LückenFÜLLER – kein Lückenbüßer

Die Situation ist nicht gerade prickelnd: der Chef ist weg, die Führungsriege dezimiert, die Umwelt mehr ablehnend als freundlich gesinnt.
Hätten Sie da Lust in das Unternehmen einzusteigen? Oder würden Sie lieber erst mal sehen, wie die Sache weitergeht? Nach dem Motto: Mitmachen kann man ja immer noch.

Das ist die Situation, in der sich die junge Gemeinde in Jerusalem versammeln. (Apg 1,15-17.20ac-26) . Abgeschottet von der Außenwelt, die nichts von ihnen hält. Petrus übernimmt das Wort. Für ihn steht fest: Judas ist an allem schuld; obwohl sich Petrus selbst ja auch nicht mit Ruhm bekleckert hat. Nach der Verhaftung Jesu in Jerusalem hatte er getönt: „ich kenne den Menschen nicht.“

Inzwischen hat der Auferstandene ihn wohl wieder rehabilitiert, so dass er jetzt die Rolle übernimmt, die ihm Jesus zugedacht hatte: der Fels.

Ein Ersatz für Judas muss her. Die Stellenbeschreibung ist einfach: Er muss Mann sein – so ist das bei der Führungsriege in der Kirche bis heute – leider.
Er muss jemand sein, der von Anfang an gemeinsam mit den Aposteln und Jesus unterwegs gewesen ist. Und er muss, wie die anderen Apostel, Zeuge der Auferstehung sein. Ein klar umrissenes Anforderungsprofil.

Es gibt unter den 120 Anwesenden keine große Auswahl: Zwei Männer kommen in die engere Wahl. Joseph, genannt Barsabas, mit dem Beinamen Justus, und Matthias, ohne weitere Hinzufügungen. Ganz einfach.

Anders als heute erwartet sie keine große Karriere: die kleine Schar Christen ist nicht mächtig, sondern eher ein verängstigte Gruppe, die sich häufig lieber hinter verschlossenen Türen aufhält. Da drängt man sich nicht in den Vordergrund. So zu enden wie Jesus ist nicht erstrebenswert.
Zwei Männer stehen zur Wahl – aber es gibt keine Stimmzettel, kein Abstimmung mit Handzeichen. Die Anwesenden legen die Entscheidung in die Hand Gottes. Das Los soll entscheiden.
Nicht weil die Versammlung sich nicht entscheiden konnte, sondern, so lässt es die Apostelgeschichte vermuten, weil Gott hier mitspielen, mitwirken soll.

Das Los! Schwarz oder weiß! –
Und das Los fiel auf Matthias. – Mehr erfahren wir nicht.

Wie mag er sich gefühlt haben?
als Lückenbüßer; als Ersatzmann; als Reservespieler, der nur zum Einsatz kommt, weil einer aus der Stammmannschaft versagt hat. Das kratzt am Ego.

Wenn wir es mit den Augen der Welt sehen, die darauf aus ist, dass jeder und jede sich selbstverwirklicht, dass es nur aufwärts geht und der eigene Lebensweg keinen Knick erfährt – dann kann man so denken: das kratzt am Selbstwertgefühl.

Wenn wir aber auf die Realität des Lebens schauen, dann sieht es anders aus:
es gibt die Aufgaben hier am Ort, in der Familie, im Verein, in der Gesellschaft, hier in der Gemeinde, in unserer Kirche, die müssen getan werden.
Aufgaben, die Menschen brauchen, die sie erledigen, die anpacken und vielleicht sogar bereit sind, sich die Hände schmutzig zu machen.

Und die, die dann in die Lücke springen, die sich auftut, sind keine Lückenbüßer, sondern Lückenfüller. Menschen, ohne die es an vielen Stellen nicht weiterginge und vieles auf der Strecke bleiben würde.

Matthias ist ein solcher Lückenfüller. Er kann noch nicht wissen, was aus der Sache Jesu wird. Aber er ist bereit, dafür einzustehen, weil es ihm wichtig ist.
„Die Sache Jesu braucht Begeisterte.
Sein Geist sucht sie auch unter uns.
Er macht uns frei, damit wir einander befrein.“, heißt es in einem  geistlichen Lied, das Sie vielleicht bei Ihrer Firmung gesungen haben.

So wird der Matthias zum Patron, zum Begleiter all‘ derer, die bereit sind, Lücken zu füllen, die sich auftun in Gesellschaft und Kirche.
Die nicht zögern, weil sie nicht wissen, wie die Sache ausgeht.
Die etwas wagen, die Neuland betreten im Vertrauen darauf, dass Gott das gute Tun begleitet.

Ich bin sicher, auch heute sitzen viele unter uns, die an unterschiedlichen Stellen bereit waren und sind, eine Lücke zu füllen – wie Matthias es getan.

Wir wissen nicht viel über den Heiligen Matthias – aber immerhin hat er es zum Patron des Bistums Trier gebracht. Wenn das kein Anreiz ist, Lücken zu füllen, wo man gebraucht wird.

Predigt am 12.Mai 2024 in Dernau/Ahr

 

Josef – Patron der Randfiguren

Auf Ikonen und mittelalterlichen Weihnachtsdarstellungen wird er oft am Rand dargestellt, zusammengekauert, schlafend, ohne Einfluß auf das Geschehen: Josef, dessen Fest wir heute feiern.

Von ihm ist kein Wort im Neuen Testament überliefert und außer in der Kindheitsgeschichte findet sein Name kaum eine Erwähnung. Er scheint wirklich eine Randfigur zu sein.

Doch die Existenz Jesu ist ohne ihn nicht denkbar: er nimmt die Frau mit dem „unehelichen“ Kind als Ehefrau an und bewahrt sie so vor der Steinigung.
Er gibt dem Kind juristisch die Vaterschaft und stellt es so hinein in die große Tradition seines Volkes.
Er flüchtet mit Frau und Kind nach Ägypten, und Jesu entgeht so der herodianischen Verfolgung.

Dies alles immer auf die Weisung Gottes hin. Josef ist der lebendige Beweis, daß Träume keine Schäume sind, sondern daß in ihnen Gott selbst zu uns sprechen kann.
Er ist der Mann, der hört und geht, der aufbricht ohne lange zu zögern, der handelt ohne Wenn und Aber, der so die Heilsgeschichte voran bringt.

Vielleicht hat ihm deshalb die christliche Frömmigkeit einen bedeutenderen Platz eingeräumt als die Theologen. Wir spüren in uns das Verlangen, wir er handeln zu können: ohne die vielen faulen Kompromisse, die wir oft machen. Wir wünschen uns die Klarheit des Weges, die Sicherheit des nächsten Schritts, die ihm eigen war.

Ihm gebührt ein Platz in der Mitte und nicht am Rand. Aber: es ist heute wie damals: die, die im Licht stehen, bedürfen derer, die in ihrem Schatten leben.

