Das Evangelium vom „Jedermann“

In diesen Wochen verwandelt sich Salzburg wieder in eine große Bühne: Die Salzburger Festspiele laufen auf Hochtouren. Und wie jedes Jahr zieht eine Aufführung ganz besonders die Menschen an: „Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal – das Spiel vom Sterben des reichen Mannes.

Jedermann und der Tod – Bild: Jedermann (Salzburger Festspiele 2024), © SF / Monika Rittershaus

Es ist wohl nicht nur die einmalige Kulisse des Salzburger Domplatzes oder die prominente Besetzung, die jedes Jahr so viele Zuschauer anzieht. Es hat sicher auch mit dem Inhalt zu tun.

Gott befiehlt dem Tod, Jedermann vor seinen Richterstuhl zu bringen. Der reiche Jedermann, der sein Leben in Saus und Braus führt und kaum Mitgefühl für die Sorgen anderer kennt, gibt gerade ein prunkvolles Festmahl.

Plötzlich ertönt sein Name: „Jedermann!“ – für alle hörbar. Der Tod tritt auf und verkündet sein Ende. Schlagartig verlassen ihn die Freunde. Wo eben noch gelacht und gefeiert wurde, herrscht beklemmende Stille.

Jedermann bittet den Tod, einen Begleiter mitnehmen zu dürfen. Doch alle verweigern sich – selbst sein Vermögen, personifiziert durch den Mammon.
Erst als er Reue zeigt, findet er Begleiter: seine guten Werke und den Glauben. Der Teufel erhebt Anspruch auf seine Seele, wird aber vom Glauben abgewehrt. In einer versöhnlichen Schlussszene geht Jedermann heim in Gottes Vergebung.

Der Stoff, aus dem Hofmannsthal schöpfte, ist uralt und zugleich zeitlos aktuell. Er birgt eine große Lebensweisheit. Ich vermute, Hofmannsthal kannte das heutige Evangelium – man könnte sagen: Es ist das Evangelium vom „Jedermann“. Und mit „Jedermann“ ist jeder Mensch gemeint – Mann wie Frau.

Viele glauben: „Wer Geld hat, kann sich alles leisten, dem geht es gut.“ Doch kein Reichtum kann unser Leben absichern: Krankheiten, Unfälle oder Katastrophen wie die Flut vor vier Jahren können alles verändern.

Paulus schreibt im Kolosserbrief:
„Richtet euren Sinn auf das, was oben ist, nicht auf das Irdische! […] Ihr habt den alten Menschen mit seinen Taten abgelegt und habt den neuen Menschen angezogen, der nach dem Bild seines Schöpfers erneuert wird, um ihn zu erkennen.“ (Kol 3,2.9b-10)

Was Paulus sagt, das haben die meisten von uns schon einmal erlebt – die meisten wahrscheinlich unbewusst. Bei der Taufe wird dem Täufling ein Kleid angezogen oder übergezogen. Der Text ist also eine Tauferinnerung! Der alte Mensch wird abgelegt, der neue angezogen. So wie man sich der Arbeitsklamotten entledigt und festliche Kleidung anzieht, wenn man eingeladen ist.
In jeder Taufe geschieht das! Auch in meiner, auch in Ihrer Taufe. Ich wurde ganz neu angezogen!
Und diese Kleidung ist nicht nur etwas Äußeres, es ist die Kleidung unserer Seele, die wir auch jetzt tragen in diesem Gottesdienst, wo jeder von Ihnen sich etwas anderes angezogen hat.
Wir alle sind jetzt Gäste Gottes. Fein geschmückt durch das Kleid unserer Taufe. Mehr: wir sind nach dem Bild des Schöpfers erneuert.

Das stellt alles Irdische in ein neues Licht.
Bei Hofmannsthal geht der reiche Mann nicht unter, sondern heim zu Gott – gerettet durch Vertrauen und Glauben an Gottes Treue.

Jesus sagt nicht, wie der Mann im Evangelium auf Gottes Ruf reagiert. Wir müssen es auch nicht wissen. Denn wir wissen: Unsere Geschichte ist durch die Taufe entschieden. Es gilt nur, sie  – wie Jedermann – in unserem Leben sichtbar zu machen – jeden Tag.

Predigt am 3.8.2025 in Dernau