Ostermorgen: so geht Glauben

Ostern 2023 in Jerusalem

In der Nacht haben wir miteinander die Auferstehung Jesu gefeiert. Heute, in den nächsten Tagen und Wochen nimmt uns die nachösterliche Gemeinde mit auf ihren Glaubensweg. Versetzen wir uns hinein in die Gemeinde, in den Kreis der Jüngerinnen und Jünger damals hier in Jerusalem.

Im Mittelpunkt ihres Denkens steht der Skandal, das Ärgernis des Kreuzes „Wir hatten gehofft, dass er es sei, der Israel erlösen werde“ beschreiben die Jünger in der Emmausgeschichte ihre Situation, die auch die Situation der Gemeinde ist (Lk 24,21).

Traurigkeit bestimmt den Alltag der Gemeinde, die Flucht in die Resignation, die Rückkehr in das Leben „vor Jesus“. Für sie war das Kreuz nicht die Offenbarung der Herrlichkeit des Vaters gewesen, nicht der letzte und endgültige Beweis der Liebe Gottes, sondern das Kreuz markierte das Ende ihrer Hoffnung.

Und nun erleben wir, wie Jesus sie lehrt, mit dieser Situation fertig zu werden. So wie er den Emmausjüngern die Schriften erschließt und damit ihr Herz in Flammen versetzt, so wir erleben in der  Geschichte aus dem Johannes-Evangelium eine andere Weise der Erschließung.

Wir erleben eine Maria von Magdala, die den Stein weggewälzt sieht. Sie sucht nach einer natürlichen Erklärung und ist schockiert von dem Gedanken, dass man den Leichnam des Herrn gestohlen hat. Sie sucht Hilfe bei Petrus und Johannes.

Eugène Burnand Wettlauf zum Grab

Die beiden Jünger laufen los. Auch sie finden den Auferstandenen nicht, aber sie finden die Zeichen, Zeichen, die richtig gesehen und richtig gedeutet zu Zeichen des Auferstandenen, zu Zeichen seiner neuen Gegenwart werden können:
Wenn wir den Text unter dem Blickwinkel der Gemeinde lesen, dann erkennen wir plötzlich hier am Ostermorgen drei Typen von Glaubenden:
Maria von Magdala gleicht jenem Typus der Glaubenden, die dem Herrn in liebevoller, ja fast kindlicher Weise zugetan ist. Jener Typ aber auch, der schwankt zwischen Kopf, nüchterner Analyse des Betrachteten und dem Überschwang des Herzens;

Wir sehen in Johannes den intuitiven Charakter, der erfasst, der erkennt auf den ersten Blick, dem der Glaube leichtfällt, weil er ihn aus einer engen Christusbeziehung heraus versteht und lebt.

Und wir sehen den Petrus, der langsamer ist, bedächtiger, nach den vielen voreiligen Beteuerungen und Bekenntnissen zurückhaltender, schwerfälliger im Glauben.

Und wir erkennen in den Typen vielleicht auch ein Stück uns selbst, unsere Gemeinschaft, unsere Kirche wieder.

Was mir aber auffällt in dieser Perikope, ist dass die Drei gemeinsam, – obwohl die einen schneller, die anderen langsamer sind – sich in gegenseitiger Achtung helfen, die Zeichen der Gegenwart Gottes zu suchen.

Carlo Martini schreibt dazu: „Jeder teilt dem anderen das Wenige mit, das er gesehen hat und gemeinsam bringen sie die christliche Existenz dort wieder auf den rechten Kurs, wo die Zeichen der Gegenwart des Herrn angesichts ernster Schwierigkeiten oder verheerender Verhältnisse verschwunden zu sein scheinen“.

Die Ereignisse am Ostermorgen sind also ein Modell, wie Glaube in der Kirche heranwächst. Wenn Maria von Magdala nicht zu den Jüngern geeilt wäre, wenn man sich dann nicht miteinander auf den Weg gemacht hätte und so miteinander umgegangen wäre wie uns dies überliefert ist, dann wäre „das Grab Grab geblieben und niemand wäre hingegangen“ (Martini).

Das leere Grab, die Leinenbinden und das Schweißtuch sind keine Beweise der Auferstehung – sie sind aber Zeichen. Zeichen, die im Kontext der Gemeinde, im Lichte der Schrift zu Zeichen der Gegenwart Gottes werden.

Vielleicht müsen wir vielmehr noch als schon üblich Ausschau halten nach solchen Zeichen der Auferstehung, der Gegenwart Gottes, von denen wir in einem Lied singen. Dabei wäre es dann auch gut, wenn wir auch Rücksicht nehmen auf die Langsameren, auf die, die es mit dem Glauben nicht so einfach haben – wie damals am Ostermorgen in Jerusalem.

Ein schwerer Stein

Ostern 2023 in Jerusalem

Darauf gingen sie hin, um das Grab zu sichern. Sie versiegelten den Eingang und ließen die Wache dort. (Mt 27,66)
Die Hohenpriester haben alles getan: ein schwerer Stein soll sie vor unliebsamen Überraschungen sichern. Der Tod wird bewacht.

Wir alle sind Meister darin, mit schweren Steinen die Zustände abzusichern –
mit Vorurteilen,
mit Ausgrenzung,
mit Gewalt,
mit Schweigen,
mit Übersehen und Übergehen.
Dann bleibt alles so, wie es ist. Zwischen Nord und Süd, zwischen Arm und Reich und sogar zwischen Gott und Menschen liegen dicken Steine.