Wir können es im Alltag unseres Lebens durchbuchstabieren: was wäre der beste Chef ohne seine umsichtige Sekretärin, was wäre die beste Schauspielerin ohne ihren Agenten, was wäre der beste Koch ohne seine Küchenhilfen, was wäre der beste Herzchirurg ohne die OP-Schwester, was wäre die beste Politikerin ohne die vielen, die ihr zuarbeiten, was wäre unsere Gesellschaft ohne die vielen Namenlosen, die niemals Schlagzeilen machen, die nie im Rampenlicht stehen, ohne die aber nichts richtig vorankommen würde.

Josef scheint der Patron all dieser Randfiguren zu sein. Er rückt sie alle ins rechte Licht. So wird sein Festtag zu einem Dank für alle, die uns das Leben ermöglichen und die so selten unsere Beachtung finden.

Auf nach Galiläa!

Gedanken am Osterfest 2024

(c)dimitrisvetsikas1969/Pixabay

Sie haben es gehört-Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat.“ –Also dann auf Galiläa. Dort werden wir ihn sehen. Aber wo ist dieses Galilä?

Gewiss zuerst einmal ist das biblische Galiläa im Norden Israels westlich des Sees Genezareth gemeint. Der Name „Galiläa“ ist wohl eine Abkürzung von galil ha-gojim; das heisst: „Bezirk der Heiden“. In Jerusalem verachtete man diesen Teil des Landes, denn da wohnten Juden und Heiden. Die „reine Religion“ war da kaum zu praktizieren. „Kann aus Nazareth (in Galiläa) etwas Gutes kommen?“. Wir kennen die Frage des Nataneal, die die Vorbehalte der Frommen ins Wort bringt.

Aber ist dieses Galiläa gemeint? Müssen wir jetzt alle auf Pilgerfahrt nach Israel gehen?

Schauen wir bevor wir das Ziel ins Auge nehmen einen Moment auf den Ostermorgen in Jerusalem, so wie Markus ihn überliefert hat.

Es gibt gleich zwei Zeitangaben:

  • Die erste: als der Shabbat vorüber war, kauften die Frauen die Öle – der Shabbat markiert den letzten Tag der Schöpfung, einen Abschluß. Eine Zeitangabe, die rückwärts gerichtet ist.
  • Die zweite: Am ersten Tag der Woche kamen sie in aller Frühe zum Grab. – der erste Tag der Woche steht für den Neuanfang. Nichts ist an diesem Morgen alt, vertraut oder bewährt. Der Stein ist weggewälzt und das Grab ist leer!

Ein junger Mann gibt den Frauen drei Aufträge: „Seht – geht – sagt!“

  • Seht, da ist die Stelle, wo man ihn hingelegt hatte“. – das ist ein letzter Blick in die Vergangenheit. Ein letzter Blick auf den Karfreitag.
  • Geht“ –hier könnt Ihr nicht bleiben. Das ist der Ort der Toten. Immer dann wenn in der Schrift Menschen mit Gott in Berührung kommen, trifft sie das Wort „Geh!“, können sie nicht bleiben, sondern müssen aufbrechen.
  • Sagt es seinen Jüngern, vor allem Petrus: Er geht euch voraus nach Galiläa“ – die Botschaft von der Auferstehung will verkündet werden. „Zeugen der Auferstehung“ sind nötig. (Apg 1,22)

Und jetzt beginnt das Problem. Haben Sie noch den letzten Satz des Evangeliums im Ohr: „Sie sagten niemand etwas davon; denn sie fürchteten sich.“? Damit endet ursprünglich das Markus-Evangelium.

Im Markus-Evangelium finden wir keine der uns vertrauten Ostergeschichten, die so schön helfen, im Ansatz zu verstehen, was geschehen ist: kein Wort über die Begegnung des Auferstandenen mit Maria von Magdala, kein Wort von den Emmaus-Jüngern, keine Erzählung von dem zweifelnden Thomas. Nur dieser eine Hinweis: „Er geht euch voraus nach Galiläa“.

Wir werden uns also aufmachen müssen, so wie die Jünger damals. Allerdings dieses Galiläa finden wir auf keiner Landkarte, dieses Galilää ist unsere Welt. Es sind die Glaubenden und die Ungläubigen, die Frommen und die Lauen, die Heiligen und die Sünder, die Guten und die Bösen. Dieses Galiläa ist unsere Alltagswelt, das, was wir tagtäglich erleben. Dort finden wir den Auferstandenen.

Jetzt sind eigentlich Sie an der Reihe. Sie müssten sich jetzt erzählen, wie sie in Ihrem Alltag die Spuren des Auferstandenen entdecken. Vielleicht werden Sie jetzt sagen: Ich doch nicht! Wo denn?

Und dann würde ich Sie fragen: Haben Sie schon einmal „Zuwendung, Heilung, Versöhnung, Vergebung“ erlebt?
Denn davon ist in den Geschichten von Jesus die Rede, die sich Galiläa ereignet haben.
Das bleibt nicht beschränkt auf seine drei irdischen Jahre, sondern das wird auch heute noch erlebt wird: Zuwendung, Heilung, Versöhnung, Vergebung – in Ihrem Ort, unserer Welt. Spuren des Auferstandenen

Jetzt müssten Sie davon sprechen, wie Sie den Herrn getroffen haben: und zwar in all den Menschen, mit denen er sich solidarisierte: mit den Kranken, den Fremden, den Ausgestoßenen, den Leidenden.

Jetzt müssten Sie berichten von den Augenblicken in Ihrem Leben, wo es nach langer Nacht in Ihrer Seele wieder Tag wurde, wo Sie neue Hoffnung schöpften, wo es plötzlich doch wieder Zukunft gab!

Manchmal feiern wir mitten im Tag ein Fest der Auferstehung“, heißt es in einem Kirchenlied.

Ostern ist das Fest der Hoffnung – und wir erleben es in den kleinen Hoffnungsgeschichten mitten in der Welt, mitten in unserer Welt.

Machen wir es nicht wie die Frauen im Markus-Evangelium. Schweigen wir nicht! Reden wir davon, wie wir dem Auferstandenen in unserem Galiläa, in unserer Welt begegnen. Wir brauchen keine Ostergeschichten: wir sind Maria von Magdala, wir sind die Emmaus-Jüngern, wir sind der ungläubige Thomas.

Also dann: auf nach Galiläa. Ich bin dabei. Gehen Sie auch mit?

 

 

Unter dem Kreuz ausharren

oder: Lieben bis es weh tut
Gedanken vor dem Verlesen der Passion am Karfreitag

(c) couleur/pixabay

Ich hoffe, Sie sitzen alle gut oder haben einen festen Stand. Denn jetzt geht es zur Sache! Die ganze Welt drängt sich jetzt hinein in die Kirche von Lind – besonders die leidende Welt.
Die Geschlagenen, die Verleugneten, die Enttäuschten, die Verratenen, die Opfer von Gewalt und Verleumdung, falscher Anklagen und schnellen Prozessen.
Und mittendrin, Sie und ich – niemand kann sich drücken und verdrücken – jetzt wird die Geschichte erzählt von dem, der allen wohl getan hat und dem man doch übel mitspielte.

