„Handwerker des Friedens“

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Volkstrauertag – kann man eigentlich Trauer befehlen? Kann man einem ganzen Volk vorschreiben, an einem Tag zu trauern? Wir wissen Trauer ist etwas ganz persönliches, individuelles. Der Prozess dauert bei dem einen länger als bei der anderen.

Und heute sollen wir trauern, obwohl die meisten von uns gar nicht mehr direkt betroffen sind von den Opfern der beiden Kriege. Tun wir das, weil das so üblich ist und es dem guten Ton entspricht?

Die meisten zivilisierten Länder kennen einen solchen Tag. In den meisten Ländern heißt er „Gedenktag“ oder „Erinnerungstag“. Mit dieser Bezeichnung kann ich mich dann schon eher anfreunden. Der ehemalige Bundespräsident Gauck hat 2016 eine gute Richtung vorgegeben als er unter anderem sagte:

  • Wir denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.
  • Wir gedenken der Soldaten, die in den Weltkriegen starben, der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren.
  • Wir gedenken derer, die verfolgt und getötet wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse zugerechnet wurden, Teil einer Minderheit waren oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde.
  • Wir gedenken derer, die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben, und derer, die den Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben festhielten.
  • Wir gedenken heute auch derer, die bei uns durch Hass und Gewalt gegen Fremde und Schwache Opfer geworden sind.

Und er zog den Schluss daraus:
Unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.

Unsere Verantwortung gilt dem Frieden. Das ist der Auftrag des heutigen Tages und dieser Verantwortung können wir uns mit einer Stunde am Sonntagmorgen und einer Kranzniederlegung nicht entledigen:

Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.“, hat uns Jesus in der Bergpredigt zugerufen.

„Der Friede ist der Name Gottes“ und „wer den Namen Gottes anruft, um den Terrorismus, die Gewalt und den Krieg zu rechtfertigen, beschreitet nicht den Weg des Herrn.“ So heißt es im gemeinsamen Friedensappell, den Papst Franziskus und die Teilnehmer am Friedenstreffen der Religionen 2016 in Assisi unterzeichnet haben. Alle können demnach „Handwerker“ des Friedens sein.

Handwerker des Friedens nicht nur in der großen Politik, Handwerker des Friedens in der eigenen Familie, im Berufsleben, im Freundeskreis.

Bei dieser Gelegenheit mahnt uns Franziskus, der großen Krankheit unserer Zeit entgegenzutreten: der Gleichgültigkeit. „Wir dürfen nicht gleichgültig bleiben. Die Welt hat heute einen brennenden Durst nach Frieden.“

Vielleicht erinnern sich die Älteren unter Ihnen noch an Wolfgang Borchert. Der Schriftsteller verstarb 1947 im Alter von 26 Jahren. Sein letztes Gedicht klingt wie ein Manifest.
Der Text beginnt mit folgenden Zeilen:
Du. Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr machen – sondern Stahlhelme und Maschinengewehre, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!“
Genauso soll das „Mädchen hinterm Ladentisch und Mädchen im Büro“ reagieren, der „Besitzer der Fabrik“, der „Forscher im Laboratorium“, der „Dichter“, der „Arzt“, der „Pfarrer“, der „Kapitän“, der „Pilot“, der „Schneider“, der „Richter“, der „Mann auf dem Dorf und Mann in der Stadt“.
Und schließlich:  “Du. Mutter in der Normandie und Mutter in der Ukraine, du, Mutter in Frisko und London, du, am Hoangho und am Mississippi, du, Mutter in Neapel und Hamburg und Kairo und Oslo – Mütter in allen Erdteilen, Mütter in der Welt, wenn sie morgen befehlen, ihr sollt Kinder gebären, Krankenschwestern für Kriegslazarette und neue Soldaten für neue Schlachten, Mütter in der Welt, dann gibt es nur eins: sagt NEIN!

Wir sollen Handwerker des Friedens sein und müssen bekennen: wir haben in den letzten 70 Jahren nicht NEIN gesagt! Wir haben den Durst der Welt nach Frieden nicht gestillt – weder in der großen und oft auch nicht in unserer kleinen.

Kehren wir noch einmal zurück zum Volkstrauertag. Trauer hat immer etwas mit Tränen zu tun.

„Tränen lügen nicht“ sang in den siebziger Jahren Michael Holm. Er hat recht. Tränen lügen nicht. Sie drücken aus, wofür es keine Worte gibt. Es gibt Dinge, die mit keiner anderen Antwort zufrieden sind, als mit Tränen.

Tränen erzählen von Träumen, von Schmerz und von Trauer, von Befreiung, Freude und Glück, von Wut und Reue über Sünde und Schuld, von Liebe, Verzeihung und Vergebung. Sie erzählen von ungelebtem Leben, nicht genutzten Chancen, Erfahrungen eigener und fremder Schuld, von Unterdrückung, Verlust und Trauer.

Sie sind vielleicht die menschlichste aller menschlichen Ausdrucksformen. Sie begleiten uns ein Leben lang von den ersten Tränen, die wir selbst auf den Armen unserer Mutter vergossen haben bis zu den Tränen, die andere an unserem Grab vergießen.

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Eine der schönsten Bitten finde ich im Alten Testament im Psalm 56 „Sammle meine Tränen in einem Krug, / zeichne sie auf in deinem Buch!“

Ein wunderschönes Bild: Keine Träne ist umsonst geweint. Gott zählt sie alle und heiligt sie, weil wir ihm so kostbar sind.

Der Prophet Jeremia schreibt sogar vom Weinen Gottes: “ Ach, wäre mein Haupt doch Wasser, / mein Auge ein Tränenquell: Tag und Nacht weinte ich.“ (Jer 8,23) Gott selbst kennt die Gabe der Tränen.

Im letzten Buch der Bibel sagt der Seher Johannes: “ Gott wird alle Tränen von ihren Augen abwischen. (Offb 21, 4)
Es ist die große Vision vom neuen Himmel und der neuen Erde, die Vision vom himmlischen Jerusalem. Dorthin lädt Gott uns ein.
Wie oft sind unsere Tränen verbunden mit der Klage: „Ich habe keinen Menschen“. Keinen Menschen, der mich versteht, keinen, der mir zuhört, keinen, der mich tröstet, keinen, der mir beisteht, keinen, der meine Trauer, meine Freude und meine Hoffnung mit mir teilt. Gott selbst wendet sich uns zu. Er hat jeden von uns ganz persönlich im Blick. Der Gott, der unsere Tränen abwischt! Ein Bild für die Nähe und Geborgenheit, die Gott uns im Glauben schenkt.
Wo auch nur eine Träne auf dieser Welt geweint wird; Gott weiß es. Unser Leben mit Freud und Leid ist in seinen guten Händen aufgehoben. Das ist der Trost, der uns an einem solchen Tag auch geschenkt wird.

 

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