„Die da war es“

Haben Sie sich nicht auch schon mal gefragt: woher kommt eigentlich das Böse? Warum können Menschen nicht friedlich miteinander leben,  einander achten, respektieren, nicht belügen und betrügen, nicht nach dem Leben trachten? Wieso können wir Menschen nicht einfach nur gut sein? Das wäre wahrlich paradiesisch.
Woher kommt das Böse? Das haben sich die Menschen immer schon gefragt. Und sie haben versucht eine Antwort zu finden, indem sie sich Geschichten erzählt hatten haben.

Zum Beispiel die Anhänger des Mithras Kultes: sie erzählten sich, das Mithras einen Stier opfern musste, damit sich aus dem Blut des Stieres die Erde und alles Leben neu regenerieren konnte. Allerdings gab es einen kleinen Skorpion, der sein Gift in das herunter tropfende Blut spritzte. So dachten sie, hat das Böse die Welt vergiftet.

Wir haben eben in der Lesung auch eine Geschichte gehört, eine Geschichte aus der Bibel, aus den ersten Kapiteln des Alten Testaments. (Gen 3,) Auch ein Versuch, zu erklären, wie ist das Böse in die Welt gekommen und was hat es damit auf sich.

Was ist passiert?
Adam und Eva hatten nach biblischem Zeugnis nicht mehr geglaubt, dass Gott es gut mit ihnen meint. „Hat Gott wirklich gesagt, ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen?“, fragt die Schlange und lenkt so die Konzentration Evas auf den einen Baum, der tabu ist. Eva weiß schon: Von den Früchten der Bäume im Garten dürfen wir essen; nur wenn wir von den Früchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht, essen, werden wir sterben.
Jetzt hat die Schlange leichtes Spiel: „Nein, ihr werdet nicht sterben. Gott weiß vielmehr: Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse.“
Und damit nimmt die Sache ihren Lauf!

Da wird uns etwas vorenthalten! – solche Gedanken kennen wir. Da sind wir alle empfindlich! Wer mag das schon?

Also greifen die beiden zu und sie merken plötzlich, der paradiesische Zustand ist vorbei. Sie entdecken, dass sie nackt sind. Was sie bisher nicht gestört hat, beschämt sie jetzt. Sie verstecken sich.

„Wo bist Du?“ sucht Gott den Menschen.

Auf einem über 1000 Jahre alten Bronzeportal am Hildesheimer Dom hat ein Künstler diese Szene treffend dargestellt:
Man sieht Gott, der auf die Menschen zeigt. Adam aber zeigt auf Eva: „die war es!“ und Eva zeigt auf die Schlange „die war es!“

Das kennen wir alle – Schuld sind immer die anderen. Das kann man schon im Kindergarten beobachten. Das ist so in der Familie, im Freundeskreis, in der Schule, am Arbeitsplatz.

Adam macht es noch schlimmer: „Die Frau, die du mir beigesellt hast, sie hat mir von dem Baum gegeben. So habe ich gegessen.“ Das heißt im Klartext: Du Gott, bist es schuld, dass ich meinen freien Willen missbraucht habe!
Hier wird die Wahrheit ins Gegenteil verkehrt. Plötzlich ist der, der anklagt, der Angeklagte. Wahrlich: ein Teufelskreis.

Was kann uns erretten? Von König David wird berichtet, dass er die Frau eines Nachbarn schwängerte und dass er ihren Mann bei der nächsten Schlacht in die vorderste Reihe schickte, damit dieser umkomme und David die Frau zu sich nehmen konnte. Es braucht den Propheten Nathan, der vor den König tritt und ihm klar macht: Du bist der Mann, der hier schuldig geworden ist. (2 Sam 12).

Das ist der Weg aus dem Teufelskreis der gegenseitigen Schuldzuweisungen: zu erkennen, ich bin der Mann, ich bin die Frau, ich bin der Mensch, der seinen freien Willen gebraucht hat, um Falsch zu handeln und Böses zu tun.

Noch eine Bemerkung zu diesem Text: Weil die Frau als erste von der Frucht gegessen hat, hat man im Verlauf der Kirchengeschichte begonnen, die Frau als Ursache für die Sünde zu betrachten.
Damit angefangen hat Augustinus um 400 nach Christus. Er wertete die Frau stark ab mit der Begründung, sie habe den Mann verführt. Der Mann habe nur gesündigt aus Solidarität, weil er die Frau in ihrem Elend nicht allein lassen wollte.
Und das zieht sich durch die Geschichte durch bis in die Gegenwart.

In der Schöpfungsgeschichte lesen wir: „Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie“. Wir haben es jahrhundertelang überlesen und nicht vom Menschen, sondern vom Mann „als Krone der Schöpfung“ gesprochen. Darunter leiden die Frauen bis heute in vielerlei Hinsicht!

Es ist eine Haltung, eine Überzeugung, die haben wir Männer durch Jahrhunderte verinnerlicht – von ihnen müssen wir uns trennen. Und auch hier gilt: nicht die anderen sind schuld an meiner Haltung, nicht die Erziehung, nicht die Tradition sondern ich – wenn ich mich wider besseres Wissen nicht davon trenne. Gilt auch für die Kirche.

Für mich gibt es in der heutigen Lesung auch etwas Tröstliches: Gott  macht sich auf die Suche nach dem Menschen. Gott macht sich auf die Suche nach mir.

Egal was ist, egal was ich angestellt habe, was ich gesagt, was ich versäumt, was ich unterlassen habe – Gott macht sich auf die Suche nach mir.

Im Neuen Testament ist Jesus der Gute Hirt, der das verlorene Schaf sucht. Genau das kann mir helfen, den Teufelskreis der Schuld und der Schuldzuweisungen zu verlassen.

Predigt am 9.6.2024 in Dernau