Ich weiß, Sie kennen die Geschichte. Je nachdem wie alt Sie sind, haben Sie sie schon Dutzend Male gehört; aber schalten Sie jetzt bitte nicht ab, bleiben Sie bitte dran. Nein, bleiben Sie bitte drin in der Geschichte.

Entsetzen Sie sich bitte über das, was da geschickt, erschrecken Sie über das Verhalten der Menschen, gehen Sie mit Jesus seinen Weg – und sehen Sie in seinem Gesicht die Gesichter der Leidenden dieser Welt.

Für den Evangelisten Johannes ist der Kreuzweg nicht nur ein Leidensweg, sondern der Weg zu einer Thronbesteigung. Johannes hat lange nachgedacht über dieses Ereignis, das nicht nur ihm unverständlich ist.

Ein souveräner Jesus begegnet uns in seiner Passion. Das Aufrichten des Kreuzes, seine Erhöhung ist eine königliche Thronerhebung. „Wenn ich über der Erde erhöht bin, werde ich alle zu mir ziehen“, hat er zu Nikodemus gesagt.

Sagen Sie bitte nicht, dass Sie das sofort verstehen. Ein König, der ans Kreuz geheftet wird. Ein König, der nicht von oben herab regiert, sondern der alle an sich zieht.
Alle, nicht nur die Frommen, nicht nur die Erfolgreichen, nicht nur die auf der Sonnenseite des Lebens. Vor allem jene, die ihre Wunden scheu vor den anderen verbergen, die leiden und weinen in den stillen Nächten des Lebens. Alle, auch Sie und mich.

Ein geistlicher Lehrer (Ignatius von Loyola) empfiehlt uns, Christus unsern Herrn sich gegenwärtig und am Kreuz hängend vorzustellen und ein Gespräch zu halten, so „wie ein Freund zum anderen spricht“ (EB 53+54).

Kommen Sie also bitte mit bis unter das Kreuz: hier fällt aller Egoismus in den Abgrund des Todes.

Hier wird mir bewusst, wie sehr die Gewalt der Sünde jedem den Weg in die Zukunft verstellt – die eigene Sünde wie auch die Sünde der anderen, die mir schadet.

Hier werden die selbstverständliche Lüge und das Böse der Gewalt offenbart.

Hier sehe ich, was der Apostel Paulus meint, wenn er schreibt: „Christus Jesus war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.“ (Phil 2,6-8)

Und dies nicht anonym, für die Menschheit schlechthin, sondern für mich.

Wer dessen gewahr wird, wer erkennt – der hängt da am Kreuz für mich –, der kann sich nicht abwenden und teilnahmslos von dannen ziehen. Der muss sich fragen lassen, was tue ich denn? Trete ich ein in diese Zuneigung Gottes zu den Menschen?

Mutter Theresa hat einmal gesagt: „Lieben, bis es weh tut!“
Ja es gibt Liebe, die weh tut, Liebe, die anstrengt.
Die Liebe in schlechten Tagen, in Krankheit, in Krisen.
Es gibt den Schmerz der Liebe, die keine entsprechende Gegenliebe findet und auch die Liebe, die nach der Liebe Gottes ruft und anscheinend keine Antwort erfährt.
Lieben, bis es weh tut! – wer mit dieser Absicht unter dem Kreuz steht, wird erleben, dass der Tod am Kreuz Anfang eines österlichen Triumphes ist. Aber zuerst gilt es unter dem Kreuz auszuharren. Lassen wir uns jetzt darauf ein

Keine Wellness für das Weizenkorn

Gründonnerstag in Lind

Mühle – falco/pixabay

Wellness“ ist ein modernes Wort, obwohl es schon vor über 300 Jahren entstanden. Heute versteht man darunter vor allem Methoden und Anwendungen, die das körperliche, geistige und seelische Wohlbefinden steigern.

Stellen wir uns einmal vor: da ist ein Weizenkorn, das beim Aufsammeln in der Scheune übriggeblieben ist. Es hat nicht die Reise in die Mühle angetreten, wo es zu Mehl gemahlen werden sollte. Stattdessen liegt es in der Scheune, von der Sonne beschienen; ja so lässt es sich aushalten. „Wellness für das Weizenkorn“.

Aber es bleibt allein; mehr noch, es muss erfahren, ich bin zu nichts nütze. Ein Weizenkorn, das nicht gemahlen wird, dient zu nichts.

Man muss kein ein gläubiger Mensch sein, um zu erkennen, „leben nur für sich selbst“, hat keinen Sinn. So lehren Judentum und Christentum die Nächstenliebe, der Islam die Brüderlichkeit und auch die franz. Revolution und der Humanismus haben sich die Brüderlichkeit und Solidarität auf die Fahnen geschrieben.

Heute abend geht es auch um Weizenkörner und um Trauben – allerdings um Weizenkörner, die gemahlen wurden, damit aus dem Mehl Brot wird und Trauben, die zerrieben wurden, damit daraus Wein wird. Es geht um die eucharistischen Gaben, Brot und Wein. Sie sind uns Sakrament, Zeichen für Jesu Sterben und für sein Leben.

Jesus geht seinen Weg der Hinwendung zum Menschen bis zum Ende und zerbricht, wie die Körner, die gemahlen wurden, und die Trauben, die gekeltert wurden.

Es gibt keine besseren Zeichen für die Existenz Jesu als Brot und Wein. „Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut“ sagt der Herr. Es bleibt wie schon seit Noachs Zeiten: Gott bindet sich die Menschen, Gott bindet sich an uns und diese Bindung zerbricht nicht im Tod, sie hält den Tod aus. Ja, bis zum Letzten, bis aufs Blut hält er den Bund mit uns durch.

Auch unser Leben kennt Zerbrochenes. Auch unser Leben weiß, was es heißt, zwischen die Mühlsteine zu geraten, getreten, zertreten zu werden.
Jesus lässt sich darauf ein.

Unsere Zerbrechlichkeit macht er sich zu eigen. Er geht mit uns in die Nacht des Todes, die sich in so vielen Nächten des Lebens widerspiegelt.

Wegzehrung“ – nennt man die Eucharistie, die dem Sterbenden gereicht wird. Weil es auch für unseren Tod gilt: Gott bindet sich an uns und diese Bindung zerbricht nicht im Tod, sie hält den Tod aus! Den treuen Gott kann nichts von unserer Seite vertreiben. Christus bleibt der Weggefährte, indem er sich selbst uns zur Speise gibt.

„Wegzehrung“ ist die Eucharistie für jeden Angefochtenen, für jeden, der zermahlen, getreten, zertreten wird. Für jeden, dessen Schicksal dem „Schicksal“ von Brot und Wein gleicht.

