Zehn wurden geheilt – nur einer kehrt dankbar zurück.
Die Geschichte vom dankbaren Samariter zeigt, wie leicht wir das Wesentliche übersehen – und wie heilsam ein einfaches „Danke“ sein kann.

Regen Sie sich auch gerade innerlich auf über die neun undankbaren Geheilten?
Eine interessante Geschichte, die Lukas da erzählt – und tatsächlich: sie erzählt etwas von uns selbst.
Schauen wir ein wenig näher hin.
Jesus ist auf dem Weg nach Jerusalem. Der direkte Weg von Galiläa führte über Samarien oder wenigstens, wie in dieser Geschichte, an der Grenze entlang.
In Samarien lebten die Samariter, die bei den Juden als Ketzer galten. Sie anerkannten nur die fünf Bücher Mose und verehrten Gott nicht im Tempel von Jerusalem, sondern auf dem Berg Garizim.
Sie und ihr Land wurden von frommen Juden verachtet.
Heute liegt dieses Gebiet im Westjordanland – Sie kennen es aus den Nachrichten.
Dort begegnet Jesus zehn Aussätzigen.
Aussätzig sein heißt: draußen sein. Man darf sich nicht mehr in den Dörfern aufhalten, haust in Hütten, Höhlen, Zelten – und muss laut rufen, wenn man anderen begegnet, damit sich nur ja niemand ansteckt.
Aussatz macht einsam.
Schlimmer noch: Wer aussätzig ist, gehört nicht mehr zum Volk Gottes, nicht mehr zur Gemeinschaft.
Die zehn bleiben in der Ferne stehen.
„Meister, hab Erbarmen mit uns!“ rufen sie ihm entgegen.
„Meister, ἐλέησον (eleison)“ – dasselbe Wort, das wir zu Beginn dieses Gottesdienstes gesungen haben: Kyrie eleison.
Jesus weiß, was Sache ist. Er bleibt auf Distanz, aber schickt sie zu den Priestern – sie müssen wie Beamte bestätigen, was inzwischen geschehen ist:
Die Aussätzigen waren rein geworden.
Das Urteil der Priester nimmt sie wieder in die Gemeinschaft auf – sie sind doppelt geheilt: körperlich und seelisch.
So wie die Krankheit ihr Leben völlig auf den Kopf gestellt hatte, so ist auch die Heilung eine existenzielle Wende.
Einer von ihnen kehrt zurück. Und die anderen neun?
Lukas sagt nichts über ihre Gründe. Also lassen wir einmal unserer Phantasie freien Lauf.
Ich bin überzeugt: Auch ihre Freude kannte keine Grenzen.
Aber umkehren und danken – das war nicht angesagt. Vielleicht morgen.
Einer trommelt sofort seine Freunde zusammen und feiert mit ihnen seine Heilung – mit reichlich Wein.
Ein Zweiter eilt zu seiner Frau und seinen Kindern – endlich kann er sie wieder umarmen.
Der Dritte widmet sich seinen Geschäften, die es bitter nötig haben.
Ein Vierter hat Angst, allein zurückzugehen, und überlegt hin und her.
Der Fünfte möchte sich bedanken, weiß aber nicht wie – ihm fehlt das richtige Geschenk.
Der Sechste kommt nach Hause und findet es von anderen bewohnt – das muss er erst klären.
Der Siebte will an seine Krankheit gar nicht mehr erinnert werden – er verdrängt alles.
Der Achte erfährt, dass seine Freundin ihn verlassen hat – er macht Jesus und seine Krankheit dafür verantwortlich.
Und der Neunte? Der befürchtet, Jesus könnte von ihm verlangen, ihm nachzufolgen.
Jeder hatte seine Gründe. Jeder ganz menschlich.
Und doch – keiner kehrt um.
Alle denken: Auf einen einzigen wird es doch nicht ankommen.
Ich muss gestehen: Ich erkenne mich in dem einen oder anderen wieder.
Die Ausreden kommen mir bekannt vor. Ihnen auch?
Da sind es die Freunde, die Familie, die Beziehung, der Besitz, die Angst vor Konsequenzen, die traumatischen Erlebnisse, und was man sonst noch als Gründe anführt.
Es sind die neun Aussätzigen in uns.
Jesus selbst bringt es am Ende auf den Punkt:
„Ist denn keiner umgekehrt, um Gott zu ehren, außer diesem Fremden?“
Es geht also nicht nur um Dankbarkeit.
Es geht darum, zu erkennen, dass Gott am Werk war – und dass Leben, Heilung, Neubeginn ein Geschenk sind.
Der Samariter, der Fremde, der Ketzer, hat es erkannt.
Er lobte Gott mit lauter Stimme.
Er sieht in seiner Heilung mehr als nur die Wiederherstellung seiner Gesundheit – er erkennt das Wirken Gottes.
Wenn aber Gott selbst am Werk ist, dann werden alle scheinbar guten Ausreden plötzlich banal und hinfällig.
Dieser Text lädt mich ein, genauer hinzuschauen:
Wo ist Gott am Werk – in meinem Leben, in meinen Gesprächen, in meinen Begegnungen, in dem, was mir widerfährt?
Und dann nur das eine zu tun, was Meister Eckhart, der große Mystiker des Mittelalters, einmal so gesagt hat:
„Wäre das Wort Danke das einzige Gebet, das du je sprichst, so würde es genügen.“
Eine Anregung zu dieser Predigt fand ich im Pfarrblatt Graz-Graben, Oktober/November 1998.
Illustration: Heilung der zehn Aussätzigen – Echternacher Kodex, 11. Jh.
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