Barmherzigkeit ist der Name Gottes

Es war und ist im heiligen Land üblich angesichts der beschränkten fruchtbaren Fläche in den Weingärten auch Fruchtbäume anzupflanzen. Deshalb steht der unfruchtbare Feigenbaum in einem Weinberg. Hier an der Ahr ist mir das noch nicht begegnet, aber vielleicht habe ich auch nicht genau genug hingeschaut. Ich habe mich gefragt, was würde ein Winzer machen angesichts von Weinstöcken, die keine Frucht bringen. Für den Weinbergbesitzer im Evangelium ist die Sache klar: der Feigenbaum bringt schon seit 3 Jahren keine Früchte mehr. Deshalb hau ihn um! Vielleicht wäre es auch die wirtschaftlichste Lösung.

Überraschend ist die Antwort des Winzers, der den Weinberg mit dem unfruchtbaren Feigenbaum bearbeitet: Herr, lass ihn dieses Jahr noch stehen; ich will den Boden um ihn herum aufgraben und düngen. Vielleicht trägt er in Zukunft Früchte; wenn nicht, dann lass ihn umhauen!

Wenn wir solche Geschichten hören, müssen wir uns immer bewusst machen, in welchem Zusammenhang sie stehen. Sie stehen im Evangelium und damit wissen wir, es geht nicht um Landwirtschaft und Weinanbau, es geht um das Reich Gottes, es geht um unser Leben als Christen. Der Feigenbaum wird zu einem Bild für den Menschen, der Frucht bringen soll. Wenn er das nicht tut, ist allerdings „ hau ihn um“ nicht die erste Lösung. Er bekommt eine zweite Chance!

So wird der Winzer mit seinem Vorschlag: „Herr lass ihn dieses Jahr noch stehen, vielleicht trägt er in Zukunft Früchte“ zu einem Vorbild für Handeln im Reich Gottes. Wir könnten auch sagen: er zeigt uns, was es heißt „barmherzig“ zu sein!

Barmherzigkeit ist der Name Gottes schlechthin“, sagt Papst Franziskus. „Sie ist Stärke und Zärtlichkeit zugleich“.
Und Shakespeare weiß von der Barmherzigkeit: „Sie segnet den, der gibt, und den, der nimmt.“
Barmherzigkeit lässt sich nicht verordnen. Es ist die Kraft des Einzelnen.
Barmherzigkeit berechnet nicht. Sie gibt bedingungslos. Verschenkt und beschenkt nicht nur den Empfänger, sondern auch den, der gibt.

In der christlichen Tradition kennt man die „sieben leiblichen Werke der Barmherzigkeit“: Hungrige speisen, Durstige tränken, Fremde herbergen, Nackte bekleiden, Kranke pflegen, Gefangene besuchen, Tote bestatten.
Weniger bekannt sind die „sieben geistigen Werke der Barmherzigkeit“: Dem Rat geben, der ihn braucht; den lehren, der nichts weiß; den korrigieren, der irrt; den Traurigen trösten; die Beleidigungen verzeihen; die unangenehmen Menschen mit Geduld ertragen; und schließlich: beten.

Sieben Werke der Barmherzigkeit – da sind wir wieder bei unserem Fastentuch. Sieben goldene Steine sehen wir auf dem Tuch. Heute erinnern Sie mich an die sieben Werke der Barmherzigkeit.
Vielleicht sagen Sie jetzt: ich kenne keinen Nackten, keinen Gefangenen, um die Beerdigung von Toten kümmern sich andere, mich fragt keiner um Rat usw.
Aber damit ist die Sache für Sie, für uns nicht erledigt:

Der frühere Erfurter Bischof Joachim Wanke hat versucht, diese Werke der Barmherzigkeit neu zu beschreiben:  für uns heute in unserer Sprache. Schauen wir sie an, vielleicht passen sie ja.

  1. „Einem Menschen sagen: Du gehörst dazu“
    Immer wieder gibt es Menschen, die am Rand stehen, die außen vor bleiben: in der Familie, im Verein, in der Gemeinde, in der Gesellschaft. Sie hineinholen „du gehörst dazu“.
  2. „Ich höre Dir zu!“
    Wir leben in einer Zeit totaler Kommunikation. Jeder hat sein Handy. Da gibt es SMS, WhatsApp, Twitter, Facebook, Tiktok und vieles anderes mehr. Und trotzdem: Haben wir wirklich noch Zeit zuzuhören?
  1. „Ich rede gut über dich“
    Unser Papst kämpft seit dem Beginn seines Pontifikats gegen den Tratsch. „er ist die Pest“ sagt er. Er schädigt die sozialen Bindungen, vergiftet die Herzen und führt zu nichts. Stattdessen gilt es, gut über den anderen zu reden.
  1. „Ich gehe ein Stück mir dir“
    „Ich möchte, dass einer mit mir geht, der’s Leben kennt, der mich versteht,“ heißt es in einem Kirchenlied im evangelischen Gesangbuch. Daliah Lavi sang vor über 50 Jahren: „Willst Du mir gehen, Licht und Schatten verstehn“. Es tut gut, nicht allein unterwegs zu sein.
  1. „Ich teile mit dir“
    Es gibt Vieles, was wir teilen können – nicht nur Materielles, vor allem auch Zeit, vielleicht auch Interessen, Erfahrung, Träume, Visionen, Zukunft
  1. „Ich besuch dich“
    Einsamkeit kann jeden und jeden treffen. Sie hat unterschiedliche Ursachen. Davon betroffen sind sowohl ältere als auch jüngere Menschen. Sie sprechen nicht häufig über ihre Einsamkeit, schaffen es oft nicht aus eigener Kraft, sich aus der Einsamkeit zu befreien. Da braucht es Menschen, die das wahrnehmen und die sagen „Ich besuch dich“
  1. „Ich bete für dich“
    „ich denke an Sie, ich bete für Sie“ -ein solches Wort erhellt oft die Gesichter der Menschen. Für einen anderen beten heißt, ich nehme ihn mit zu Gott, schaue ihn oft mit neuen Augen. Ich mache mir seine Sorgen zu eigen, ich bitte für ihn, aber auch: ich danke für ihn.