Dies ist hier kein Mahl der Seligen, sondern ein Mahl der Zerbrochenen – auch dann, wenn sie nicht alle leibhaft anwesend sind. Aber sie stehen mit uns um den Altar:
die Kranken in den Krankenhäusern und bei uns zuhause;
die Menschen, deren Lebensträume zerplatzt sind wie eine Seifenblase, die vor den Scherben ihres Lebens stehen;
die Mutlosen, Resignierten, Hoffnungslosen
und so viele andere, die das Schicksal des Zerbrochen-Seins am eigenen Leib erfahren haben und erfahren.

Empfangt, was ihr seid: Leib Christi; Denn ihr werdet, was ihr empfangt: Leib Christi“ sagt der Heilige Augustinus. So werden die Zerbrochenen dieser Welt zum Leib Christi. Die Wandlung geht nicht an uns vorbei. Sie erfasst uns.

In dieser Versammlung gibt es deshalb nichts Privates mehr! Wenn wir Leib Christi sind, dann nie für uns allein nach dem Motto „Mein Jesus, mein Gott, mein Himmel“; sondern dann sind wir wie der Leib Christi immer nur für andere – so wie Jesus Existenz ein Leben für andere war.

 

Mitgehen beim Abstieg

Predigt am Palmsonntag 2024 in Mayschoß

Altar in Kirchsahr

Verstehen Sie das alles? „Andern hat er geholfen, sich selbst kann er nicht helfen!“
Wer soll das begreifen? Der Messias, der Sohn Gottes stirbt elend am Kreuz. Reden wir nicht drumherum: Wir sind unfähig, Jesu Leiden, Sterben und Tod zu begreifen. Allein die Gnade Gottes erschließt uns den Sinn dieses Weges, der nicht erst am Palmsonntag in Jerusalem begonnen hat, sondern schon in Bethlehem als kein Platz in der Herberge war.

Jesus hat von sich bekannt, dass er, der einzige Sohn, vom Vater im Himmel in die Welt gekommen ist. Damit hat Gott eine Geschichte in unserer Geschichte. Aber was ist das für eine Geschichte?
Es ist nicht die Episode eines triumphalen Gottes, dem sich alles unterwerfen muss, nicht die Geschichte eines neugierigen Gottes, der in Menschengestalt auf der Erde umhergeht, um dann schnell wieder in himmlischen Sphären zu entschwinden – wie man sich von manchen griechischen Göttern erzählt.

Es ist die Geschichte, die der Philipperbrief treffend beschreibt. Wir haben daraus wie eine Ouvertüre zur Passion in der Lesung gehört: Jesus hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.

Er entäußerte sich – in der lateinischen Vulgata-Bibel steht hier: „evacuatio“, er entleerte sich. Das heißt: er hat das Göttliche „Sein für sich“ aufgeben und ist in die Bewegung des „Sein-Für-die-anderen“ eingetreten.
Genau darin ist er der „Herr“, der Kyrios geworden, dem sich alles unterwirft, in dem es die Knie beugt und bekennt, „Jesus Christus ist der Herr“.

Der, der freiwillig gehorcht, ist der wahrhaft Herrschende;
der in die letzte Niedrigkeit Abgestiegene ist gerade dadurch der Herrscher der Welt.

In Christus hat sich Gott selbst im Absteigen offenbart.“ (Benedikt XVI., Jesus von Nazareth S.126). Deshalb besteht der Weg zu Gott „im Mitgehen bei diesem Abstieg“.

Christ- sein ist kein „Hauptgewinn“, den man strahlend besitzen kann, wie ein Beutestück, das man erobert hat und das nur für einen selbst eine Bedeutung hat, sondern Christ-sein ist immer Eintreten in die Passion, in die Leidenschaft Jesu für die Menschen.

Solange noch ein Mensch auf der großen Welt und in unserer kleinen Welt leiden muss, sind noch nicht genug, sind wir noch nicht genug diesen Weg hinab zu den Kleinen und Armen, zu den Alten, Kranken, Einsamen, Schwachen, zu den Hoffnungslosen und Resignierten mitgegangen.

Viele von Ihnen haben es am eigenen Leib erlebt – plötzlich über Nacht zählten Sie in der Flut zu den Einsamen, den Hilflosen, den Schwachen, angesichts des Verlustes von Hab und Gut auch zu den oft Hoffnungslosen. Sie kennen den Weg hinab! Und: Sie haben auch viele Menschen erlebt, die zu Ihnen hinabgestiegen sind.

Vielleicht spüren Sie es, die Karwoche ist nicht irgendeine Woche. Es ist eine Woche wie das Leben.

Es gibt viele Möglichkeiten, am Weg Jesu teilzunehmen.
Als unbeteiligter, als fassungsloser Zuschauer, als einer, der Bescheid weiß, aber schließlich fern vom Kreuz steht,
als einer der Herrschenden, für den dieser Jesus von Nazareth nur eine Episode war.

Oder als jemand, der sich entschließt, mitzugehen – nicht eiligen Schrittes, eher tastend, vorsichtig, aber entschlossen. Der Weg ist nicht leicht. Der Evangelist Lukas berichtet in seiner Passion von der Bitte des Verbrechers, der mit dem Herrn gekreuzigt wurde. Vielleicht ist seine Bitte auch das rechte Wort auch für uns: „Jesus, denk an mich!“

Den alten Adam niederreißen – Gedanken zu Joh 2,13-25

Modell des Tempels in Jerusalem

  1. Der „ungeliebte“ Tempel.
    Immer und immer wieder lesen wir im Alten Testament von der Kritik Gottes an den Opfern der Menschen. (Amos, 5,21 ff.; (Jes 1,11.14).

Die Menschen glaubten sich mit Gott im Reinen, wenn sie bestimmte Opfer erfüllten, gleichzeitig vergaßen sie jedoch die zentralen göttlichen Gebote, die Forderung der Gottes- und der Nächstenliebe. Dieser „Kultformalismus“ wird auch in den Psalmen kritisiert, etwa wenn es im Psalm 51 heißt: „Schlachtopfer willst du nicht, ich würde sie dir geben; an Brandopfern hast du kein Gefallen. Das Opfer, das Gott gefällt, ist ein zerknirschter Geist, ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz, wirst du, Gott, nicht verschmähen“.

Das ist es, was Gott will: nicht die vielen kleinen Öpferchen für jede Sünde, je nach Bedeutung und Gewichtigkeit, nicht nur die Abwendung von einzelnen Taten, sondern die grundsätzliche Hinwendung zu ihm. „Gib mir dein Herz“ (Sprüche 23,26), spricht er zu uns. Nicht das Opfer, nicht irgendeinen Teil, sondern uns selbst will Gott.

Als der König David sich beim Propheten Natan beklagt, dass er selbst in einem Zedernhaus wohne, die Bundeslade Gottes aber nur einem Zeltdach stehe, lehnt Gott den Tempelbau ab.(2 Sam 7) Nicht die Menschen sollen ihm ein Haus bauen, er selbst wird David ein Haus bauen, d.h. er wird seinem Geschlecht Bestand geben.

