Ein guter Jahrgang

Gedanken zu Allerseelen an der Ahr

Der Tod bleibt nicht das Ende – er ist die Ernte des Lebens.
Wie ein Winzer seine Trauben prüft, so schaut Gott auf das, was in uns gereift ist.
Jeder Mensch trägt Sonne und Regen in sich – und jeder Jahrgang ist anders.
Ein Gedanke zu Allerseelen, mitten aus dem Leben der Winzer.

Der Tod führt in unserer Welt ein Einsiedlerdasein.
Wir haben ihn abgeschoben, verdrängt. Gestorben wird im Fernsehen.
Doch wenn er plötzlich in unser Leben tritt –
wenn jemand stirbt, den wir geliebt, gekannt, geschätzt haben –,
werden wir unsicher. Verlegen. Ängstlich.
Der Tod des Anderen bringt die Wahrheit über uns ans Licht:
Der Tod ist der Ernstfall des Lebens.
Reden wir also nicht nur von den Toten, reden wir auch von uns.

Im Evangelium lesen wir die Wort Jesu: Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Winzer.

Winzer sein, d.h. nicht zuerst Wein ernten und verkaufen, sondern sich um den Weinstock und die Rebe kümmern. Der gute Wein wächst nicht von selbst. Er braucht Geduld, Arbeit und Fürsorge. Sie wissen das: als Winzer muss man oft in den Weinberg gehen, um an Ende die Traube zu ernten.
Vor diesem Hintergrund: welch eine Aussage: Gott ein Winzer! Gott kümmert sich um uns!

Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben, sagt Jesus

Die Touristen auf dem Rotweinwanderweg sehen die schönen Reben, prall und leuchtend. Doch wer genau hinschaut, sieht mehr: die Sonne, den Regen, die Schädlinge – die ganze Geschichte eines Jahres.

Für unsere Toten ist mit ihrem Tod die Zeit der Ernte gekommen.
Der Winzer betrachtet die Ernte und fällt sein Urteil über den Ertrag, den sie bringt.
Unsere Toten sind nun in die Hand Gottes gelegt worden, der weiß, was ihr Leben ausgemacht hat.

Für den Winzer gibt es besondere Gelegenheiten, seinen Wein vorzustellen. Man spricht von der „Weinprobe“. Probieren geht über Studieren, sagen die Leute. Und lassen sich auf der Zunge zergehen, was ihnen an Köstlichkeiten gereicht wird. Schlucke, ja Schlückchen genügen, um über den Wein ins Schwärmen zu geraten. Geradezu blumig wird über ihn geredet. Seine besten Weine bewahrt der Winzer in seiner Schatzkammer auf.
Aber die Kenner verstehen – auch ohne Formeln, ohne Befunde. Wein ist etwas Schönes, ist ein Geschenk! Ein Wunder! Ein Gedicht! Vielleicht ein Gebet.

Was aber ist, wenn statt der Weinprobe die Lebensprobe angesagt wird?
Da vergeht vieles nicht mehr auf der Zunge, sondern bleibt im Halse stecken.
Geschwärmt wird auch nicht immer. Dafür ist vieles zu sauer, zu fade, hat manches einen schlechten Beigeschmack.
So mancher Mensch bleibt ganz allein mit der Probe seines Lebens.

Der Tod stellt auch uns auf die Probe. Er erinnert uns daran, dass unser eigenes Leben zur Prüfung reift. Wird man von mir sagen, dass ich ein „guter Jahrgang“ bin?

Bitten wir deshalb in dieser Stunde, dass es uns gelingt, dem Bild des Evangeliums zu entsprechen:
Ich möchte wie die Rebe am Weinstock sein. Wachsen. Die Erde und die Sonne aufnehmen. Für Menschen eine Freude werden. Ihr Leben schön und reich machen. Zu einem Fest einladen.
Jesus, der sich als Weinstock vorstellt, hat besonders die Mühseligen und Beladenen zu sich gerufen. Mit ihnen hat er gefeiert. Vor den Augen der Menschen, die sie längst abgeschrieben haben.
Wein ist ein Bild für das Leben.

