Zerrissen und ratlos – doch gehend

„Nicht schon wieder!“, werden manche Katholiken gedacht haben, als am Montag die Missbrauchsstudie im Bistum Münster veröffentlicht wurde. „Nicht schon wieder“, denken Sie vielleicht auch, wenn Sie das lesen.

Die Studie bestätigt, was wir schon wussten und macht es trotzdem noch einmal schmerzlich bewusst: „Es sind der Zentralismus der Institution und die Sakralisierung ihrer Machtstrukturen, es ist die Vorstellung vom Priester als ‚heiligem Mann‘ und es sind die Unwahrhaftigkeit, Bigotterie und die internen Sprachblockaden, die aufgrund einer zunehmend lebensfremden Sexualmoral im Katholischen Einzug gehalten haben und damit den Missbrauch ermöglichen wie auch Vertuschung begünstige. Wer die Betroffenen nur bemitleidet, ihnen lediglich Geld als Form der Anerkennung zur Verfügung stellt, sich in ebenso pathetischen wie unkonkreten Schuldbekenntnissen übt, ansonsten aber diese strukturellen Bedingungen als unabänderlich und von Gott gegeben sakralisiert, wird den Skandal des sexualisierten Machtmissbrauchs in der katholischen Kirche nicht im positiven Sinne aufarbeiten, sondern auf Dauer stellen.“

Da bleibt einem die Luft weg: „sexualisierter Machtmissbrauch auf Dauer gestellt“! Als wenn die Kirche nicht schon genug negative Schlagzeilen produziert.

Mir vergeht die Lust an Fronleichnam. Keine Sorge: ich will nicht die Verehrung der Eucharistie in Frage stellen. Aber wenn ich zum wiederholten Male höre, dass mehrere hundert, wenn nicht mehrere Tausend Jugendliche sexuell und geistlich mißbraucht wurden, dann möchte ich nur noch schweigen, mir gehen die Worte aus. Ich möchte mich verstecken, weil die Menschen nur noch auf uns zeigen: schau mal die da, die gehören auch zur Täterorganisation.

Wir haben überlegt, bleiben wir heute drinnen oder gehen wir raus. Wir müssen raus – wir dürfen uns nicht von diesem Burnout, den Schwester Michaela in ihrer Pfingstpredigt für die Kirche diagnostiziert hat, erfassen lassen.

Es ist ein Burnout des Systems, es ist ein Burnout der Hierarchen – nein wir dürfen uns nicht davon mitreißen lassen – es ist wie ein Strudel, der uns immer weiter nach unten zieht, der uns lähmt,  und uns sprachlos macht.

Wir müssen diesem Burnout etwas entgegen setzen. Das Fest hilft uns dabei, denn Fronleichnam ist das Fest der „Verwandlung“. „Brot und Wein werden Jesu Leib und sein Blut. Aber an dieser Stelle darf die Verwandlung nicht Halt machen, hier muß sie erst vollends beginnen. Leib und Blut Jesu Christi werden uns gegeben, damit wir verwandelt werden“(Benedikt XVI.)

In der Feier der Eucharistie werden wir aus unserem gewöhnlichen, zerrissenen, oft banalen, alltäglichen Dasein herausgeführt und erleben die Wirksamkeit göttlichen Geschehens. Das Zukünftige bricht in die Gegenwart hinein und verwandelt sie. Wir feiern nicht nur Jesu Tod und Auferstehung, sondern auch unseren Tod und unsere Auferstehung.

Im Brot legen wir unser Leben mit all seiner Unzulänglichkeit, mit seiner Arbeit und seiner Mühe auf den Altar, damit es von Gottes Geist verwandelt wird und das eigentliche sichtbar wird: Jesus Christus, der auch unseren Alltag verwandeln will. Im Wein bringen wir unsere Gefühle und Sehnsüchte, unsere Bedürfnisse und Wünsche, unsere unvollkommene Liebe vor Gott hin, damit er es verwandle in das Blut Christi und so unserem begrenzten Leben eine ewige Dimension gibt. –

Der hl. Augustinus meint eine Stimme zu hören, die zu ihm spricht: „Ich bin die Speise der Großen: Du wächst und wirst mich essen. Und nicht ich werde dir anverwandelt werden wie die Nahrung deines Leibes, sondern du wirst mir anverwandelt werden.“ Nicht wir verwandeln uns, sondern Christus handelt an uns, wir lassen uns verwandeln – wenn wir uns nicht widersetzen.

Der Verwandlung widersetzen geschieht auch durch Unterlassen, durch Hinnehmen, durch Untertänigsein, durch Vertuschung.
Erwarten Sie jetzt von mir keine Rezepte und Handlungsanweisungen, ich erlebe mich selbst zerrissen und ratlos in vielen Dingen.