Es scheint, als ob nicht nur die Opfer, sondern auch der Tempelbau bereits eine Abkehr vom Ursprünglichen waren. Zeichen einer beklagenswerten Anpassung an die Umwelt. Der Tempel wird zum Synonym dessen, was Menschen aus dem Bund mit Gott gemacht haben. Es ist so, als ob dieses „Haus des Vaters“ zerstört werden müsse, um zu dem Ursprünglichen vorzustoßen.

Der alte in 46 Jahren errichtete Tempel wird zerstört und in 3 Tagen ein neuer errichtet, ein Tempel aus lebendigen Steinen, in dem neue Opfer dargebracht werden, in dem das neue Gottesvolk sich versammelt, das nicht mehr vom Makel der Untreue gekennzeichnet ist. ( 1 Petr 2,4ff)
Inwieweit ist dieser Aspekt der „Tempelreinigung“ nicht auch ein Bild dafür ist, was in unserer Gemeinschaft, in unserer Kirche immer wieder geschehen kann und geschieht, das wir uns nämlich vom Ursprünglichen entfernen, das Rituale und Formalismen verdecken, was eigentlich Sache ist?

Müssten wir nicht den Herrn bitten, dass er auch durch unsere Kirche, durch unsere Gemeinschaft mit der Geißel hindurchzieht, das hinauswirft, was nicht hineinpasst, umstößt, was ihm nicht entspricht und so für ein fruchtbares, ordnendes Chaos sorgt ?

  1. Bringt rechte Opfer dar.

In den heidnischen Tempeln lautete der Grundsatz: „Do ut des“, d.h. ich gebe, um zu bekommen. Das richtige Opfer sollte die Götter gnädig stimmen, sollte Schutz einbringen, Hilfe im Krieg, fruchtbare Ernte und was immer der Mensch von seiner Gottheit erwartete. Alles geschah nach der Devise „Wenn ich Gott etwas gebe, dann erhalte ich etwas zurück“.

Anders dagegen im Tempel zu Jerusalem. Hier sollte  gefeiert werden, dass Gott jedem menschlichen Tun mit seiner Gnade zuvorkommmt. Das Leben ist geschenkt, es kommt umsonst von Gott. Es gab nichts zu handeln zwischen Mensch und Gott. Keinen Preis, den der Mensch hätte zahlen können, um Gottes Handeln zu beeinflussen.

Im Bereich des Tempels erleben wir nun Handel, Kaufen und Verkaufen. Nicht mehr das Umsonst, nicht mehr die Gnade, sondern das Gesetz des Marktes bestimmt das Leben hier.
Aber: der Tempel ist der Ort der Gnade. Kein Handel darf hier getrieben werden.

Da erinnern wir uns auch an Praktiken in der Kirchengeschichte und auch heute, die dieses vergessen lassen. Ich denke da an all jene Dinge, die verlangt wurden bzw. die freiwillig getan wurden, um Gottes Handeln zu beeinflussen, um sich gleichsam schon auf Erden die Eintrittskarte für das Himmelreich verschaffen zu können.

Es gib keinen Preis, den wir zahlen könnten, denn er ist ein für allemal gezahlt, nicht in einer Währung dieser Welt, sondern „mit einem kostbaren Blut, wie von einem Lamm ohne Fehl und Makel“ (1 Petrus 1,19). Das rechte Opfer ist allein mein Leben, das sich vollzieht in dieser Spannung von Gottes- und Nächstenliebe, das immer wieder eintaucht in die Geborgenheit seiner Nähe und gleichzeitig geprägt ist von der Zuwendung zu den Menschen. Mein Leben wird so zu einem Echo seiner Gnade, nicht aber zu ihrer Voraussetzung.

Wißt ihr nicht, daß ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“. (1 Kor 3,16) Wir sind also Orte der Gnade. Orte, wo sich diese Gnade Gottes ereignet, wo sie greifbar, spürbar, erlebbar wird. Wenn jedoch dieser Tempel allzusehr beherrscht ist von den Gesetzen des Marktes, wenn das Geld und alles was damit zusammenhängt, der Gewinn und der Profit, das Haben und das Haben müssen, mich beherrscht, dann werde ich für diese Einbrüche der Gnade Gottes in mein Leben keinen Blick mehr haben, dann sind meine Hände zuerst einmal beschäftigt mit dem Halten und Festhalten, dem Nehmen und Ergreifen, und später ist auch mein Herz erfüllt davon und nicht mehr offen für Gottes Zuwendung.

Hier setzt der Herr an mit seiner Reinigung, hier will, hier muss er vieles aus meinem Leben vertreiben, vieles umstürzen, ein Chaos anrichten.

3.  „Der neue Adam“.
Hinter der Zahl 46 verbirgt sich der Name Adam. Für die Juden und auch für die Griechen haben nämlich die Buchstaben gleichzeitig auch die Bedeutung von Zahlen. So entspricht der Buchstabe A, im Griechischen Alpha, im Hebräischen Aleph der 1. Der Buchstabe D, im Griechischen Delta, im Hebräischen Daleth der 4. Und der Buchstabe M, im Griechischen My, im Hebräischen Mem der Zahl 40. Dies ergibt im Griechischen zusammengezählt zweimal A gleich 2, plus 1 mal 4 gleich 6 plus 40 gleich 46.

Es ist also der alte Adam, der alte Mensch, der durch die Sünde korrumpierte Mensch, der hier eingerissen wird und auferweckt wird Christus, der neue Adam, der mit Gott in jener Harmonie lebt, die Gott von Anfang der Schöpfung an für ihn gedacht hat.

Das Wort Adam ist im Hebräischen verwandt mit dem Wort Duma, das Schweigen, Stille bedeutet, und mit dem Wort Dome, das gleichen bedeutet. Adam ist also das Ebenbild Gottes, der, der ihm gleicht, und zwar im Schweigen in der Stille. Dann ist er gleichsam bei Gott zu Haus und Gott bei ihm, ist er das Haus Gottes.

(1 Kön 6,7). Stille und Schweigen prägen auch den Bau des Tempels.
Wenn vom Adam, vom Menschen also die Rede ist, muss Gott mitgedacht werden, das Geschöpf ist nicht vom Schöpfer zu trennen, es ist unlösbar mit ihm verbunden.

Der zweite Buchstabe des Wortes Adam, das D, im Hebräischen das Daleth bedeutet Tür.

Zum Menschen gehört nicht nur das „Bei-Gott-sein“, sondern auch das Geöffnetsein, das „Bei- den- Menschen“ sein, die Beziehung, die Gastfreundschaft.

Der letzte Buchstaben des Wortes Adam, im Hebräischen das Mem. Dieses Wort bedeutet Wasser. Wasser fließt und ist ein Bild für die Zeit. Wasser fließt immer auf ein Ziel zu – ist Zeichen der Hoffnung, die in jedem Menschen lebt, der im Fließen der Zeit sein Leben gestaltet.

