Predigt am 17.11.2024 in Altenahr
Als der Evangelist Markus sein Evangelium geschrieben hat, war das Elend groß. Unterdrückt und geknechtet lebte das Volk der Juden. Ja, die unvorstellbare Katastrophe war eingetreten: Die Römer hatten im Jahre 70 den heiligen Tempel zerstört. Nicht nur die politischen Freiheitshoffnungen waren vernichtet, der letzte Halt des Volkes, der Glaube an die Macht seines Gottes, war erschüttert. Nackte Verzweiflung herrschte in Jerusalem.
Als vor über 3 Jahren die große Flut das Tal heimsuchte, herrschte auch hier nackte Verzweiflung. „Wie soll das Leben weitergehen? Kann Gott uns überhaupt noch helfen?“, fragten sich viele hier im Tal.
Damals, im ersten Jahrhundert, setzte Markus auf eine Vision, die auch früher schon in Krisenzeiten das Volk am Leben gehalten hat: die Vision vom Ende der Zeit, in der Gott selbst kommen wird, um seine aus den Fugen geratene Welt zu retten.
Mit Bildern, die die Erschütterung des Kosmos ausdrücken, setzt Markus mit diesem Jesus-Wort den zerbrochenen Hoffnungen seiner Zeitgenossen eine Verheißung entgegen: Es wird der Tag kommen, da der Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf den Wolken des Himmels erscheint, und er wird die Menschen sammeln aus allen vier Windrichtungen vom Ende der Erde bis zum Ende des Himmels.
Es wird keinen Tod mehr geben, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Gott wird mitten unter den Menschen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen, ergänzt die Geheime Offenbarung des Johannes.
Es sind gute Worte, hoffnungsvolle Worte. Aber Sie, liebe Gemeinde, haben es persönlich erlebt – es gibt Situationen im Leben, da dringen solche Worte nicht durch bis in unser Herz. Es braucht seine Zeit, bis man sich an ihnen aufrichten lassen kann.
Deshalb ist die Botschaft umso wichtiger, nicht nur im Rückblick, sondern auch für die Zukunft: die letzte Zukunft gehört dem Menschensohn. Sie ist einzig und allein von Gott bestimmt.
Ein Hoffnungswort – verbunden mit einem Hoffnungsbild: das Gleichnis vom Feigenbaum. Jesus spricht hier vom Leben. Die Zweige beginnen zu treiben, die Blätter entfalten sich. Das ist ein sehr trostvolles Bild.
Es erinnert mich daran, wie einige Wochen nach der Flut in den höher gelegenen Weinbergen die Trauben reif waren. Früchte erzählen immer vom Leben, weisen in die Zukunft.
Vielleicht drängen sich Ihnen andere Hoffnungszeichen auf: Dinge, die Sie erlebt haben, Worte, die Sie gehört haben. Auch das Ahrtalkreuz, das am Freitag von Bischof Ackermann gesegnet wurde, ist ein solches Hoffnungszeichen: es wurde aus bei der Flut im Sahrtal angeschwemmten Holzstämmen gefertigt. Den Korpus schuf der Künstler aus Briefen und Schriftstücken, die Menschen in der Pandemie und nach der Flut zusammengetragen haben. Es illustriert das Wort „Im Kreuz ist Hoffnung“.
Es braucht solche Hoffnungszeichen, damit wir erkennen: im Chaos, in unserer Ratlosigkeit und Verzweiflung, in unseren Ängsten verlässt Gott uns nicht, er kommt und macht heil, was unheil ist.
Hier im Tal haben die Menschen erfahren, dass unsere Geborgenheit nicht selbstverständlich ist, dass uns die Welt unter den Fingern kaputt gehen kann.
Und dennoch glauben wir: Gott hat die Welt geschaffen, er bewahrt ihr die Treue, er hat ihr seine Liebe anvertraut. Gott ist da – auch in der „Zeit der Not, wie noch keine da war, seit es Völker gibt“ (Dan 12,1)
Am Ende erwartet uns Gott, der nach anderen Kriterien richtet als diese Welt.
Wer weiß, dass das Chaos nicht bleibt, dass es ein Morgen gibt, der lebt anders. Er kann säen und weiß, Gott selbst wird die Ernte einfahren, wenn das Ende der Zeit gekommen ist. Und dabei wird am meisten Frucht tragen, was in Liebe gesät wurde.