Wir sind fast am Ziel. Das Ortsschild „Brothausen“ steht vor uns. Noch ein paar Schritte, nur noch eine kurze Weile und wir erreichen Brothausen, Bethlehem. Das deckt sich auch mit der Erfahrung unseres Alltags: die meisten Vorbereitungen sind getan, die Weihnachtsbäume geschmückt, die Geschenke eingekauft, das Essen vorbereitet.Da kann man sich schon fast genüsslich zurücklehnen und den alten Text in der Lesung genießen, der einem seit Kindertagen vertraut ist: Du, Betlehem-Efrata, so klein unter den Gauen Judas, aus dir wird mir einer hervorgehen, der über Israel herrschen soll. Das Wort des Propheten Micha, das noch einmal eine Rolle spielen wird bei der Begegnung der drei Weisen aus dem Morgenland mit König Herodes.
Man könnte so richtig in Weihnachtsstimmung kommen, wenn der Kontext nicht wäre, in dem die Worte des Propheten Micha gesprochen wurden.
Wir wissen nicht viel über ihn, er lebte etwa 600 Jahre vor Christi Geburt. Vermutlich war er ein einfacher Mann, ein Schafzüchter oder Bauer; denn in vielem, was er im Auftrag Gottes den Reichen und Mächtigen von damals sagte, klingt die Erfahrung, die Wut und der Zorn des geschundenen kleinen Mannes mit. Uns würde die Laune vergehen, würden wir alles hören, was er den Menschen seiner Zeit zu sagen hatte.
Seiner Zeit? Oder vielleicht doch auch unserer Zeit?
Weh denen, die auf ihrem Lager Unheil planen und Böses ersinnen. Wenn es Tag wird, führen sie es aus; denn sie haben die Macht dazu. Sie wollen Felder haben und reißen sie an sich, sie wollen Häuser haben und bringen sie in ihren Besitz. Sie wenden Gewalt an gegen den Mann und sein Haus, gegen den Besitzer und sein Eigentum. – Wer denkt bei solchen Worten des Propheten nicht an die Immobilien Spekulanten unserer Tage, an die, die Häuser kaufen, modernisieren und die Mieter auf die Straße setzen, die anschließend die hohen Mieten nicht mehr bezahlen können?
Sie fressen mein Volk auf, sie ziehen den Leuten die Haut ab / und zerbrechen ihnen die Knochen; sie zerlegen sie wie Fleisch für den Kochtopf, / wie Braten für die Pfanne. – Auch das klingt sehr aktuell angesichts einer Finanz- und Wirtschaftskrise, die Reiche reicher und Arme ärmer werden läßt. Nicht irgendwo, fern ab in Griechenland, sondern hier vor unserer Haustür „Wohlhabende Stadt mit vielen Armen In Bonn ist die Schere zwischen Reich und Arm besonders ausgeprägt“, titelte in dieser Woche die Zeitung als der Armutsbericht der Bundesregierung vorgelegt und von den Wohlfahrtsverbänden kommentiert wurde.
Und auch dieses Wort beschreibt keineswegs nur die Zustände vor über 2500 Jahren: Verschwunden sind die Treuen im Land, kein Redlicher ist mehr unter den Menschen. Alle lauern auf Blut, einer macht Jagd auf den andern. Sie trachten nach bösem Gewinn und lassen sich’s gut gehen. Angesichts mancher Nachrichten möchte man meinen, das Wort des Propheten reicht bis in unsere Tage.
„Wo um Gottes Willen soll denn das schließlich hinführen?“, fragte mich in den letzten Tagen eine ältere Frau, die mit all den schlechten Nachrichten, die auf uns einströmen nicht mehr zurechtkam?Wo soll denn das alles hinführen? Vielleicht haben sich das auch die Zuhörer des Mischa gefragt, denen er in all ihrer Verzweiflung auch Hoffnung geben wollte. Immer werden Kinder geboren, selbst unter den grausamsten Zuständen, und unter ihnen wird eines Tages eins sein, sagt Micha, aus dem für die geplagten Menschen wirklich ein Segensbringer werden wird.
Das macht die Sache für uns heute nicht einfach. Glauben wir doch, daß in Jesus Christus der Messias bereits gekommen ist. Aber wir stellen fest: Es gibt nicht weniger Unzufriedenheit und nicht weniger Mißmut, es herrscht nach wie vor Krieg und tagtäglich von Menschen produziertes Leiden.
Hat die messianische Hoffnung bzw. deren Erfüllung in Jesus von Nazareth deshalb ihre Kraft verloren? Hat sie versagt? Haben nicht doch jene recht, die sich im Namen der Vernunft, der Profitmaximierung oder welcher Maxime auch immer gar nicht auf diese Hoffnung einzulassen, die stattdessen schon längst ihre Felle ins Trockene gebracht haben?
„Und er wird der Friede sein“ sagt Micha von dem Herrscher, der geboren wird.
Frieden – im Hebräischen „Shalom“, ein Wort, das über die landläufige Bedeutung von Frieden weit hinausgeht und auch Dimensionen wie Heil, Wohlergehen, Glück, Leben in rechter Ordnung etc. miteinschließt – alles, das man nicht kaufen kann, das dort heranwächst, wo Menschen es miteinander teilen.
Das ist die Antwort. Deshalb stehen unsere beiden Menschen kurz vor Brothausen und teilen miteinander das Brot, wohlwissend, es geht beim täglichen Brot, nicht nur um das Lebensmittel für unseren Leib, vielmehr sind auch ganz andere Grundbedürfnisse gemeint, die um eines menschenwürdigen Lebens willen befriedigt sein wollen.
Teilen tut gut. In einem neuen geistlichen Lied heißt es: „Wenn das Brot, das wir teilen, als Rose blüht und das Wort, das wir sprechen, als Lied erklingt, dann hat Gott unter uns schon sein Haus gebaut…
Wir erleben es in unserem eigenen Leben: die Anhäufung materiellen Reichtums kann unseren Hunger und Durst nach einem erfüllten Leben nicht stillen. Was für unsere kleine Welt gilt, das gilt auch für die globalen Zusammenhänge: unsere Welt kann nur überleben als eine menschenfreundliche Welt, wenn sie lernt, zu teilen.
Wenn jeder gibt, was er hat, dann werden alle satt! Die Menschen auf unserem Weg nach Brothausen sind kurz vor dem Ziel. Sie werden nur ankommen, wenn sie teilen.