So haben wir also nun ein Bild von diesem neuen Adam, der in der Stille dem Geheimnis seiner Gottebenbildlichkeit nachspürt, der geöffnet lebt in einem Beziehungsgeflecht und der ein Ziel hat.

Ich denke mir, dass spätestens an diesem Punkt die Tempelreinigung nun auch für uns zu einem ganz persönlichen Erlebnis wird. Nicht die Juden, wir sollen den alten Adam in uns niederreißen, jenen Adam, der nicht Gott gleichen, sondern Gott sein wollte, auf sich fixiert, auf sich beschränkt. Und auferstehen muß in uns der neue Adam, der uns nur gelingen wird, wenn Christus selbst Hand anlegt.

Der Narr

eine Predigt zu Karneval

Sieger Köder

Ein lachender Clown, geschminkt und in buntem Gewand, schaut in den Spiegel und erblickt sein Gegenbild: einen traurigen Clown. Egal, ob Clown, Pierrot oder Harlekin, das Lachen und das Weinen zeichnen den Narren aus. Wer eben noch Purzelbäume geschlagen hat, kann plötzlich ganz nachdenklich werden. Wer eben noch über das ganze Gesicht gelacht hat, dem fließen plötzlich die Tränen über die Wangen.

Die Narren stehen nicht im Mittelpunkt des Geschehens. Wie die Clowns treten sie zwischendurch auf, stolpern und fallen, machen ihre Bemerkungen und bringen die Menschen zum Lachen. Die Clowns sind nicht die Helden unter der Zirkuskuppel, nicht die begnadeten Artisten auf dem Hochseil oder Dompteure im Raubtierkäfig. Sie sind wie unsereiner. Deshalb gilt ihnen unsere Sympathie. Mit ihrem Lachen und ihrem Weinen erinnern sie uns an unsere Fähigkeiten, vor allem aber auch an unsere Schwächen.

Das heißt es in einer kölschen Ballade:


Minsche wie mir dun kriesche un laache
Minsche wie mir sin nit jän allein
rötsch doch jet nöher wie Fründe dat maache
Minsche wie mir jo Minsche wie mir!

 Ja, Clowns, sin Minsche wie mir.

Logisch denkende, auf ihre Klugheit bedachte Zeitgenossen haben es recht schwer mit dem Narren, denn ihnen wurde über Jahre und Jahrzehnte eingebleut, sich „ordentlich zu benehmen“ oder – noch schlimmer – sich „erwachsen zu benehmen“ und nur Dinge zu tun, deren Nutzeffekt deutlich erkennbar und kurzfristig realisierbar ist.

Die Höhner singen davon in einem ihrer Lieder:

Als Kind wird mir schon klargemacht.
Du kriss Ärjer, wenn du widder zu laut lachs,
den Sonntagsanzug dir versaus,
in der Schule dich mit andern Jungs verhaus.
Sei schön brav un still,man krich nicht immer alles, was man will.

Das Resumee in diesem Lied ist nichts anderes als die Sehnsucht nach dem Narren in uns, der Dinge tut, die sich der der Gesellschaft angepaßte Mensch nun einmal nicht erlaubt:
Lust auf Leben –Lust auf Liebe – Lust auf Lust!, heißt es in dem Lied.
Lust auf Bratkartoffel und nen fetten Kuß
Lust auf Leben  – Lust auf Liebe –Lust auf Doll

Lust mein Maul nicht zu halten, wen ich soll
Lust auf dicke rote Grütze und auf jede kleine Pfütze
Lust auf Leben-  Lust auf Liebe- Lust auf Lust!

Man hört so richtig den schmatzenden Kuss und die vorlaute Rede, sieht den bekleckerten Mund und die spritzende Pfütze. Wer möchte da nicht dabei sein?

Der Spiegel vor’m Gesicht

Vor 500 Jahren entstand in Basel aus der Feder des Sebastian Brant eine satirische Schrift „Das Narrenschiff“. Der Autor benutzt die Figur des Narren, um den Menschen ihre Schwächen und Laster vor Augen zu halten, sie aufzurütteln, zur Selbstbesinnung zu bringen und zu bessern.

Nichts anderes ist die eigentliche Funktion der Büttenreden im Karneval. Hier können die kleinen Leute denen „da oben“ ungeschminkt und durch das Narrenkostüm die Wahrheit sagen auch sich selbst den Spiegel vorhalten. Das mag erheiternd sein und manchmal nachdenklich machen.

Auch in unseren Karnevalsschlagern wird uns dieser Spiegel vorgehalten, ohne dass wir uns dessen immer so bewusst sind. Schauen wir auf zwei Karnevalslieder, die schon einige Jahrzehnte lang gesungen werden: „Am Aschermittwoch ist alles vorbei, die Schwüre von Treue sie brechen entzwei, von all’ deinen Küssen darf ich nichts mehr wissen. Wie schön es auch sei, es ist alles vorbei!“ Und ein anderes: „Du kannst nicht treu sein, neun, nein das kannst du nicht, wenn auch dein Mund mir wahre Liebe verspricht. In deinem Herzen hast du für viele Platz und darum bist du auch nicht für mich der richt’ge Schatz.“

Was da zuerst einmal nach Libertinage klingt, nach dem Motto „im Karneval ist alles erlaubt“ entpuppt sich bei näherem Hinsehen als sehr realistische Weltsicht: Ohne wahre Treue kann der Mensch nicht leben, das bestätigt jeder, der schon einmal die Untreue eines anderen erfahren hat. „Schwüre von Treue“ taugen nichts und auch der Kuss schmeckt nur, wenn er wirklich aus Liebe geschieht. Und noch etwas: die grosse Sehnsucht des Menschen ist es, nicht austauschbar zu sein. Wir wollen den Platz im Herzen eines Menschen nicht mit vielen teilen. Wer deshalb jedem die Treue verspricht, kann nicht wirklich lieben.

Nemm mich su wie ich ben, einfach su wie ich ben, ich weiss genau, dat ich Fehler hann, doch anders kann ich net sin, heißt eine neuere Version des gleichen Themas. Wir wollen geliebt werden um unserer selbst willen, nicht wegen unseres Titels, unserer Rolle, unseres Geldes, unseres Aussehens – und das über den Aschermittwoch hinaus – so lesen wir es im Spiegel des Narren.

Die Welt braucht die Clowns, braucht die Narren, die uns immer wieder lehren: Die aufregenden Taten der Großen mögen zwar die große Welt verändern, aber unser Leben, unsere kleine Welt wird von anderen Quellen gespeist. So kann sich der Clown an der Blume erfreuen oder an der Seifenblase, die im Scheinwerferlicht glitzert:

Et sind die kleene Sache, wenn du an Kölle denks, die dir et Heimweh maache, wenn du en de Welt eröm hängst, singen die Bläck Föös.

Und sie erzählen von einer anderen Sehnsucht des Menschen, der Sehnsucht nach Geborgenheit und Heimat, die in kleinen Dingen erfahrbar wird.