Von vielen Toten, die wir beweinen, können wir gewiss sagen, dass sie ein guter Jahrgang waren. Beten wir für sie an diesem Tag und seien wir dankbar. Vor allem: Geben wir ihnen einen festen Platz in der Schatzkammer unseres Herzens – dort, wo die guten Erinnerungen aufbewahrt werden.

Heilige mitten im Alltag

Collage Laurentius - Grablichter

An Allerheiligen schauen wir nicht nur auf Menschen mit Heiligenschein,
sondern auf Männer und Frauen, die mitten im Leben standen.
Heilige, die Computer und Putzeimer in den Händen halten –
und deren Namen längst eingeschrieben sind in Gottes Herz.

Alle Jahre wieder werden die Menschen in unserem Land nach ihren Idolen gefragt. Nach denen, zu denen man aufschaut. Dann liest man die Namen: Sportler, Politiker, Musiker – früher auch einmal Kirchenleute.

Doch der Glanz dieser Vorbilder verblasst schnell. Und wir merken: In diese oberste Liga schaffen es nur wenige. Wer von uns wird schon Olympiasieger, Spitzenpolitiker oder Schlagerstar? Da merken wir schnell:  Es muss gar nicht unser Ziel sein, ihnen gleichzutun.
Ein Heiliger allerdings –  das kann jeder werden!

Heilige sind keine Sonderlinge. Sie waren Menschen wie wir. Jeder von ihnen hat seinen Weg unter den Bedingungen seiner Zeit gelebt. Und sie zeigen uns: Das Evangelium ist wirklich lebbar.

Natürlich kennen wir viele Legenden, die sie übermenschlich erscheinen lassen. Aber ihre wahre Größe lag in den kleinen Dingen. Da wo sie sich nicht anpassten, nicht Schritt hielten mit der Welt, sondern ausstiegen und in die Fußstapfen Jesu traten.
In der Geduld. 
In der Barmherzigkeit. 
In der Treue. 
In der Liebe.

Sie lebten, was Jesus in der Bergpredigt beschrieben hat:
den Kleinen,
den Sanftmütigen,
den Barmherzigen,
denen, die Gerechtigkeit suchen,
denen, die Frieden stiften,
denen gehört das Himmelreich.

Ein Bischof hat einmal gesagt: 
Die Heiligen von heute 
tragen keinen Rost wie Laurentius,
keinen Turm wie Barbara, 
kein Kreuz wie Helena.

Die Heiligen von heute 
tragen einen Computer in den Händen, 
eine Bohrmaschine 
oder einen Putzeimer.

Sie sind heilig in den Büros, 
heilig bei der Arbeit, 
heilig im Haushalt.

Denn bei ihnen klaffen das Wort der Schrift und Leben nicht auseinander. Sie gehören zusammen.
Darum, so schreibt Hilde Domin, sollen die Heiligen auf ihren Sockeln bleiben. 
Sie bleiben der Kinder wegen,“ schreibt sie, „damit es eine Tür gibt, eine schwere Tür für Kinderhände, hinter der das Wunder angefasst werden kann.“
Die Männer und Frauen auf unseren Altären, die wir an diesem Tag verehren, öffnen uns die Tür zu unserer Zukunft. Denn wir glauben, dass ihr Leben nicht im Nichts versunken ist, sondern alles, was ihr Leben ausgemacht, mehr noch: sie selbst sind aufgehoben bei Gott.

Indem wir sie hochschätzen, feiern wir auch unsere eigene Zukunft: 
jenes Leben, das uns erwartet, wenn wir – wie sie – mit der Nachfolge Jesu ernst machen.
Wenn wir heute zum Friedhof gehen, 
stehen wir an den Gräbern vieler solcher Heiligen. 

Menschen, die mit uns gelebt haben. 
Von denen wir sagen: 
Ihr Leben war wertvoll und gut. 
Ihr Leben ist ihnen gelungen.
Sie werden nie in einem Heiligsprechungsprozess genannt werden, 
aber sie sind für uns Vorbild, Leitfigur, Orientierung.

Und vielleicht sind sie gerade die stillen Heiligen, die Gott besonders liebt.
Ihre Namen stehen nicht auf einer Bestenliste, 
aber sie sind eingeschrieben in Gottes Herz.

Foto: privat / Pfarrbriefservice/pixabay.