existenzen nähert sich Gott anders als sie ihn sich vorgestellt haben, er kommt zerbrechlich und zärtlich in der Gestalt des Kindes und sagt ihnen: „Habt keine Angst vor der Zärtlichkeit Gottes.“ Papst Franziskus sagt: Gott selbst lädt uns ein zur „Revolution der zärtlichen Liebe“(Evangelii Gaudium 88). Diese Einladung gilt uns allen – denn wer von uns sehnt sich nicht nach Zärtlichkeit.
Wir sehen dort drüben die Schafe und die Hirten. Die Hirten lebten am Rand der Gesellschaft. Weil sie sich um ihre Herden kümmern mussten und nicht am Gottesdienst in der Synagoge teilnehmen konnten, passten sie nicht in das Bild einer anständigen Gesellschaft. Mit ihnen wollten niemand etwas zu tun haben. Ausgerechnet diese Menschen erfahren als Erste die Weihnachtsbotschaft: Euch ist in der Stadt Davids der Heiland geboren.
In jeder Gemeinschaft leben Menschen am Rand. Vielleicht auch bei Ihnen hier im Ort. Vielleicht sind Sie selbst so jemand, der kein Ansehen hat, um den man einen Bogen macht, der nie eingeladen wird. Dann sagt Ihnen dieser Teil Krippe, wie wichtig Sie sind. So wichtig wie die Hirten auf Bethlehems Feldern.
Und dann sind da noch die drei Weisen aus dem Morgenland, die einem Stern gefolgt sind. Wie kommt man denn dazu einem Stern zu folgen? Wahrscheinlich dann, wenn man eine tiefe Sehnsucht, einen großes Traum in sich trägt.
Es gibt gewiss viele oder einige hier, die auch eine Sehnsucht in sich tragen: die Sehnsucht nach einem Menschen, die Sehnsucht nach einer Arbeitsstelle, die Sehnsucht nach einem Zuhause, die Sehnsucht nach Anerkennung, nach Gesundheit, nach Glück.
Da – schauen Sie – da sind auch Sie unterwegs zur Krippe.
Die drei Weisen bringen nicht nur Gold, Weihrauch und Myrrhe mit. In ihrem Gepäck haben sie auch ihre Sehnsucht. Und auch Sie dürfen hier Sehnsucht mit zur Krippe bringen.
Es gibt noch ein viertes Krippenbild: unten in der Kirche steht eine Schubkarre. Nach der Flut lag das Jesuskind dort im Schlamm. Heute liegt es zwischen Zement und Steinen. Zeichen, dass es vorwärts geht mit dem Wiederaufbau. – Vielleicht ist das auch das Wichtigste für Sie an diesem Weihnachten. Dann ist das Ihr Platz.
Gewiss entdecken Sie hier oder an der Krippe zuhause noch andere Figuren. Sie laden ein, darüber nachzudenken, was sie zu bedeuten haben.
Die Krippe wird irgendwann abgebaut werden – hier in der Kirche und bei Ihnen zuhause. Dann liegt es an uns, ob Weihnachten nur ein Datum im Kalender ist, oder ein Ereignis unseres Lebens.
Wir feiern das Fest seit fast 2000 Jahren Weihnachten und immer noch müssen wir beklagen, dass wir unsere Welt nicht hinkriegen, den Frieden nicht schaffen, den Hunger und die Armut nicht vernichten können.
Und trotzdem:
jedes Jahr an Weihnachten ist das Kind in der Krippe die Botschaft, dass Gott noch nicht am Menschengeschlecht, an uns, an jedem und jeder Einzelnen verzweifelt hat!
Ich steh an Deiner Krippen hier. Wo ist mein Platz?
Wenn wir unseren Platz an der Krippe gefunden haben, dann können wir von dort aufbrechen in den Alltag des Jahres – wie sagt es Papst Franziskus: „als Revolutionäre der Zärtlichkeit und Liebe“.