Sieben Werke der Barmherzigkeit, ob klassisch oder modern – auf unserem Fastentuch werden sie für mich zu sieben Goldstücken, kostbar, leuchtend. Amen

Damit wir leben können

Auf unserem Fastentuch fällt der schwarze Balken auf, der sich quer über das ganze Tuch zieht. Für mich heute ein Symbol für die dunklen Stunden im Leben:

Es gibt dunkle Stunden im Leben.
Wenn man zum Beispiel tagelang unterwegs ist mit Unsicherheit, Sorge und Angst:
· jemand, der schwer erkrankt ist und auf die endgültige Diagnose wartet,
· jemand, der in einer großen existentiellen Unsicherheit lebt, der fürchtet in einer Beziehung einen Menschen zu verlieren, dem der Verlust des Arbeitsplatzes droht,
· jemand, dem die sogenannten Sicherheiten des Lebens abhanden gekommen sind – wie vielen Menschen bei der Flut hier im Tal.

Da hat man das Gefühl: es ist nur noch Nacht, auch am hellen Tag. Es sind die Nächte mit den Fragen, die wir alle kennen: Wie ist das möglich? Warum greift Gott nicht ein? Ist er nicht der barmherzige Vater? Wo ist da die Anwesenheit Gottes in dieser Welt. Wieso gehen die Dinge diesen Weg?

Abraham kannte das auch: Aufbruch in ein fernes Land, immer wieder Verheißungen, immer wieder Herausforderungen, immer wieder diese quälende Ungewissheit, ob in Erfüllung geht, was ihm vesprochen wird. Abraham war überzeugt: Gott wird es richten! Und Gott rechnete es ihm als Gerechtigkeit an. (Gen 15,6)

Was kann uns helfen, die Dunkelheiten im Leben tzu bestehen, zu verhindern, dass der Weg in der Dunkelheit nicht in die Gottferne führt?

Wir Menschen wollen sehen statt glauben, wir wollen wissen statt vertrauen.
Den Aposteln Petrus, Jakobus und Johannes wird auf dem Berg, auf den sie Jesus führt, geschenkt, was viele Menschen ersehnen. Sie dürfen Jesus schauen als den, in dem Gesetz und Propheten ihr Ziel und ihre Erfüllung haben. Er ist des ewigen Gottes vielgeliebter Sohn.

Man kann nur erahnen, was die Jünger dort erlebt haben, wenn man den Vorschlag des Petrus hört: „Meister, es ist gut, daß wir hier sind. Wir wollen drei Hütten bauen!“ Ein solche Erfahrung muss man festhalten, muss man bewahren.

Andreas Bourani singt:Wer friert uns diesen Moment ein?. Besser kann es nicht sein“.
Er hat Recht, solche Glücksmomente dürfen nicht vergehen. Wir möchten sie festhalten.
Glücksmomente des Glaubens, wenn wir uns der Liebe Gottes, seine Hilfe, seiner Zuwendung sicher sind.
Glücksmomente in der Liebe, der Beziehung, wenn uns die Liebe, Treue, die Freundschaft zum Fundament werden, auf dem wir stehen können.
Glücksmomente im Beruf, im Studium, in der Schule wenn uns etwas gelungen ist, wenn wir gelobt, gefördert oder befördert werden.

Es gibt solche Stunden, in denen wir wie Andreas Bourani in den Song einstimmen können: „Ein Hoch auf uns, auf dieses Leben, auf den Moment der immer bleibt. Ein Hoch auf uns, Auf jetzt und ewig, Auf einen Tag Unendlichkeit.
Aber Andreas Bourani irrt an einer wesentlichen Stelle: die Unendlichkeit, die ewige Treue, die Unsterblichkeit gibt es nicht auf dieser Welt.

Jesus steigt mit seinen Jüngern wieder hinab vom Berg, hinab zurück in den Alltag. Der Augenblick des überwältigenden Lichts ist auf dieser Welt nicht ewig – und trotzdem brauchen wir ihn, und nicht nur einmal – weil wir aus ihm leben.

Wir brauchen die Momente des Glücks, Momente des Lichts! Gäbe es diese Momente nicht, wäre die Welt ein einziges Jammertal.
Auf unserem Fastentuch liegt ein großer Brocken auf dem schwarzen Band – ein großes Goldstück. Es symbolisiert für mich die Augenblicke des Glücks, der Zufriedenheit, der Hoffnung, des Lichtes in unserem Leben. Augenblick, die das Dunkle erträglich machen.
Der zweite Fastensonntag lädt uns ein, nicht nur auf das Dunkle im Leben zu schauen, sondern auch das Helle, das Lichte dankbar in den Blick zu nehmen – damit wir leben können!

Jeden Sonntag gibt es im Gottesdienst einen Gedanken zu der Darstellung des Fastentuches. Sie können Sie ergänzen oder auch widersprechen! Nutzen Sie die Kommentarspalte unten. Oder die Kommentarspalte auf dieser Seite: https://wilfried-schumacher.de/2025/03/07/fastenzeit-in-dernau/
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