Die Mächtigen, die sich oft einen Hofnarren hielten, der als Einziger am Hofe dem König die Wahrheit sagen durfte, ohne dafür geköpft zu werden, hatten trotzdem ein gespaltenes Verhältnis zur Narretei. Es war ihnen supekt und so verboten sie es nicht selten Auch die Kirchenoberen taten sich schwer damit, konnten mit dem offenen Wort der Narren nicht immer etwas anfangen. Als nach dem I. Weltkrieg der Karneval im Rheinland wieder auflebte, gab es sogar ein Hirtenwort des Kölner Erzbischofs, das alle Versuche im Keim ersticken sollte.

Die Ballade der Höhner über den Narren, erzählt sehr drastisch, wie man mit dem Narren umgeht, der die Kreise der Mächtigen und Wichtigen, der ach-so Sittsamen und Angepassten stört.

Sie haben versucht, ihn zu erzieh’n,
ihn bedroht, geschlagen und angespien,
Zerschlugen den Spiegel und sperrten ihn ein,
sie dachten, jetzt würd endlich Ruhe sein.,
Sie schlossen die Augen und hörten nicht zu
verlangten nach Ordnung, verlangten nach Ruh’.

Christus – der Narr

Als ich das Lied zum ersten Mal hörte, war meine erste Assoziation: ein Bild von Roland Litzenburger, das Christus als Narrenkönig zeigt. Christus – der Narr. Ein legitimer Vergleich?

Als die Verwandten Jesu ihn nach seinen ersten Predigten in die Familie nach Nazareth zurückholen wollten, sagten sie: „Er ist von Sinnen“. D.h. er ist außer sich, er ist verrückt.

Und so sollte es auch bleiben: So mancher Vergleich, mit denen er den führenden Gruppen der Gesellschaft die Leviten las, klingt durchaus komisch, zum Beispiel: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher in den Himmel. Oder wenn er das heuchlerische Verhalten der Pharisäer kommentiert: Ihr siebt Mücken aus und verschluckt Kamele.

Eine solche Predigt schafft nicht nur Freunde; sie bringt vor allem diejenigen gegen den närrischen Propheten auf, die getroffen sind und nicht genügend Witz besitzen, um auch über sich selbst lachen zu können.

Vieles was Jesus sagt, klingt verrückt: ob es die Feindesliebe ist, die grenzenlose Barmherzigkeit Gottes, auf die der Mensch angewiesen ist, die Notwendigkeit, in jedem Menschen ihn selbst zu erkennen, oder die Forderung zur unbedingten Nachfolge.

Paulus spricht von der „Torheit der Verkündigung“ (1 Kor 1,21) und sagt: „wir verkünden Christus, den Gekreuzigten, für die Heiden eine Torheit“, ( 1 Kor 1,23).

Verstehen wird dies nur, wer in eine Beziehung zu Christus tritt. So wie in der Ballade die, die den Narren wunderbar fand, Zugang zu seiner Botschaft hatte..

Er schaute zum Himmel, sein Herz in der Hand,
las in den Sternen, was keiner verstand.
Sie konnte die Botschaft der Sterne versteh’n
Sie nahm ihn ganz einfach so wie er war.

In dieser Beziehung erkennt sie: Dieser Narr wird zum Salz für Welt. Er macht die Welt genießbar, mit der ungeheuren Kraft wie wir sie in einer Prise Salz erleben.

Christus – der Narr. Der Vergleich scheint legitim. Der Narr, nicht der dumme August, der nicht ernst sein kann. Eher wie jener Clown von Sieger Köder, dessen Lächeln nicht verschwindet auch wenn er sich traurig im Spiegel sieht.

Wir sind Narren um Christi willen“, sagt uns Paulus im ersten Korintherbrief (1 Kor 4,10). Wir sind eingeladen, den Narren in uns zu entdecken. In vielen unserer Anliegen, Sorgen und Ängsten stände uns das Lächeln der Kinder Gottes gut zu Gesicht, die wissen, dass allein die Sonne Schatten werfen kann. Wir sind eingeladen als „Clowns des lieben Gottes“, die Freiheit zu leben und das Salz dieser Welt zu sein – auch über den Aschermittwoch hinaus.

Den ganzen Songtext „Der Narr“ lesen Sie hier

 

 

Fastelovends-Minsche

(c)NoName_13/pixabay

(Diese Predigt wurde am 28.1.2024 beim Mundartgottesdienst in Bonn-Tannenbusch in rheinischer Mundart gehalten)

Es ist eine schwierige Zeit – im Heiligen Land ist Krieg und an mehr als 30 Stellen auf dieser Erde. In unserem Land gehen Hundertausende auf die Straße, weil sie Angst haben, dass die Braunen wieder das Sagen bekommen, die Bahn streikt, man kommt nicht von hier nach da, die Bauern demonstrieren, alles wird teurer. Dürfen wir da überhaupt Fastelovend feiern?

Wer so fragt, hat überhaupt nicht verstanden, was Fastelovend ist. Klar, es ist zuerst mal die Zeit im Jahr, die Wochen vor Aschermittwoch, wo man sich maskiert, wo „die Aap gemaaht“ wird, wo alle verrückt spille, wo es Prinzen und Prinzessinnen gibt, wo jeder weiß, am Aschermittwoch ist alles vorbei.

Aber Fastelovend ist mehr:

Vor über 50 Jahren habe ich auf einer Tagung des Bundes deutscher Karneval (der ist für die Karnevalisten so wie für uns der Vatikan in Rom) hier in Bonn eine Definition von Fastelovend gehört, die ich schon damals mehr als treffend fand: “Durch Frohsinn dem Menschen Freude bereiten, um dem Frieden zu dienen.”

Und das ist dann nicht nur auf ein paar Wochen beschränkt, sondern ist eine innere Einstellung, die das ganze Jahr gilt.

Eine innere Einstellung aber braucht ein Fundament.
Wir haben eben vom Propheten Jeremia gehört:
Gesegnet der Mensch, der auf den HERRN vertraut / und dessen Hoffnung der HERR ist. 8 Er ist wie ein Baum, der am Wasser gepflanzt ist / und zum Bach seine Wurzeln ausstreckt: (Jer 17,7-8)

Gott – er ist das Fundament.
Ist Euch schon mal aufgefallen, wie oft in den kölschen Liedern von Gott und vom Himmel die Rede ist:
Wir lieben das Leben, die Liebe und die Lust.  Wir glauben an den lieben Gott und hab´n noch immer Durst, singen die Höhner.
Die Bläck Föss wissen: Es gibt ein Leben nach dem Tod
Und Kasalla singt Op die Liebe, un et Lävve, Op die Freiheit und d’r Dud
Kumm mer drinke uch met denne die im Himmel sin.
Und in dieser Session: Ich will üch danze sin, wenn ich ne Engel bin.

