„Viele halten Weihnachten für ein verlogenes Fest, weil so viel von Liebe gefaselt wird, der Alltag aber dann wieder ganz anders aussieht.“ So klagte Kardinal Lehmann in einer Tageszeitung schon zu Weihnachten 2009. Aber nicht nur unsere kleine eigene Welt sieht so ganz anders aus als dieses Fest. Auch die große Welt scheint ihm zu widersprechen: Millionen von Menschen verhungern, Naturkatastrophen bringen immer wieder neues Leid, Wirtschaftskrise, Finanzmarkt- und Bankenkrise verschärfen die soziale Situation, bewaffnete Konflikte flammen immer wieder auf und der Terrorismus verbreitet seine Angst.
Lohnt es sich da überhaupt noch nach Bethlehem zu gehen oder schaffen wir nicht besser selbst zuerst einmal Ordnung?
Wo überhaupt ist Bethlehem? Der geographische Ort scheint nicht das Ziel zu sein. Die Stadt und die benachbarten Ortschaften sowie die sogenannten Hirtenfelder sind heute Teil der palästinensischen Autonomiegebiete. Unmittelbar nördlich der Stadt verläuft die Sperranlage mit der teilweise 8 m hohen Mauer. Eine deprimierende Situation!
Aber es gibt Bethlehem nicht nur auf den Karten dieser Welt. Es ist vor allem ein Ort auf der Landkarte unsere Seele. Dort, wo wir einerseits spüren, was alles nicht in Ordnung ist, wo wir selbst leiden, erfahren, wer und was uns alles fremdbestimmt, und wo wir andererseits unsere Sehnsucht erleben nach Frieden und Zufriedenheit, nach Harmonie und Heil, nach Liebe die wir empfangen und Liebe die wir verschenken können.
Dorthin wollen wir uns aufmachen, weil wir nur dort die Botschaft verstehen können, die uns heute verkündet wird.
„Der Sohn Gottes hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden“ – so bekennen wir das, was wir heute feiern, im Glaubensbekenntnis. „Ein Skandal für den modernen Geist“ (Benedikt XVI.) Dass Gott auf diese Weise Mensch wird, stört die weit verbreitete Überzeugung, Gott dürfe zwar in Ideen und Gedanken wirken – aber nicht an der Materie. Genau das aber ist der springende Punkt: „wenn Gott nicht auch Macht über die Materie hat, dann ist er nicht Gott.“ (Benedikt XVI.)
Gott wird Mensch, wird einer von uns, mit unseren Schmerzen, mit unseren Leiden, mit unseren Freuden, und auch mit unserem Tod. „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab,“ so wird Jesus selbst im Gespräch mit Nikodemus dies kommentieren. Gott hat also Sympathie für uns Menschen, nicht in dem banalen Sinn, dass wir jemanden sympathisch oder unsympathisch finden, sondern in der ursprünglichen Bedeutung „sym-patheia“ Mit-leiden. „Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“, schreibt der Apostel Paulus in seinem Brief an die Philipper.
Gott hat Sympathie für uns Menschen bis hinein in den Tod, den er mit uns teilt – jetzt kommen wir alle mit ins Spiel. Es mag zwar hier wie im Theater zugehen: schöne Musik, emsige Akteure, hoffentlich gute Worte, aber hier wird kein Stück gespielt, hier gibt es keine Zuhörer oder Zuschauer, hier ist jeder mitten drin.
Gott hat Sympathie für jeden einzelnen von uns – ganz gleich wer wir sind, ganz gleich, was wir mitbringen, ob wir unsere Erfolge, unsere Fähigkeiten, unser Können vor uns her tragen, oder ob wir damit beschäftigt sind, die Scherbenhaufen im Leben zusammenzukehren, Zerbrochenenes zu kitten oder Zerrissenes zu flicken. Gott hat Sympathie für uns – verstehen können wir das nur im Bethlehem unserer Seele.
Was das konkret bedeutet, haben wir hier vorne versucht, darzustellen und möchten wir auch mit dem Titelbild unseres Liedblattes illustrieren.
Hier vorne haben wir das Kind eben auf einen Brotteller gelegt, um anzudeuten, dass er die Nahrung sein will, die uns das eigentliche Leben schenkt. Gott macht sich für uns zum Brot, das uns täglich nährt, ohne dass wir nicht leben und nicht überleben können. Das haben wir uns nicht ausgedacht, das hat schon der heilige Augustinus so gesehen.
Und auf dem Liedblatt noch einmal anders dargestellt: wir sehen den Heiligen Franziskus, der das Jesuskind hoch hebt, davor einen Priester, der die Hostie in den Händen hält, und daneben die Krippe. In ihr eine geöffnete Bibel, eine Schale mit Hostien und ein Kelch mit Wein. So erfährt der glaubende Mensch auch heute den Menschgewordenen Gott: in der Schrift und in der Feier der Eucharistie, der heiligen Messe. Weihnachten ist nicht etwas, das irgendwann einmal war; sondern hier und jetzt, in dieser Stunde, erleben wir es.
Bethlehem, wir haben es übersetzt „Brothausen“, ist also nicht nur ein Ort in Palästina, finden wir nicht nur auf der Landkarte unserer Seele, jede Kirche ist Bethlehem.
So wie die Hirten, die zur Krippe kamen, so wie die Weisen aus dem Morgenland, die den neugeborenen König suchten, können auch wir nicht bleiben, sondern müssen wieder aufbrechen, hinaus in unseren Alltag, der uns auch hierher geführt.
Aber wir nehmen von hier die Botschaft mit, dass Gott Sympathie hat für den Menschen. Das Kind von Bethlehem bestätigt unsere Menschenwürde, es lässt uns spüren, wir sind Gott etwas wert, jeder Mensch ist Gott etwas wert.
So wie Gott für uns Brot geworden ist, das lebensnotwendig ist so können wir die Botschaft von Weihnachten weiter tragen wenn wir einander zum Brot werden, genießbar, nährend und stärkend. Wir müssen nicht mit allen Menschen heute anfangen, wenn wir es an diesem Fest mit einem schaffen, dann verändert sich schon die Welt.
Bildnachweis: Titel: Sieger Köder, Weihnachten in Greccio, Kinderdorf Ellwangen, Franziskuskapelle, Rechte und Genehmigung durch Schwabenverlag –