In der Morgendämmerung machen sich die Frauen auf zum Grab. „Beim Aufleuchten des Ersten Tages“ – heißt es wörtlich im griechischen Text.
Eine seltsame Zeitangabe – nicht mehr Nacht und noch nicht Tag. Mehr ein „Dazwischen“.
Mehr als eine Zeitangabe – fast schon eine Beschreibung einer Seelenlage: Trauernde Menschen leben oft lange „dazwischen“. Menschen, die sich getrennt haben oder getrennt wurden, kennen das auch.
Menschen, die auf Verzeihung warten, wissen, wie lang dieses „Dazwischen“ sein kann.
Menschen, die enttäuscht wurden und das Vertrauen noch nicht wieder gefunden haben.
Menschen mit einer tödlichen Diagnose, Menschen zwischen den Fronten kennen das „Dazwischen“.
Nicht mehr Nacht und noch nicht Tag.

Es ist auch eine Beschreibung für die Verfassung der Frauen. Ihr Weg zum Grab ist kein Morgenspaziergang –
Vieles ist ihnen in den letzten Tagen zerbrochen, vieles hat sich angestaut. Trauer, Verzweiflung, Enttäuschung Wut. Das eigene Leben ist nicht mehr das, was es vorher war. Die Hoffnung, Ideen und Perspektiven, die mit dem Leben verbunden waren, scheinen gescheitert, dem Leben scheint der Boden unter den Füssen entzogen zu sein. Neues ist nicht in Sicht.
Und doch: es ist für sie die Stunde des Aufleuchten des Ersten Tages – nicht mehr Nacht und noch nicht Tag.

Wir dürfen mit ihnen gehen – wir in deren Herzen es oft ähnlich aussieht oder ausgesehen hat.
Wir kommen zum Grab. Da liegt der Stein, den wir kennen und der alles so hoffnungslos macht. Im Markus-Evangelium spekulieren die Frauen noch, wer ihnen wohl den schweren Stein vom Grab wegwälzt. Matthäus benutzt ein dramatisches Bild, um zu verkünden, was geschehen ist: ein gewaltiges Erdbeben erschüttert alles und ein Engel Gottes wälzt den Stein beiseite. Matthäus will wohl, das wir uns mit allen Sinnen vorstellen, was geschieht.

Ein Erdbeben, ein Durcheinander, ein Tohuwabohu – wie jenes am Anfang der Schöpfung – geht auch hier dem Leben voraus. Ein Erdbeben – die Mauern unserer Weltgebäude stürzen ein. Alles, was so sicher und stabil war, gerät plötzlich ins Wanken.
Aber der Stein liegt noch an seiner Stelle – nicht Naturgewalten können ihn beseitigen. Gott selbst legt Hand an durch seinen Engel und räumt den Stein beiseite. Der Blick ist frei in das leere Grab, das nicht Beweis der Auferstehung ist, sondern nur ein Zeichen.

Was da geschehen ist, entzieht sich sowohl der Erfahrungswelt der Frauen, als auch unserer Erfahrung.
Hier erfährt die Geschichte einen Bruch oder vielmehr eine neue Dimension. Das was bisher war, wird nicht einfach fortgesetzt. Es beginnt etwas ganz Neues.
Das können wir mit Worten sagen, aber das Verstehen fällt uns schwer; denn was das gesehen ist, das erwarten wir erst noch. Was geschehen ist, gehört für uns eben nicht Erfahrung, sondern ist nur Gegenstand der Hoffnung.

Die neue Welt mag im Werden sein, in den Tod bricht schon Leben ein, heißt es. Aber wir erleben vor allem: ins Leben bricht immer wieder der Tod ein. Das ist eher unsere Erfahrung!

Deshalb sind wir angewiesen darauf, dass wir in dem, was uns geschieht, erahnen, was da geschehen ist.

  • Immer dann, wenn unser Leben erschüttert wird und sich anschließend der Himmel nicht verdunkelt, sondern die Morgenröte sichtbar wird,
  • immer dann, wenn statt dem Verwesungsgeruch von Ideologien, Programmen und Verhaltensmustern ein frischer Wind durch unsere kleine Welt weht,
  • immer dann, wenn Erstarrtes sich bewegt,
  • immer dann Trauer sich wandelt und neuem Lebensmut weicht,
  • immer dann, wenn wir Vertrauen, Versöhnung, Liebe erleben,
    sind wir dem, was da am Ostermorgen geschehen ist, auf der Spur.

Das mag uns Hoffnung machen auch an diesem Ostern 2023, wo die Nachrichten aus diesem Land uns das Gegenteil vermitteln. Das Ostern damals war kein Ereignis, das es in die Nachrichten geschafft hätte und doch hat es die Welt verändert. Deshalb gilt es, die Augenblicke des Ostermorgen zu entdecken.

Diese Erfahrung macht den Frauen Beine. Den Auftrag des Engels im Ohr, eilen sie zu den Jüngern, auch: weil man eine solche Erfahrung nicht für sich behalten kann.

Bevor wir mit ihnen gehen, werfen wir noch einen Blick zurück: Da liegt der Stein, weggewälzt. Gott lässt es nicht zu, dass wir dem Leben mit einem schweren Stein den Weg versperren. Lassen wir ihn da liegen, wo er ist.