„Nächste Verbindung zum Festland morgen 11.45“ – die Ankündigung am Hafen von Juist wirkt anachronistisch in einer Gesellschaft, in der Mobilität schon fast ein unverzichtbares Lebensprinzip ist. Man will möglich schnell von A nach B kommen, man hasst Staus auf den Autobahnen und die Verspätung bei der Bundesbahn. Wenn Flugzeuge ausfallen, ist die gesamte Erholung in Gefahr.
Und hier auf der Insel heißt es „Warten“. Nicht nur ein paar Minuten, Stunden, sondern bis morgen. Die Mobilität hier wird von den Gezeiten bestimmt, periodische Wasserbewegungen des Meeres mit Hoch- und Niedrigwasser an den Küsten. Ebbe und Flut sind eine Folge der Gezeitenkräfte von Mond und Sonne.
Man sieht das Wasser kommen und gehen – fast unmerklich steigen und sinken die Fluten. Vom Himmel aus wie von unsichtbarer Hand bestimmt.
Die Bewohner auf der Insel haben es gelernt, mit den Gezeiten zu leben. Sie kennen den Fahrplan der Fähre, die nicht nur Touristen bringt, sondern auch Lebensmittel, die Post, alle Güter die man benötigt. Sie ist die Nabelschnur zum Festland – in unseren Zeiten unterstützt vom Rettungshubschrauber, der für Notfälle zur Verfügung steht. Und weil der Fahrplan der Fähre an manchen Tagen extrem ungünstig ist, gibt es ein paar Mal am Tag auch ein Flugverbindung mit der kleinen Propellermaschine. Ein Tribut an die Mobiltätsgesellschaft.
Doch es ändert nichts am Lebensrhythmus der Insulaner und der Besucher: alles geht langsamer, „entschleunigt“ – wie es heute heißt. Es macht innerlich Freude, sich darauf einzulassen. Auf mich wirkt es archaischer, menschlicher, weil man noch mehr im Takt der Natur lebt. An den Gezeiten kann der Macher Mensch nichts ändern.
Und während der IC durchs Land rast, um mich wieder nach Hause zu bringen – komme ich mir vor als käme ich aus einer anderen Welt, als hätte ich ein Paradies verlassen müssen.