Eines weiß ich: Verwandlung betrifft nicht nur die Kirche, sondern viele unserer Lebensbereiche. Davon wird die Rede sein, wenn wir gleich unterwegs sind.

Das, was in der Feier der Eucharistie geschieht, tragen wir heute nach draußen auf die Straßen der Insel. Nicht nur das verwandelte Brot, die Hostie, den Leib Christi – sondern – so hoffe ich – auch unsere Bereitschaft zur Verwandlung.

Ein Wort von Dorothee Sölle kann uns dabei begleiten:

Lasst uns Gehende bleiben.
Wir sind nicht
ganz zu Hause
auf dieser Welt…..

Wir sind unterwegs mit dir,
Gott.
Durch Dunkel und Nässe,
durch Nebel und oft ohne Weg
und nicht selten ohne Ziel.

Wir sind Wanderer.
Wir sind Gehende.
Wir sind noch nicht ganz angekommen.

So wandert Gott mit uns
und lehrt uns das Gehen –
und das Suchen… „

Kumpane Jesu

Fronleichnam – zum 2.Mal ohne Prozession. Halten wir das jetzt einfach aus? Nächstes Jahr wird es wieder so sein  wie vorher, trösten wir uns. Tomas Halik, tschechischer  Priester und Theologe, der viele Beschränkungen kirchlichen Lebens erlebt hat, fragt mit Recht: „Was macht einen Christen zu einem Christen, wenn der traditionelle »kirchliche Betrieb« plötzlich aufhört zu funktionieren?“ Was bleibt uns dann an diesem Festtag ohne Prozession – nur das Warten auf bessere Zeiten? Oder liegt in dieser Beschränkung kirchlichen Lebens nicht auch ein Anruf Gottes?

Was geschieht da Fronleichnam?
Wir tragen ein Stück Brot durch die Straße – wenigstens für die Augen der meisten Zuschauer? Für uns ist es die Eucharistie! Das wissen und glauben die Wenigsten, die uns sehen. Ihnen zeigen wir ein Stück Brot. Jemandem ein Stück Brot zeigen aber heißt letztlich, ihn einladen zum Essen, zum Brot teilen.

(c) Martha Gabauer/pfarrbriefservice

In unserer Sprache gibt es ein Wort, das ursprünglich bedeutete, das tägliche Brot miteinander teilen, das aber heute einen etwas anderen Beigeschmack bekommen hat: „Kumpan“.

Es kommt aus dem lateinischen „conpanis“ und meint denjenigen, der die gleichen Erfahrungen mit mir macht, die gleiche schwere Arbeit zu leisten hat, der mit mir so vieles teilt, was der Tag bringt. Auch im Französischen gibt es dieses Wort: „copain“.Es meint den Menschen, der sich aus allen anderen heraushebt und der mir in Freundschaft verbunden ist, einen Menschen, der mir viel bedeutet, der mir so notwendig ist, wie das tägliche Brot.

So gesehen sind wir alle „Kumpane Jesu“, einmal weil er dieses Brot mit uns teilt, und zum anderen, weil er selbst dieses Brot ist –das Geheimnis unseres Glaubens schlechthin, und wir ihn brauchen wie das tägliche Brot.


Wir alle sind also Kumpane Jesu – 

Aber wir sind keine geschlossene Gesellschaft. Dies ist hier keine Veranstaltung nur für die Frommen. Wir sind allenfalls die, die der Einladung gefolgt sind, ein Bruchteil derjenigen, die alle eingeladen sind.

Auf Jesu Gästeliste stehen viel mehr, auch diejenigen, die sich vielleicht gar nicht vorstellen können, eingeladen zu sein, und von denen manche von uns sich nicht vorstellen können, dass sie dazu gehören: zum Beispiel  die wiederverheiratenen Geschiedenen, die Homosexuellen, die Transgender-Menschen, viele, die uns inzwischen den Rücken zugekehrt haben.

Unser Papst will, dass wir ihnen diese Einladung überbringen: „Jesus zu folgen heißt: lernen, aus uns selbst herauszugehen, um den anderen entgegen zu gehen, um zu den Randgebieten des Daseins zu gehen“, so sagt er. „Lasst uns als erste zu unseren Brüdern und Schwestern gehen, besonders zu denen, die am weitesten weg sind, zu denen, die in Vergessenheit geraten sind, zu denen, die Verständnis, Trost und Hilfe brauchen. Es gibt ein sehr großes Bedürfnis, das lebendige Zeugnis des barmherzigen Jesus, der reich an Liebe ist, zu den Menschen zu bringen![1]

Er hat Recht, wenn er in seiner ersten Enzyklika schreibt: „Die Eucharistie ist […] nicht eine Belohnung für die Vollkommenen, sondern ein großzügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen“. [2]