Der Herrgott hat alles geschaffen, deshalb sind alle Menschen gleich; egal, wo sie herkommen, was sie glauben, wen sie lieben. Das steht so gar im Grundgesetz; das ist das, was wir Christen glauben. Wer etwas anderes sagt, wie die Typen von der AFD will nichts Gutes, nichts Gutes für unser Land, nichts Gutes für die Menschen.
Alle Menschen sind gleich – das muss im Karneval gelebt werden, wo alle mit allen feiern.

Gott ist das Fundament.
Und was ist unsere Aufgabe? Haben Sie noch die Definition im Ohr: Durch Frohsinn Freude bereiten, um dem Frieden zu dienen.

Jesus hat den Menschen gesagt – wir haben es eben gehört: Ihr seid das Salz der Erde. (Mt 5,13)
Wir wissen alle: eine Suppe ohne Salz ist ungenießbar. Wenn Jesus sagt: wir sind das Salz, dann meint er wohl, dass wir den Menschen helfen können, dass sie ihr Leben auch genießen können. Wir sind das Salz in der Suppe der Welt.

Und Jesus meint auch: „Ihr seid das Licht der Welt.“ Im Leben ist nicht alles nur hell, es gibt auch düstere Stunden. Dann ist es gut, wenn ein Mensch da ist, der Licht in die Dunkelheit bringt. Dann ist es gut, wenn ich erlebe, dass es auch Freude gibt.
Das muss kein Riesen-Bohei sein, das können auch kleine Dinge sein: ein gutes Essen, schöne Musik, ein kleines Geschenk, ein Spaziergang miteinander, alles, was dem anderen gut tut, was das Leben schöner und heller macht.
Die Nähe von Menschen kann gesund machen – an Leib und Seele. „Rötsch doch jet nöher, wie Fründe dat maache.“ Das ist dann vielleicht nicht mit einem Mal getan; aber regelmäßig verabreicht kann dies auch die härtesten Herzen weich machen.

Menschen, die so leben – die an Gott glauben und die die Welt durch ihre Freude für die anderen genießbar und heller machen – das sind Fastelovens-Minsche (Fastelovends-Menschen), nicht nur in der Session. Sie brauchen keine Maske, kein Mütze, keine Uniform. Aber ein paar Wochen im Jahr können sie ausgelassen feiern.

Wenn „Könige“ einschlafen

oder: wie eine alte Geschichte auch von uns erzählt

Es gibt viele Darstellungen der drei Sterndeuter, die man später zu Königen gemacht hat. Eine finde ich besonders interessant: die schlafenden Könige in verschiedenen Buchmalerein oder auf einem Kapitell in der Kathedrale von Autun aus dem 13.Jahrhundert.

Mich fasziniert das Kapitell in Autun: man sieht die drei, die unter einer Decke stecken, vertraut miteinander. Sie machen gemeinsame Sache. Alle tragen Kronen, zwei schlafen, einer hat die Augen geöffnet. Man sieht einen Engel, der mit seiner rechten Hand den Ringfinger eines der drei Männer berührt und mit seiner ausgestreckten Linken auf den Stern zeigt.

Dieses letzte Detail lässt mich glauben, dass der Künstler einen Zeitpunkt eingefangen hat, von dem in der Schrift nicht die Rede ist. (das kommt ja schon mal vor): die Drei ruhen sich aus vor der letzten Etappe ihres Weges.

Sie sind erschöpft – der lange Weg, der hinter ihnen liegt, steckt ihnen in den Knochen. Einem Stern zu folgen, ist oft mühsam. Er ist auch ein unsicherer Begleiter, weil er sich manchmal hinter den Wolken verbirgt und nur in der Nacht sich zeigt.

Der weite Weg war doch nicht so einfach, wie sie es sich vielleicht vorgestellt hatten, als sie aufgebrochen waren.
Und dann die Begegnung mit Herodes, dem sie einen gehörigen Schrecken eingejagt haben mit ihrer Frage „Wo ist der neugeborene König der Juden?“

Er hatte ihnen seine ganze Macht demonstriert, ließ alle Hohenpriester und Schriftgelehrten zusammenrufen. Ein König kann das: die ganze Intelligenz um sich versammeln – auch ein König kann nicht alles wissen.

Die Erinnerung lässt die Drei noch erschaudern. Auch die Worte der Schriftgelehrten aus ihrer Schrift waren seltsam: „Aber du, Betlehem-Efrata, / bist zwar klein unter den Sippen Judas, aus dir wird mir einer hervorgehen, / der über Israel herrschen soll“, hatte einer ihrer Propheten namens Micha geschrieben. Seltsam, ein Königssohn soll in einem kleinen Kaff zur Welt gekommen sein. Sie schüttelten alle drei den Kopf. Das überrascht, wirft alle ihre Erwartungen über den Haufen.

Und dann diese Heimlichtuerei des Königs. Niemand sollte etwas mitkriegen, wenn er ihnen sagt: „Geht und forscht sorgfältig nach dem Kind“ und sie dann nach Bethlehem schickt.

Das alles musste erst einmal innerlich sortiert werden. Sind wir eigentlich noch auf dem richtigen Weg? War es richtig, diesen König zu fragen? Sie legen sich schlafen – morgen ist auch noch ein Tag, dann sehen wir weiter.

Das ist für mich der Moment, den Meister Gislebertus auf seinem Kapitell eingefangen hat. Ein Engel kommt und weckt sie ganz zärtlich. Er weist hin auf den Stern, auf die Sehnsucht, die sie bis hierhin geführt hat.
Diese Sehnsucht lässt sie nach all dem Erlebten wieder aufbrechen.

Sie finden das Kind, knien nieder, huldigen ihm, und bringen ihm ihre Gaben.

Wenn wir so die alte Geschichte, die wir von Kindesbeinen an kennen, betrachten, dann wird uns vielleicht bewusst, dass die Geschichte nicht nur von drei Sterndeutern damals handelt, sondern auch von uns.

  • Wer glaubt, folgt einem Stern, folgt seiner Sehnsucht.
  • Wer glaubt, trägt diese Frage mit sich: „Wo finde ich diesen neugeborenen König der Juden, den Herodes selbst „Christus“ nennt.
  • Wer glaubt, kennt auf seinem Weg auch die Erschöpfung, die Zweifel, die Bedenken, die müde werden lassen.
  • Wer glaubt, erfährt, dass Gott sich nicht beirren lässt von den Mächten dieser Welt.
  • Wer glaubt, kann erfahren, dass Gott sich zärtlich nähert und an die alten Sehnsüchte erinnert, an den Stern, der einen ans Ziel führt.
  • Wer glaubt, muss bis zuletzt mit den Überraschungen Gottes leben.

Wenn es so ist, dass die Geschichte so gesehen auch von uns erzählt, dann sei abschließend die Frage gestattet: welche Gaben bringe ich mit zu diesem Kind?

Und schließlich: Dass sie auf einem anderen Weg heimkehren, verwundert nicht: Charles de Foucauld sagt: Wenn man Jesus gesehen hat, muß man auf einem anderen Weg heimgehen; auf dem Weg der Bekehrung nicht auf dem Weg der Vergangenheit.