Ein uraltes Fresko in der Kirche von Naturns. Vorkarolingisch, rätselhaft. Ein Mensch auf einer Schaukel. Die Zeit ist nicht wichtig, die Deutung auch nicht – denn das Bild wirkt unabhängig davon, wer darauf sitzt. Es könnte Paulus sein, der an Seilen flieht. Es könnte Prokulus sein, auch ein heiliger Flüchtling.
Doch für mich – es könnte meine Schwester sein, als sie klein war und mit Hingabe schaukelte, ein singendes Kind mit offenen Händen und einem Herzen voller Geschichten.
So beginnt mein Schwingen zwischen den Welten: zwischen Geschichte und Gegenwart, zwischen theologischer Deutung und persönlicher Erinnerung.
Die Schaukel ist ein Ort der Gegensätze:
Freiheit und Halt. Erdung und Schweben. Kontrolle und Hingabe.
Und jedes Kind, das schaukelt, kennt diesen Spannungsbogen – kennt die stille Freude, wenn der Körper sich dem Wind überlässt und der Blick sich dem Himmel zuwendet.
„Da war ich als geliebtes Kind bei ihm. Ich war seine Freude Tag für Tag und spielte vor ihm allezeit.“ (Sprüche 8,30)
Der Vers ist uralt und steht ursprünglich in einem anderen Zusammenhang, aber für mich wird er lebendig am Schaukelbaum, auf dem Feld, im Herzen.
Die Schaukel wird zum Ort des Vertrauens.
Kein Knie muss sich beugen, keine Angst muss vorangehen.
Nur das Schwingen im Rhythmus der Liebe – ein Kind vor Gott.
Ich denke an die vielen Gesichter der Angst: Menschen, die gezittert haben vor einem Gott, der nur beobachtet, kontrolliert, richtet. Wie oft habe ich mir gewünscht, ich könnte sie vor Gott auf eine Schaukel setzen. Und ich mich dazu. Gemeinsam ins Licht und wieder zurück – bis der Puls sich beruhigt und das Herz sich öffnet.
Denn vielleicht ist Glaube genau das:
Zu wissen, dass ich gehalten bin – selbst wenn ich mich bewege.
Zu spüren, dass ich fliegen darf – ohne zu fallen.
Zu hoffen, dass Gott nicht am Rand steht, sondern mit anschiebt, mitlacht, mitfliegt.
Ich schwinge durch die Lüfte leicht,
die Welt wird still, mein Herz erreicht
den Punkt, wo Sorgen nicht mehr sind –
ich flieg’, getragen wie ein Kind.
Ein Windhauch trägt mein Lachen weit,
die Zeit verliert ihr schweres Kleid.
Ich bin zugleich ganz hier und dort –
ein Wippen zwischen Traum und Ort.