Eine Kostbarkeit im Ahrtal

Predigt am Fest Maria Geburt in der Kapelle in Pützfeld

Von manchen Menschen sagen wir, sie seien ein Geschenk des Himmels. Es sind Menschen, denen wir vieles zu verdanken haben, die uns wichtig sind, die unser Leben bereichert oder vielleicht auch sogar gerettet haben.
Wir feiern heute, dass Maria ein Geschenk des Himmels ist.
Über dem Südportal der Kapelle steht die Inschrift: „Deine Geburt Mutter, Jungfrau Maria, verkündete der ganzen Welt große Freude, aus dir nämlich ist die Sonne der Gerechtigkeit hervorgegangen, Christus, unser Herr“.

 

Wer von Ahrbrück aus durch das Ahrtal Richtung Altenahr fährt, kann diese Kirche nicht übersehen. Ihr strahlendes Weiß ist heute ein sichtbares Zeugnis im Tal. Das war nicht immer so: bis in die 60er Jahres des vergangenen Jahrhunderts versteckte sie sich mit ihren grauen Bruchsteinmauern am Felshang der Biebelsley.

Aber jetzt sieht man dieses kleine Kirchlein. Die Ahr, die mit ihren Fluten so oft schon viel Unglück gebracht, rauscht anscheinend teilnahmslos vorüber und über die Bundesstraße rasen die Auto- und Motorradfahrer vorbei, ohne zu wissen, wie kostbar dieser Ort ist.

Ich lade Sie ein, sich heute von diesem Ort berühren zu lassen.
Der Altar kündet von Maria, von der die Kirche sagt: sie sei die „Immaculata“, die „unbefleckt Empfangene“. Sie war in besonderer Weise vom ersten Augenblick ihrer Existenz an erwählt. Sie wurde von allem Anfang an von der Erbsünde freigehalten, da sie dazu ausersehen war, die Mutter Christi zu werden. – Es lohnt sich, ihr Leben zu betrachten, losgelöst von allem Kitsch, mit der ihr Bild oft befrachtet ist und der manchen Menschen den Zugang zu ihr erschwert

Gott an der eigenen Lebensgeschichte mitschreiben lassen
Was dann bleibt, ist das Bild eines einfachen Mädchens, erzogen im jüdischen Glauben, erfüllt von der Hoffnung, dass der Messias komme, um sein Volk zu erlösen. „Da sandte Gott den Engel Gabriel in eine Stadt namens Nazaret zu einer Jungfrau namens Maria„, beginnt ihre Lebensgeschichte im Neuen Testament.

Oben im Altaraufsatz sehen wir das Bild mit dieser Szene. „Engel“ treten in der Bibel immer dann auf, wenn auf geheimnisvolle Weise Gott in das Leben eines Menschen einbricht. Maria vernimmt eine Botschaft, die ihr Fassungsvermögen übersteigt: Sie, die Jungfrau, soll Mutter des Messias werden.

So etwas kann sich der Mensch nicht ausdenken, auf diese Idee kann er gar nicht kommen: Gott will Mensch werden! Bis auf den heutigen Tag bleibt diese Stunde für die Menschen ein Ärgernis, mit allerlei möglichen Erklärungen, biologischen, philosophischen und pseudotheologischen, versuchen sie, hinter die Sache zu kommen.

Je mehr sie spekulieren, je weniger erfassen sie, was da geschehen ist.
In freier Entscheidung hat Maria das Wort Gottes angenommen – wie keiner vor ihr und keiner nach ihr. Sie ist nicht von jenem Hochmut besessen, dass Gott in dieser Welt nicht vorkommt, in ihr nichts zu suchen hat. Für Maria ist bei Gott das Unmögliche möglich.
Sie ist einverstanden, dass ihre Geschichte nun von Gott geschrieben wird.

Stern, der Orientierung gibt

Wer sich dieser Kapelle nähert, ist vielleicht überrascht von ihrer schlanken Gestalt, die noch unterstrichen wird durch den hoch aufragenden Dachreiter. Wer genauer hinschaut, entdeckt, dass kein Kreuz und kein Hahn den Dachreiter krönt, sondern ein Stern, der über einer Erdkugel schwebt. Er erinnert daran, dass Maria als „Meerstern“ bezeichnet wird. Ein Meerstern schenkt Orientierung.

Da sind wir wieder bei einer Geschichte aus der Bibel.
Bei der Hochzeit zu Kana war es gewesen: dem Gastgeber war der Wein ausgegangen und Maria hatte es bemerkt. Sie geht zu ihrem Sohn. „Sie haben keinen Wein mehr“, sagt sie ihm und handelt sich eine brüske Zurechtweisung ein: „Was willst du von mir, Frau?“ Spricht so ein Sohn mit seiner Mutter? fragen wir, und über dem Wunder, das anschließend geschah und über das so viele ihre faulen Witze machen, überhören wir das Wort, das Maria den Dienern sagt und das so etwas wie ihr Lebensprogramm geworden ist: „Was er euch sagt, das tut“.

Die Mutter tritt ganz hinter ihrem Sohn zurück.

Ich denke an die Madonna über dem Eingangsportal, wo Maria anscheinend dem Betrachter entgegenkommt, als wolle sie sagen: „Ich will ihn nicht besitzen, er ist für dich, auf ihn kommt es an.“
Das ist die Orientierung, die Maria, der Meerstern,uns gibt: Was er Euch sagt, das tut.

Kerzen erzählen von Menschen und ihren Schicksalen

Wer die Pützfelder Kapelle betritt, stellt fest, dass hier vor der Muttergottes Kerzen brennen.
Es scheint, dass viele Menschen mit Maria besser zurechtkommen als mit ihrem Sohn. Aus meinen Kindertagen weiß ich, dass ich oft zur Mutter lief, wenn ich wollte, dass sie dem Vater etwas nahebringe, was ich ihm nicht direkt sagen wollte.

Ist ein solcher Vergleich zu banal, zu „menschlich“ gedacht? Aber hat Gott, indem er Mensch wurde, uns nicht auch gestattet, so menschlich zu denken, Zuflucht zu nehmen zu der Frau, die ihm nahe ist wie kein anderer Mensch, weil er in ihr Mensch wurde?

Die Kerzen in der Kapelle künden von den Gebeten vieler Menschen an diesem Ort: vom Jubel und von der Klage, die von hier den Weg zum Himmel nahmen, von Träumen und Hoffnungen, von Enttäuschungen und Resignationen, die hier in Worte gefasst wurden, und von den kleinen Alltäglichkeiten, die vor ihr der Rede wert waren – oft nur ein flüchtiges Gebet, ein Ave Maria lang. Für wie viele Menschen wurden die Lichter hier schon entzündet?

Jede der kleinen Flammen erzählt von Menschen und ihren Schicksalen, von denen wir nur etwas ahnen können.
Die vielen Kerzen, die da brannten, geben Zeugnis von vielen Menschen, die Gott zutrauen, dass er die Geschichte auch ihres Lebens mitschreibt und die dies gerne zulassen – wie jene Frau  aus Nazaret, die sie hier verehren.
Alles in allem ein Grund, sie  zu feiern.

Die Kapelle in Pützfeld ist täglich geöffnet. Man kann sie mit dem Auto nicht direkt erreichen; aber zu Fuß oder mit dem Rad (der Ersatz-Radweg führt direkt unterhalb an ihr vorbei). Mit dem Auto am „Penny“-Parkplatz parken, mit Vorsicht die Bundesstraße überqueren. 10 Minuten Fußweg zur weithin sichtbaren Kapelle.

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