Christus klopft an unsere Türe, sagt der Papst. Aber nicht um hereinzukommen, sondern dass wir ihn herauslassen und wir mit hinausgehen.
Als Kumpane Jesu wissen wir: nicht nur das Brot, auch Kommunikation und Gemeinschaft sind Lebens-mittel. – Wo sie gestört sind, müssen sie geheilt werden. Wo sie fehlen, müssen sie gestiftet werden. Wo sie tot sind, wieder belebt werden. Wo sie abgebrochen sind, müssen Brücken gebaut werden. In beschreiblicher und unbeschreiblicher Weise hat Jesus dies vorgelebt, hat sich selbst zum Lebensmittler und Lebensmittel gemacht und Communio gestiftet. Beschreiblich im Evangelium, unbeschreiblich in der Eucharistie.

Jammern wir nicht, dass wir Christus nicht in der Monstranz auf die Straße tragen können und schielen wir nicht auf Fronleichnam 2022. Jetzt ist die Zeit, jetzt ist die Stunde. Gehen wir selbst hinaus als Kumpane Jesu unter die Menschen.

Und das mit Liebe und mit der Zärtlichkeit Gottes, mit Achtung und mit Geduld, im Wissen, dass wir unsere Hände, unsere Füße, unser Herz zur Verfügung stellen, dann aber Gott es ist, der sie führt und der all unser Handeln fruchtbar macht.[3]

Vielleicht ist das der Anruf Gottes an diesem Tag! Wir haben genug zu tun!

[1] 27.3.2013

[2] EG 47

[3] Papst Franziskus 27.3.2013

Fronleichnam auf Juist – es war alles anders, doch das Wesentliche war da

Meine Facebook-Timeline quillt über von Fronleichnamfotos: Bilder, wie wir sie aus katholischen Gegenden gewohnt sind. Kostbare Monstranzen, Blumenteppiche, geschmückte Altäre, Ministranten, Kommunionkinder („Engelche“, wie man im Rheinland sagt – der Witz ist bekannt), Weihrauchfässer, aus denen riesige Weihrauchwolken dampfen, Fahnen, Schützen, Ritter, Priester in festlichen Gewändern, Musikkapellen und was sonst noch so alles dazu gehört.

Ich erinnere mich an bestimmt 60 Fronleichnamsfeste an unterschiedlichen Orten: meistens im Rheinland und auch in Bayern. Als Messdiener fing es an und als Stadtdechant hörte es auf. Das Singen und Beten der Menschen klingt noch in meinen Ohren, ebenso wie die Schellen der Ministranten, ich rieche noch den Duft der Blumen und des Weihrauchs und denke noch ergriffen an die Prozession in Schweigen angesichts der Missbrauchsfälle im Jahre 2010.

Heute war alles anders! Zuerst einmal: es gibt kein Bild von unserer Prozession auf Juist in der Timeline. Es gab nichts von alledem, was wir rheinischen Katholiken zu Bestandteilen einer Prozession zählen würden (siehe oben). Und trotzdem war es ein ergreifendes Fronleichnamsfest an einem Tag, der hier kein Feiertag ist. Es waren wohl 80 – 100 Leute (gezählt hat niemand), die nach der Messe in der kleinen Pfarrkirche einmal „um den Block zogen“, während die Touristen in den Pferdekutschen oder auf ihren Fahrrädern anscheinend teilnahmslos vorbeifuhren.  Zwei Altärchen gab es unterwegs, wo wir kurz anhielten, um uns noch einmal an die Geschichte des Abraham zu erinnern, von der in der Liturgie die Rede war, bevor der Segen jeweils erteilt wurde.

„Du sollst ein Segen sein“, sagte Gott dem Abraham. „Wer Segen ausspricht, erwartet etwas von Gott, öffnet eine neue Dimension -verlässt das KleinKlein der Alltäglichkeiten. Wer um Segen bittet für sich oder andere, erwartet die Sichtbarkeit Gottes in der Welt. Wer sich unter den Segen stellt erwartet etwas: die Spürbarkeit Gottes in seinem Leben. Segnen heißt Hoffnung haben, Zukunft haben, dem Leben trauen. Ein Segen sein für andere -nicht Richter sein über andere, nicht Lehrer sein, nicht Herrscher sein.“ (aus der Predigt in der Messe)

Bewegend zu erleben, wie sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der zweiten Station einander zusprachen: „Du sollst ein Segen sein!“ bevor sie selbst gesegnet wurden.

Es war alles anders heute und doch das Wesentliche war da: Christus in der Gestalt des Brotes der Eucharistie inmitten einer Schar von Menschen, die miteinander gingen und sangen. Alles ganz einfach. Das hatte schon fast etwas Biblisches (Mt4,25). Etwas, das sich in die Seele einprägt – und das scheint nachhaltiger zu sein als Dutzende Fotos in der Timeline.